Corona-Pandemie Politik ringt um Kurs durch die vierte Welle

Berlin · Die Corona-Inzidenzen steigen wieder an, doch der Blick richtet sich nun auf die Krankenhausbelegung. Während auf Bundesebene noch Unklarheit herrscht, verkündet Bayerns Ministerpräsident Markus Söder einen Kurswechsel. Ein Überblick über die Debatte.

 Ein Hinweisschild auf die 3G-Regel („Geimpft, getestet, genesen“) steht vor einem Lokal (Symbolfoto).

Ein Hinweisschild auf die 3G-Regel („Geimpft, getestet, genesen“) steht vor einem Lokal (Symbolfoto).

Foto: dpa/Oliver Berg

Wie wird die aktuelle Corona-Lage bewertet?

Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz ist wieder leicht angestiegen und lag am Mittwoch bei 75,7. Doch die Inzidenz gilt nicht mehr als Maß aller Dinge, zunehmend wird der Blick auf die Auslastung der Krankenhäuser gerichtet. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erklärte am Mittwoch einen Kurswechsel in der Corona-Politik seiner Landesregierung. In Bayern werden Corona-Maßnahmen künftig ausschließlich auf Grundlage der Krankenhausbelegungen greifen - die Orientierung an Inzidenzwerten entfällt damit. Söder bekräftigte in seiner Regierungserklärung: „Auch wenn die Inzidenzen steigen werden, es bleibt dabei: Kein Lockdown.“ Neu eingeführt wird eine „Krankenhaus-Ampel“, die ab bestimmten landesweiten Belegungszahlen erneute Verschärfungen der Corona-Maßnahmen vorsieht. „Wir haben trotzdem eine Firewall gegen Corona“, so Söder. Das „Herzstück“ der neuen Strategie ist nach Söders Aussage die 3G-Regel - also die Vorgabe, dass nur vollständig Geimpfte, Genesene oder negativ Gesteste Zugänge zu bestimmten Einrichtungen haben. 

Soll es auch Neuregelungen auf Bundesebene geben?

Grundsätzlich ja – allerdings herrscht große Uneinigkeit zwischen Union und SPD, was konkret neu geregelt werden soll. Eine für Mittwoch geplante Sitzung des Gesundheitsausschusses wurde kurzfristig abgesagt, da sich die große Koalition nach Informationen unserer Zeitung nicht auf eine Sitzungsvorlage einigen konnte. Allerdings gibt es wichtige Fragen zu klären: Soll die Krankenhausgelegung als bundesweit einheitlicher Richtwert für künftige Corona-Maßnahmen gelten? Werden konkrete Grenzwerte definiert, ab denen neue Maßnahmen eingeführt werden? All das ist offen. Voraussichtlich am Freitag soll die Ausschusssitzung nachgeholt werden. Die Zeit drängt, denn schon am kommenden Dienstag soll der Bundestag mögliche Änderungen am Infektionsschutzgesetz beschließen.

Ist es verfassungsrechtlich haltbar, dass Ungeimpften Zugänge verwehrt werden?

Eine verfassungsrechtliche Bewertung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, die unserer Redaktion vorliegt, weist grundsätzlich darauf hin, dass Zutrittsbeschränkungen für Ungeimpfte einen „legitimen Zweck“ verfolgen. Laut den Bundestagsjuristen stellt der Ausschluss ungeimpfter Personen von vielen sozialen und kulturellen Aktivitäten stellt aber auch „einen schwerwiegenden Eingriff in ihre allgemeine Handlungsfreiheit“ dar. „Sollten jegliche Veranstaltungen sowie die ganze Innengastronomie von einer sogenannten 2G-Regelung erfasst sein, wird es ungeimpften Personen in erheblichem Maße erschwert, am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen“, heißt es in dem Papier. Auch auf die regionale epidemische Lage und lokalisierbares Infektionsgeschehen wird verwiesen. In einem solchen Fall dürfte es demnach nicht mehr verhältnismäßig sein, allen Ungeimpften die Teilnahme an Veranstaltungen und den Besuch in geschlossenen Räumen allein zu untersagen. „Es müssten vielmehr gezielte und räumlich beschränkte Maßnahmen ergriffen werden“, heißt es weiter. Auch weitere Faktoren wie Krankheitsschwere, Auslastung der Intensivstationen, Hospitalisierungsrate und die Impfquoten müssten in der Abwägung Berücksichtigung finden.

Wie steht es um die Auffrischungsimpfungen gegen Covid-19?

Die Debatte ist in vollem Gang. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte nun eine klare Empfehlung für die dritte Impfung durch die Ständige Impfkommission. „In der Bevölkerung und auch bei den Kollegen in den Impfzentren ist große Verwirrung entstanden“, sagte Lauterbach unserer Redaktion.  Er befürchte, dass jetzt viele eine dritten Impfung bekommen, die davon nicht profitieren würden, während diejenigen, die sie dringend benötigen würden, sie nicht bekommen. „Wir brauchen eine solche Empfehlung schnell, da die Impfung jetzt beginnen kann“, so Lauterbach. Der Impfstoff dürfe nicht unnötiger Weise „verschwendet“ werden.

Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen warf der Bundesregierung eine unklare Strategie bei den Auffrischungsimpfungen vor. „Was es jetzt bräuchte, ist eine systematische Auffrischimpfkampagne für alle Menschen, bei denen die Wirkung der Impfstoffe aufgrund hohen Alters oder geschwächten Immunsystems mutmaßlich zu gering ist“, sagte der Grünen-Politiker. Gleiches gelte für Beschäftigte in den Pflegeheimen und Kliniken. „Die Bundesregierung hat es verpasst frühzeitig systematisch Daten für Deutschland zu erheben, für wen und wann sogenannte Booster-Impfungen zwingend sinnvoll sind“, kritisierte Dahmen.

Was hat es mit den neuen WHO-Zentrum in Berlin auf sich?

Es handelt sich um ein neues Frühwarnzentrum für Pandemien der Weltgesundheitsorganisation (WHO), in dem weltweite Informationen und Erkenntnisse gebündelt werden sollen. Pandemische Bedrohungen sollen so in Zukunft früher erkannt werden, um rechtzeitig reagieren und mögliche Verhaltens- oder Reiseempfehlungen abgeben zu können. Dass das Zentrum in Berlin angesiedelt ist, wurde bei der Eröffnung am Mittwoch politisch gebührend geehrt: Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) lief war höchste politische Prominenz vertreten, auch WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus kam dafür in die Hauptstadt.

(mit Material der dpa)
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