20 Jahre Einigungsvertrag Die Wunden der deutschen Einheit

Berlin · Es soll eigentlich ein Tag der Freude werden. Heute vor 20 Jahren wurde der Vertrag zur deutschen Einheit unterschrieben. Doch der Festtag wird getrübt durch Äußerungen des Brandenburger Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD), der vom "Anschluss" der DDR an die Bundesrepublik spricht. Die Äußerung und die Empörung darüber zeigt eins: Die Wunden der Einheit sind noch lange nicht verheilt.

 Bundeskanzlerin Merkel enthüllt am Dienstagabend im Berliner Kronprinzenpalais eine Gedenktafel.

Bundeskanzlerin Merkel enthüllt am Dienstagabend im Berliner Kronprinzenpalais eine Gedenktafel.

Foto: dapd, APN

Es war der 31. August 1990, als der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und der DDR-Staatssekretär Günther Krause in Ost-Berlin den Einigungsvertrag unterschrieben. Damit wurde der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik geregelt. Der Vertrag übertrug das rechtliche System der BRD sowie dessen Verwaltung auf das Gebiet der sich auflösenden DDR.

Damit endete eine turbulente Zeit, in der mutige DDR-Bürger und politisches Verhandlungsgeschick perfekt zusammenspielten und die — kurzfristige — Chance ergriffen, ein totalitäres Regime abzulösen und das zu verwirklichen, woran keiner mehr geglaubt hatte: die Zusammenführung eines Landes.

Glaube an Unterschiede

Doch der Freudentaumel und die Umarmungen zwischen Ost und West sind längst der Realität gewichen. Und manch einer wünscht sich sogar die alten Verhältnisse zurück. Nach dem aktuellen Sozialreport der Volkssolidarität sind dies im Osten neun und im Westen elf Prozent.

Aus der Studie geht ebenfalls hervor, dass viele Bundesbürger die Einheit noch nicht als vollendet ansehen. 47 Prozent der Westdeutschen sagen dazu lediglich Ja, im Osten sind es sogar nur 17 Prozent. 56 Prozent stellen zudem große Unterschiede zwischen Ost und West fest oder glauben, dass es diese noch in 50 Jahren gibt.

Die viel beschworene Einheit in den Köpfen ist also noch lange nicht erreicht. Und das wird auch noch lange brauchen. Denn zu groß sind oftmals noch die Vorurteile auf beiden Seiten. Besonders deutlich zeigt dies die Diskussion um den Solidaritätsbeitrag, den sowohl Ost als auch West zahlt. Wieso brauchen wir ihn noch 20 Jahre nach der Wende, wird da oft gefragt. Die Straßen im Osten seien in einem wesentlich bessern Zustand, nun müsste mehr im Westen getan werden.

Ohne Frage ist daran etwas Wahres, denn während im Osten die Erneuerung von Straßen und Häusern gerade einmal 20 Jahre zurückliegt, haben viele westdeutsche Gemeinden da wesentlich mehr Jahre auf den Buckel. Dies allerdings ist wohl eher ein Zeit- als ein Ost-West-Problem.

Klage über ungleiche Löhne

Aber auch viele Ostdeutsche klagen immer wieder. So wird wiederholt angeführt, dass Löhne und Renten noch lange nicht den westdeutschen Verhältnissen angepasst sind. Dass die Lebenshaltungskosten wie Mieten oder der Besuch in der Kneipe aber ebenfalls vielerorts noch niedriger sind, wird da gern außer Acht gelassen.

Diese wenigen Beispiele zeigen, wie tief die Wunden der Einheit noch sitzen - auf beiden Seiten. Dass Matthias Platzeck sich nun kritisch zu dem Vertrag äußert - im Gegensatz zum damaligen Verhandlungsführer Krause - entspricht seiner Biografie. Platzeck selbst war Bürgerrechtler in Zeiten der Wende und hatte als Abgeordneter dem Vertrag nicht zugestimmt.

Wie er gab es viele Bürgerrechtler, denen der Beitritt damals widerstrebt hat. Doch die Volkskammer der DDR als legitimes, erstmals frei gewähltes Parlament hatte sich für diesen Vertrag entschieden. Was Platzeck will, wie er sagt, ist über die Ursachen zu sprechen, warum ein Teil der Menschen noch nicht im vereinigten Deutschland angekommen sei. Und er spricht mit seiner Äußerungen sicherlich vielen Menschen in den neuen Ländern, die sich durch die Einheit übergangen fühlten, aus dem Herzen.

Der Einheit in den Köpfen aber kommt Deutschland mit solchen Äußerungen nicht näher. Denn die kann nur durch eines erreicht werden: Indem die Menschen in Ost und West aufeinander zugehen und ihre Vorurteile über Bord werfen. Dass dies gelinge, ist den nächsten ebenso wie den jetzigen Generationen nur zu wünschen.

(RPO)
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