Schwarz-Gelb kommt kaum noch voran Die zerstrittene Koalition

Berlin · Jenseits der Euro-Rettung kommt die schwarz-gelbe Bundesregierung kaum noch voran. Bei zentralen Themen der Innenpolitik, bei den Steuervorhaben und in der Energiewende herrscht Stillstand. Ressort-Eitelkeiten und Misstrauen verhindern Reformprojekte.

CDU: Die Eckpunkte der "Kieler Erklärung"
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In der FDP kursiert ein Witz über die Kanzlerin. Sollten die Liberalen je wieder in die Verlegenheit kommen, einen Koalitionsvertrag mit der Union unterzeichnen zu können, müsste der erste Punkt lauten: "Angela Merkel soll die nächste Bundespräsidentin werden."

Unter der Kanzlerin Merkel jedenfalls fühlen sich die Liberalen zunehmend an den Rand gedrängt, gedemütigt oder schlicht ignoriert. Der Vorwurf: Die FDP stecke auch deswegen so tief in der Krise, weil Merkel bei zentralen innenpolitischen Konfliktfeldern eine Entscheidung verweigere und lieber als Euro-Retterin durch Europa reise oder sich mit einem Internet-Bürgerdialog als volksnahe Landesmutti inszeniere.

"In der Innenpolitik geht nichts voran", klagt ein FDP-Präsidiumsmitglied. Ein anderes erinnert sich voller Sehnsucht an die Zeiten, als ein CDU-Kanzler Helmut Kohl sogar den eigenen Leuten in die Parade fuhr, um der FDP mal wieder einen Erfolg zu gönnen.

Das wurmt die Liberalen noch immer

Doch aktuell hat sich das Klima in der Koalition wieder einmal verdüstert. Merkels Vertrauten, Kanzleramtschef Ronald Pofalla, nehmen die FDP-geführten Ressorts Justiz, Gesundheit und Wirtschaft dabei besonders ins Visier. Der selbstbewusste CDU-Politiker blockiere jede Initiative, klagt ein FDP-naher Beamter aus dem Gesundheitsministerium.

"Mit Pofalla kann man einfach nicht zusammenarbeiten", klagt ein führendes Mitglied der FDP-Fraktion. Von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird in der FDP berichtet, er würde am liebsten die Liberalen aus der Koalition werfen und bis zur Bundestagswahl in einer CDU-geführten Minderheitsregierung unter Tolerierung der SPD arbeiten.

Auch Unions-Geschäftsführer Peter Altmaier wird kritisch beäugt. Der Saarländer habe von den Plänen seiner Parteifreundin, Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, über den Rauswurf der FDP aus der Koalition in Saarbrücken frühzeitig erfahren, aber nichts unternommen, lautet der Vorwurf. Die Nachricht platzte am 6. Januar ausgerechnet in die Rede von FDP-Chef Philipp Rösler beim traditionellen Dreikönigstreffen. Das wurmt die Liberalen noch immer. Im Saarland umwirbt die CDU inzwischen offen die SPD.

Nun tagt am 4. März erstmals seit Monaten die Runde der Spitzenpolitiker aus Union und FDP im Koalitionsausschuss. Bisher ohne Tagesordnung. Bei zentralen Themen dominiert das Misstrauen.

Innenpolitik Die Innere Sicherheit weist aus Unionssicht eine eklatante Sicherheitslücke auf, seit das Verfassungsgericht die Sammlung von Kommunikationsdaten einkassiert hat, die FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den von den Richtern gewiesenen Weg aber nicht gehen will, weil ihr jede anlasslose Speicherung suspekt ist und sie stattdessen den Sicherheitserfordernissen durch ein verdachtsbezogenes "schnelles Einfrieren" von Daten Rechnung tragen will.

Seit Monaten wartet die Koalition auf eine Annäherung zwischen der Justizministerin und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Schon hat CSU-Chef Horst Seehofer angekündigt, nach einer grundsätzlichen Annäherung den "Rest" von den Parteichefs klären zu lassen. Aber die beiden Minister bewegen sich keinen Millimeter.

Energiepolitik Die Energiewende hätte zum Vorzeigeprojekt der schwarz-gelben Koalition werden können. Doch die Koalition verhakt sich im täglichen Klein-klein. Vor allem die Ressortchefs Rösler (FDP, Wirtschaft) und Röttgen (CDU, Umwelt) sind sich spinnefeind und streiten über jedes Detail.

Die Fragen, etwa wo neue Strom-Autobahnen in Deutschland verlaufen und wie die Bürger an dem Verfahren beteiligt werden sollen, bleiben offen. Eine Einigung bei der überbordenden Förderung der Solarenergie ist noch nicht in Sicht.

Und die EU-Richtlinie zum Energiesparen prallt in Berlin auf Widerstand, weil immer noch keine einheitliche Linie zwischen Rösler und Röttgen vorliegt. Die europaweite Pflicht für Energiekonzerne, jährlich 1,5 Prozent weniger Gas, Strom und Heizöl bei ihren Kunden abzusetzen, sorgt für Streit. Rösler lehnt dies als Planwirtschaft ab, Röttgen ist dafür.

Steuerpolitik Die schwarz-gelben Pläne für eine Absenkung der "kalten Progression" im Steuerrecht existieren nur noch auf dem Papier. Die SPD-geführte Mehrheit im Bundesrat will die Pläne blockieren.

Über die von der FDP favorisierte Alternative, den Solidaritätszuschlag am Bundesrat vorbei abzusenken, will das Kanzleramt gar nicht erst verhandeln. Im Gegenzug sagt Merkel dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy Unterstützung bei der Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer in der Euro-Zone zu, obwohl die FDP dies entschieden ablehnt.

Die Liste ließe sich verlängern. Ob es beim Koalitionsausschuss überhaupt eine Einigung geben wird, ist mehr als fraglich. Immerhin haben sich die drei Parteichefs Merkel, Seehofer und Rösler in jüngster Zeit mehrfach unbemerkt getroffen. Ihr Verhältnis gilt als belastbar und vertraulich. In ihren Parteien scheint diese Harmonie aber nicht angekommen zu sein.

(RP/csr)
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