Ampel-Vorhaben Warum die Cannabis-Freigabe gefährlich werden könnte

Analyse | Berlin · Alle drei Partner der Ampelkoalition wollen Cannabis legalisieren. Auch wenn die Details erst noch auszuhandeln sind, ist der grundsätzliche Schritt absehbar. Der Zeitgeist weht. Aber die Argumente haben Lücken.

Cannabis-Konsum in einem Coffee-Shop im niederländischen Maastricht.

Cannabis-Konsum in einem Coffee-Shop im niederländischen Maastricht.

Foto: dpa/Oliver Berg

Endlich wird der Traum der Hippi-Generation aus den 1960er Jahren Wirklichkeit. Die neue Regierung gibt das Hanf frei. Es wird Realität, was seit Jahrzehnten überfällig schien. Denn das Mantra leuchtet mit spiritueller Kraft: Das Kriminalisieren ist gescheitert, und wenn der Staat kontrolliert sauberes Kraut legal verkaufen lässt, dient das der Gesundheit der Kiffer und lässt den Drogenhandel zusammenkrachen. Das klingt so überzeugend, dass man sich an dieser Idee glatt berauschen könnte. Doch diesem Rausch kann ein böses Erwachen folgen.

Erstaunlich ist, dass selbst erfahrene Volkswirte, die sich mit den Details von Nachfrage und Angebot bestens auskennen, die These teilen, wonach sich alle Probleme mit dem lizenzierten Verkauf von Cannabis an Erwachsene lösen ließen. Dabei sollte doch schon ein Wort das Gegenteil offensichtlich machen. Wenn derzeit fast jeder dritte Jugendliche (!) Cannabis bei Bekannten und Dealern an der Ecke holt, wie verändert sich dann die Nachfrage auf dem illegalen Markt, wenn er als Nicht-Erwachsener das Zeug überhaupt nicht legal erwerben darf? Die Zahl der Konsumenten steigt - und damit auch der Anteil derjenigen, die es in der Pubertät gerne probieren würden.

Auch die übliche Cannabis-Zusammensetzung sollte eine Überlegung wert sein. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich der Bestandteil, der den Rausch auslöst, durch Züchtungen glatt verdoppelt. Wer einen Joint aus den 70er Jahren in Sachen Gehalt an THC (Tetrahydrocannabinol) mit einem von heute vergleicht, kann damals von weichen, muss heute von harten Drogen sprechen. Zwar hat sich seit damals die Überzeugung gehalten, dass man zwar von Alkohol und Tabak süchtig werden könne, nicht aber von Cannabis. Doch die massiv gewachsenen THC-Inhalte haben zu einer fatalen, nahezu ausgeblendeten Entwicklung beigetragen, wonach Cannabis-Konsumenten inzwischen die Hauptzielgruppe der Suchthilfeeinrichtungen geworden sind.

Nach jüngsten Zahlen machen Kokain-Süchtige 9,2 Prozent der stationären Suchtbehandlungen aus, Heroin-Süchtige 13,3 Prozent und Cannabis-Süchtige 30,6 Prozent. In Zahlen sind das fast 3000 suchtkranke Kiffer. Fast 30.000 weitere kommen hinzu, die ambulante Hilfe aufsuchen müssen, weil sie die Cannabis-Probleme nicht mehr im Griff haben. Wie „harmlos“ ist das?

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Hier noch das Gesundheits-Argument ins Feld zu führen, kann nur dann gelingen, wenn der Staat nur THC-armen Stoff lizenziert. Das würde jedoch bedeuten, dass das legale Kraut für Konsumenten kaum attraktiv wäre und der illegale Markt umso stabiler bliebe. Es ist ohnehin fraglich, ob die Aufwendungen für Anbaukontrolle, Lagerkontrolle, Verkaufskontrolle, die Kosten für Geschäftsräume und Personal plus Mehrwertsteuer eine Tüte gleichwohl so günstig sein lassen, dass der Dealer an der Ecke arbeitslos wird. Auch hier sollten Ökonomen hilfreiche Berechnungen liefern.

Zum Gesundheitsschutz gehört der Blick auf die rund 160 Substanzen, aus denen Cannabis besteht, und von denen die meisten kaum erforscht sind. Es mutet wie ein gesundheitspolitischer Treppenwitz an, dass der Staat alle Produkte vom Markt nimmt, die Spuren von möglicherweise gesundheitsgefährdenden Stoffen enthalten - und zugleich ein Mittel selbst lizenziert, das in hohem Maße abhängig macht und schwere Schäden anrichten kann.

Auf dem richtigen Weg sind SPD, Grüne und FDP gleichwohl, wenn sie die Legalisierung auf Erwachsene beschränken. Denn die verheerendsten Wirkungen hat Cannabis auf junge Gehirne im Wachstum. Die neuronale Reifung wird gestört, das Lernvermögen ist beeinträchtigt, die Vergesslichkeit nimmt zu, die Antriebsarmut verstärkt sich gerade in den Jahren, in denen Jugendliche mit Bildungsanstrengungen die Grundlage für ihr Leben schaffen sollten. Doch das ist mit der Nacht zum 18. Geburtstag nicht vorbei. Jugendärzte wissen, dass die Ausprägung des Gehirns bei vielen bis zum 20., bei etlichen sogar bis zum 25. Lebensjahr andauert.

Die Vorstellung, dass sich Polizei und Staatsanwaltschaft auf die wichtigen Strafverfolgungen konzentrieren könnten, wenn Cannabis erst mal legalisiert ist, geht also schon mit Blick auf den Jugendschutz nicht auf. Das Beispiel der Niederlande zeigt zudem, wohin es führen kann, wenn die Mentalität des Ist-ja-meistens-sowieso-harmloser-Eigenverbrauch das Hinschauen auf die Drogen-Szene bestimmt. Dort sind kriminelle Drogenstrukturen entstanden, die der Sicherheitsapparat kaum mehr in den Griff bekommt und die Politik, Staat und Gesellschaft massiv bedrohen.

Die scheidende Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) warnt denn auch vor dem eingeschlagenen Kurs. „Die Legalisierung von Cannabis verharmlost die Gefährlichkeit dieser Droge“, sagt die Regierungsbeauftragte unserer Redaktion. Unzählige Studien belegten, dass regelmäßiger Konsum zu schweren psychischen Störungen führen könne, insbesondere bei Jugendlichen, die sich noch in der körperlichen Entwicklung befänden. Auch eine ans Alter gebundene Abgabe stelle keine Lösung dar. „Kiffen ab 18 ist alles andere als harmlos und gibt außerdem keine Antwort auf die Frage nach besserem Jugendschutz“, erklärt Ludwig. Ihr Appell: „Zugunsten eines vermeintlichen Zeitgeistes die Gesundheit der Bevölkerung zu riskieren, kann und sollte nicht Ziel der neuen Bundesregierung sein.“

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