Tabubruch oder Realpolitik Die Thüringer CDU will auf eigenen Wegen wandeln

Erfurt/Berlin · In Thüringen ist das Wort vom „historischen Kompromiss“ in aller Munde: Die Landes-CDU will eine projektbezogene Zusammenarbeit mit einer Minderheitsregierung des Linken Bodo Ramelow (Foto) eingehen. Unmöglich, schallt es aus Richtung der Bundes-CDU.

 Noch ist unklar, ob Bodo Ramelow auf die Stimmen der Thüringer CDU zählen kann.

Noch ist unklar, ob Bodo Ramelow auf die Stimmen der Thüringer CDU zählen kann.

Foto: dpa/Martin Schutt

Alltag in Thüringen: Da ist niemand, der regiert. Dafür gibt es politische Aufgeregtheit mit täglichen Krisensitzungen und Gerüchten über Geheimabsprachen. Seit der desaströsen Ministerpräsidentenwahl vom 5. Februar, die wegen der Wahl des FDP-Politiker Thomas Kemmerich auch mit AfD-Stimmen ein politisches Beben in ganz Deutschland auslöste, ringt die Politik um einen Ausweg aus der Thüringen-Krise. Das Land taumelt, weil es im Parlament keine regierungsfähige Mehrheit jenseits der AfD in den üblichen Koalitionen gibt.

Doch jetzt, fast vier Monate nach der Landtagswahl - scheint es einen Ausweg zu geben - durch einen in der deutschen Landespolitik bisher einmaligen, die politischen Lager überspannenden Kompromiss. Doch halten die Absprachen zwischen Linke, SPD, Grünen und der CDU vom Freitagabend dem Gegenwind stand, der am Wochenende aufkam?

Nicht nur von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak kam massive Kritik, sondern auch von den Aspiranten auf den Parteivorsitz, Friedrich Merz und Jens Spahn. Ziemiak wählte eine deutliche Formulierung für das Nein der Bundes-CDU zum Pakt von Erfurt: „Es geht hier um nicht weniger als um die Glaubwürdigkeit der CDU Deutschlands insgesamt.“

Was ist passiert? Die Thüringer CDU, die seit der Niederlage bei der Landtagswahl im Oktober 2019 mit dem Verlust von einem Drittel der Stimmen einen Zickzack-Kurs fuhr, ist über ihren Schatten gesprungen. Vier Unterhändler, darunter Parteivize Mario Voigt, vereinbarten nach stundenlangem Tauziehen am Freitagabend einen „Stabilitätsmechanismus“ mit Linkspartei, SPD und Grünen.

Danach will die CDU einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung bis zu Neuwahlen am 25. April 2021 projektbezogen - vor allem beim Haushalt - zu Mehrheiten verhelfen. So soll erreicht werden, dass die AfD bei politischen Entscheidungen im Landtag nicht das Zünglein an der Waage ist. „Es ist eine Ausnahmesituation“, begründet Voigt den Schritt. Keinesfalls will er dies als Duldung oder Tolerierung der angestrebten rot-rot-grünen Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow (Linke) interpretiert wissen. „Wir verstehen uns als konstruktive Opposition.“

Doch nicht an dem Stabilitätspakt entspann sich der Unmut der Bundes-CDU über die Thüringer Rebellen. Vielmehr geht es beim Pochen auf den CDU-Unvereinbarkeitsbeschluss - er verbietet eine Zusammenarbeit mit der AfD, aber auch der Linkspartei - um die für den 4. März angesetzte Wahl des Linke-Politikers Bodo Ramelow. Der 64-Jährige hat keine Mehrheit und braucht mindestens vier Stimmen von CDU oder FDP.

Spahn twittert: „Eine Wahl von Bodo Ramelow durch die CDU lehne ich ab. Wir sind als Union in einer Vertrauenskrise. Die letzten Wendungen aus Thüringen kosten weiteres Vertrauen.“ Landesvize Voigt ahnte, dass es Widerstand aus Berlin gibt. Darum teilte die CDU-Fraktion, die dem Kompromiss insgesamt billigte, vielsagend mit: Sie wähle Bodo Ramelow im Landtag „nicht aktiv als Ministerpräsidenten mit“. Das sorgte für noch mehr für Verwirrung.

Ramelow sprang Voigt zur Seite. Natürlich gebe es keine Vereinbarung mit der CDU-Fraktion, ihn zu wählen, sagt Ramelow. Das sei auch gar nicht nötig. „Da wird von Berlin etwas hineininterpretiert, was es nicht gibt.“ Die Gespräche in Erfurt hätten natürlich nicht das Ziel gehabt, „dass sich die vier CDU-Vertreter in Widerspruch zu ihrem Parteitagsbeschluss bringen.“

Deshalb habe er gleich zu Beginn des Treffens erklärt, dass er nach Gesprächen mit vielen Abgeordneten der demokratischen Landtagsfraktionen der Überzeugung sei, dass er bei der Wahl im ersten Durchgang eine Mehrheit bekomme - und AfD-Stimmen keine Rolle spielen.

In den Landtagsgängen heißt es, nicht die Fraktion, aber einzelne CDU-Abgeordnete würden „aus staatspolitischer Verantwortung“ Ramelow wählen. Die FDP, die von Linke, SPD und Grünen gar nicht erst zu einem Treffen eingeladen wurde, sagt zur Wahl: „Ramelow kann nicht mit FDP-Stimmen rechnen“ - eine Ansage mit Interpretationsspielraum.

Aber es gibt auch Stimmen aus der Union, die sich gegen Spahn und Merz stellen: So hat Brandenburgs Ex-CDU-Chef Ingo Senftleben die Bundes-CDU aufgefordert, ihren Beschluss zu korrigieren, wonach eine Zusammenarbeit mit AfD und Linken gleichermaßen ausgeschlossen wird. "Dieser Beschluss geht an der Realität vorbei. Die Linke muss zwar mehr Verantwortung für DDR-Unrecht und Opfer übernehmen. Aber sie ist nicht mit der AfD gleichzusetzen. Auf kommunaler Ebene arbeiten Linke und CDU ohnehin schon zusammen. Auch im Bundesrat bestehen Kontakte. Da wirkt so ein Beschluss heuchlerisch", sagte Senftleben unserer Redaktion. Die Bundes-CDU rücke derzeit vom Grundsatz ab, wonach zuerst das Land und erst später Partei und Personen kämen. Es stelle sich für sie im Moment nicht die Frage, was für Thüringen am besten sei. "Politiker in Berlin und München entscheiden gerade, wie es woanders weitergehen müsse. Sie legen ihren Akteuren vor Ort Fesseln an. Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, dass wir Wähler verlieren." Die Parteiführung sage dem Landesverband, was er nicht machen dürfe - aber nicht, wie er es denn richtigmachen könne. Stattdessen würden ideologische Barrieren aufgestellt. Dabei habe die CDU in Thüringen in den Verhandlungen etwa bei Bildung und Investitionen gute Punkte gemacht. Senftleben, der für seinen Vorstoß im Frühjahr 2018 in der CDU scharf kritisiert worden war, nach Wahlen in ostdeutschen Bundesländern auch mit den Linken zu sprechen, sagte: "Wir haben mit dem Beschluss eine Debatte beendet, die wir nie geführt haben. Sehenden Auges sind wir damit in das jetzige Dilemma gestürzt. Wir haben uns nicht rechtzeitig mit möglichen Folgen von Wahlergebnissen beschäftigt. Und jetzt haben wir eine x-fache Vergrößerung des Problems."

Warum bewegte sich die CDU jetzt? Die Unruhe in Thüringen wächst - Tausende gingen vor einer Woche auf die Straßen und forderten stabile poliltische Verhältnisse. Und immer häufiger ist von schnellen Neuwahlen die Rede, die die Thüringer Christdemokraten angesichts sehr schwacher Umfragewerte fürchten. Mit Christine Lieberknecht und Dieter Althaus sprachen sich gleich zwei ehemalige Thüringer CDU-Ministerpräsidenten auf ein Zugehen auf die Linke aus, um die Staatskrise zu beenden.

Und mit dem Vorschlag, Lieberknecht könnte Interimsministerpräsidentin bis zu Neuwahlen in 70 Tagen werden, sorgte Ramelow zusätzlich für Bewegung. Zudem gibt es auch in der Thüringer CDU ein Machtvakuum: Fraktions- und Parteichef Mike Mohring, dem viele die missliche Lage ankreiden, hat seinen Rückzug von beiden Ämtern bereits vor Wochen angekündigt - via „Bild am Sonntag“ präzisierte er nun: Mit dem Fraktionsvorsitz lege er am 2. März auch den Parteivorsitz nieder.

Lieberknecht kann der Situation - trotz des Streits um den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU - Positives abgewinnen. Rot-Rot-Grün könne nun kein Gesetz „gegen Grundüberzeugungen der CDU verabschieden“, sagt sie. „Das ist eine realpolitische Lösung. Schließlich sei die CDU „eine Verantwortungspartei - gerade auch in Ostdeutschland mit einer starken AfD.

(felt/dpa)
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