Münteferings Erbe Die Rente ist das Trauma der SPD

Parteichef Sigmar Gabriel steht in der Kritik, weil er mit dem Aus für die Rente mit 67 Jahren gedroht hatte. Der Wirbel zeigt, wie schwer sich die Sozialdemokraten mit Münteferings Erbe tun.

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Foto: dpa, Klaus-Dietmar Gabbert

Berlin An dieser Weichenstellung leidet die SPD noch heute: Als Union und Sozialdemokraten 2005 ihre große Koalition besiegelten, schrieben sie in ihren Koalitionsvertrag diese für die Sozialdemokraten bis heute schwer verdaulichen Sätze:

"Wir werden im Jahr 2007 die gesetzlichen Regelungen für eine 2012 beginnende Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre treffen. Sie soll in Abhängigkeit vom Geburtsjahrgang schrittweise erfolgen und vollständig für den ersten Jahrgang bis spätestens 2035 abgeschlossen sein."

Rasante Alterung der Gesellschaft

Kaum hatte die Legislaturperiode begonnen, setzte Sozialminister und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) noch einen drauf: Die Rente mit 67 solle nicht erst bis zum Jahr 2035, sondern schon bis 2029 vollständig eingeführt sein. Müntefering begründete die Beschleunigung der Rentenreform mit der rasanten Alterung der Gesellschaft und dem dadurch drohenden Anstieg der Rentenbeiträge.

Im März 2007 wurde seine Reform von der großen Koalition beschlossen. Das gesetzliche Rentenalter wird dem Gesetz zufolge ab 2012 schrittweise angehoben, zunächst um einen Monat und ab 2024 um zwei Monate pro Jahr. Bis heute gilt Müntefering als Vater des Großprojekts.

Doch seither hadert die Partei mit der eigenen Reformfreudigkeit der Nach-Schröder-Ära: Linke Sozialdemokraten und Gewerkschaften stellen die bahnbrechende Rentenreform von 2007 immer wieder infrage. Im vergangenen Dezember setzten sie einen Parteitagsbeschluss durch, auf dessen Umsetzung sie jetzt pochen: Damals hatte die Partei beschlossen, den im Januar 2012 vollzogenen Einstieg in die Rente mit 67 wieder auszusetzen, "weil die Voraussetzungen für die Erhöhung derzeit nicht gegeben sind". Dies sei erst dann der Fall, wenn mindestens die Hälfte der über 60-jährigen Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien.

Steinbrück will Kurs halten

Diese Marke ist derzeit noch längst nicht erreicht — obgleich sich die Beschäftigungssituation der über 60-Jährigen gegenüber 2007 bereits verbessert hat. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, anders als die Parteilinke, nichts mehr ändern will. Während auch der rechte Seeheimer Kreis in der SPD die Forderungen der Gewerkschaften und Parteilinken abwehrt, sitzt SPD-Chef Sigmar Gabriel in der Mitte und versucht, zwischen den zerstrittenen Flügeln zu vermitteln.

Heraus kam dabei nun eine Äußerung, mit der Gabriel den Eindruck vermittelt hat, auch er wolle die Rente mit 67 abschaffen. "Wenn die Unternehmen weiterhin öffentlich über Fachkräftemangel klagen, aber die über 60-Jährigen aus dem Betrieb drängen, dann wird man die Lebensarbeitszeit nicht einfach heraufsetzen können", hatte der SPD-Vorsitzende unserer Zeitung gesagt. Dies wäre "am Ende nichts anderes als eine flächendeckende Rentenkürzung". Union und FDP überschütteten den SPD-Mann daraufhin am Wochenende mit Kritik und Häme.

Populistische Rolle rückwärts

FDP-Chef Philipp Rösler warf Gabriel eine "populistische Rolle rückwärts" vor. Er falle Steinbrück mit seiner Abkehr von einer notwendigen Rentenpolitik in den Rücken. "Ob Agenda 2010 oder die Rente mit 67: Die SPD macht die Rolle rückwärts, verweigert sich der Realität und versündigt sich an der Gerechtigkeit zwischen den Generationen", sagte auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Gabriel wolle ein linkes Programm für Steinbrück zimmern, damit er der Kanzlerkandidat der gesamten Partei sein könne und nicht nur des rechten Flügels.

Derart hart angegangen, ruderte Gabriel gestern Nachmittag beim Landesparteitag der Bayern-SPD zurück. Er habe in dem Interview nicht gesagt, dass die Rente mit 67 wieder abgeschafft werden solle. Er habe aber darauf verwiesen, dass es unfair sei, die Lebensarbeitszeit dann zu verlängern, wenn Betriebe Ältere weiterhin "rausschmissen".

Steinbrück stellte sich voll hinter den Parteichef und betonte, bei Gabriel gebe es keinen Kursschwenk. Der Parteichef habe lediglich den Parteitagsbeschluss vom Dezember wiedergegeben. Seine Aussagen hätten aber "einen wahnsinnigen Drall" bekommen.

Beide hoffen nun auf ein Ende des parteiinternen Streits bis zum 24. November. Dann soll ein Parteikonvent eine Grundsatzentscheidung über den weiteren Kurs der SPD in der Rentenpolitik fällen. Dabei wird es neben der Rente mit 67 auch darum gehen, auf welches Einkommensniveau die Rente bis 2030 sinken soll. Ein vorbereitendes Papier Gabriels enthielt keine Aufkündigung der Rente mit 67, stattdessen ist die Rede davon, die Lebensarbeitszeit weiter zu verlängern, sollten die Finanzen der Rentenversicherung dies erfordern.

(mar)
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