Abgrenzung von Unionsforderungen Die SPD und ihr Verhältnis zu den Deutschtürken

Berlin · Die Spannungen mit dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan irritieren viele Deutschtürken. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles bemüht sich um Schadensbegrenzung.

Andrea Nahles (SPD) unterwegs in Berlin-Kreuzberg mit Parteikollegin Cansel Kiziltepe (l.) und Ayse Demir (r.) vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg.

Andrea Nahles (SPD) unterwegs in Berlin-Kreuzberg mit Parteikollegin Cansel Kiziltepe (l.) und Ayse Demir (r.) vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg.

Foto: AXEL SCHMIDT

Hoher Besuch hat sich angesagt beim Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB) in Berlin-Kreuzberg. Andrea Nahles, die Bundesarbeitsministerin von der SPD, ist vorbeigekommen, im Schlepptau hat sie die Berliner Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD). Es gibt türkische Süßigkeiten und türkischen Tee. Nahles möchte wissen, wo die TBB-Vertreter der Schuh am meisten drückt. Da platzt es heraus aus Vorstandsmitglied Safter Çinar, der auch einer der Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde Deutschlands ist: "Es ist alles nicht gut, alle diese Diskussionen über Köln oder die doppelte Staatsbürgerschaft oder Erdogan." Nahles ist sofort auf seiner Seite. "Ich tue mein Bestes, mich nicht an diesem Geplapper zu beteiligen."

Für die SPD ist es wichtig, sich abzugrenzen von all den Unionsforderungen nach Abschaffung des Doppelpasses, Burka-Verbot und auch von der anschwellenden Erdogan-Kritik. Denn die Mehrheit der eine Million türkischstämmigen Wähler in Deutschland hat bisher SPD gewählt - und das soll auch so bleiben. Am 18. September wird in Berlin gewählt. In der Stadt lebt die zweitgrößte türkische Gemeinde außerhalb der Türkei. Das Herz der Deutschtürken schlägt bislang für die Sozialdemokraten: Mehr als 40 Prozent von ihnen sind Anhänger der SPD, zeigte eine Studie vor der Bundestagswahl 2013. Allerdings waren es 2009 noch über 50 Prozent. Als Anhänger der Union outeten sich 2013 nur 20 Prozent der türkischstämmigen Wähler.

Durch die Armenien-Resolution des Bundestags, die von der SPD-Fraktion mitgetragen wurde, und zunehmend kritische Äußerungen gegenüber dem Erdogan-Regime, das von der Mehrheit der Deutschtürken unterstützt wird, wächst in der türkischen Community das Misstrauen gegenüber deutschen Politikern generell. Dabei hatten sich führende SPD-Politiker im Vergleich zu ihren Unionskollegen mit harschen Äußerungen gegenüber Erdogan eher zurückgehalten.

Die Unterschiede zwischen Union und SPD wurden in dieser Woche besonders deutlich. In der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion hatte Berlin die Türkei als eine "zentrale Aktionsplattform" für islamistische Terrororganisationen eingestuft. Das SPD-geführte Außenministerium distanzierte sich am Mittwoch von den Aussagen in dem Papier des CDU-geführten Bundesinnenministeriums. Innenminister Thomas de Maizière verteidigte dagegen das Papier aus seinem Hause. "Da ist nichts zu bereuen", sagte er. "Das, was dort vertraulich dargestellt wurde, ist eine pointierte Darstellung eines Teilaspekts türkischer Wirklichkeit."

Die Zusammenarbeit im Antiterrorkampf sei aber "sehr gut", betonte der Minister. Die Türkei zeigte sich dennoch empört über die Bewertung. Sie sei Ausdruck einer "verdrehten Mentalität", mit der die Türkei zermürbt werden solle. Der türkische Europaminister Ömer Çelik kritisierte gestern auch die beiden SPD-Frontmänner, Parteichef Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Wenn diese sagten, die Türkei werde auch in 20 Jahren kein Mitglied der EU sein, zeige dies, dass es in Wahrheit gar nicht um die Erfüllung der Beitrittskriterien gehe.

Zunehmend gerät also auch die SPD ins Visier des Erdogan-Regimes — und das könnte ihre Chancen verringern, von den Türken in Deutschland wiedergewählt zu werden. Auch Aydan Özoguz, die Integrationsbeauftragte der SPD im Bundeskanzleramt, stemmt sich dagegen. "Die SPD ist traditionell ein verlässlicher Ansprechpartner für die drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland", sagt die Staatsministerin. Sozialdemokraten hätten sich mit dem Kampf für die doppelte Staatsbürgerschaft ein hohes Ansehen erworben. "Während die Union offenbar auf einen Roland-Koch-Wahlkampf gegen den Doppelpass setzen will, zeigt die SPD, dass sie die Erfolge der Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte nicht über Bord wirft."

Auch Andrea Nahles ist es bei ihrem Besuch in Kreuzberg ganz wichtig, den Unterschied zum Unionsteil der schwarz-roten Bundesregierung herauszustellen. "Das mit dem Doppelpass und dem Burka-Verbot, das wird von Cansel Kiziltepe und mir nicht geteilt", betont sie. "Man muss einfach Courage aufbringen und dem widersprechen."

(mar)
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