Interview mit der Grünen-Vorsitzenden Roth "Die Politik versagt in der Krise"

Berlin · Claudia Roth managte einst die Band "Ton, Steine, Scherben". Heute ist sie Bundesvorsitzende der Grünen. Im Interview mit unserer Redaktion spricht sie über den Einfluss von Politik angesichts von Krisen, Freundschaften in der Politik und die Rolle von Musik.

Claudia Roth - gelernte Rock'n'Rollerin
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Frau Roth, sind Politiker angesichts der großen Krisen in der Welt oft überfordert?

Roth Gerade nach dem Klimagipfel in Durban hatte ich dieses Gefühl, dass der Druck und die Probleme zu groß werden. Der weltweite CO2-Ausstoß wächst in monströsen Dimensionen. Wissenschaftler stellen inzwischen fast apokalyptische Prognosen über den Klimawandel an. Und wie reagiert die Weltpolitik? Die beschließt gerade mal einen Fahrplan, wie weiter verhandelt werden soll. Das ist für mich ein unglaubliches historisches Versagen.

Hat die Politik nicht mehr genug Einfluss angesichts der Krisen?

Roth Eine egoistische und kurzsichtige Politik, die immer zuerst die eigenen Interessen absteckt, ist nicht mehr in der Lage zu agieren. In Durban hätten Beschlüsse gefasst werden können. Aber die Politik versagt angesichts der Klimakrise, der Hungerkrise und der Finanzmarktkrise. Die Kanzlerin wird in der Finanzkrise innenpolitisch von der Opposition hart kritisiert.

Können Sie auch etwas Positives über Angela Merkel sagen?

Roth Es ist mir ein Rätsel und ich habe großen Respekt davor, wie sie die vielen internationalen Gipfel, die vielen nächtlichen Sitzungen und den fast unmenschlichen Druck aushält. Zumal sie innenpolitisch zurzeit einen Laden zusammenhalten muss, in dem es keinen Zusammenhalt mehr gibt. Sie hat mit der FDP einen Koalitionspartner, der nicht regierungsfähig ist. Merkel hat meinen Respekt. Sie macht aber die falsche Politik.

Kann man in der Politik Freundschaften pflegen?

Roth Kaum. Schon allein der zeitliche Druck macht es schwer, Freundschaften zu pflegen. Ein guter Anker ist immer die Familie und sind andere langjährige private Bindungen. Wer das nicht hat, ist diesem Betrieb vollkommen ausgeliefert.

Haben Sie echte Freunde in der Politik?

Roth Ja, ein paar echte Freunde habe ich. Es gibt in der Partei ein paar Leute, über die ich sage: Auf die kann ich mich 100 Prozent verlassen.

Was machen Sie persönlich, um abzuschalten?

Roth Ich habe mit dem Eintritt in die Politik mein Vorleben nicht ganz aufgegeben. Ich habe viele alte Freunde, die mich über die Jahre begleitet haben und die mich immer wieder erden. Auch meine zwei Schwestern bestehen immer wieder darauf, dass ich noch über andere Dinge spreche als über Politik.

Haben Sie nicht sogar einen Vertrag mit den alten Band-Mitgliedern von "Ton, Steine, Scherben" geschlossen, dass Sie auf dem Teppich bleiben müssen?

Roth So ähnlich, aber es ist kein Vertrag über einen Teppich, sondern über Zeit und Zuhören. So einen Vertrag gibt es mit dem Schlagzeuger und mit dem Keyboarder. Vom Keyboarder habe ich aber schon mehrere Male die gelb-rote Karte gesehen.

Was sagt er dann beispielsweise?

Roth Er hat mir mal seine Sorgen erzählt, wie anstrengend es ist, wenn ein Kind Zähne bekommt und wie schwierig es manchmal ist, die Miete zu bezahlen. Ich war in dem Moment aber mit den Gedanken ganz woanders, weil wieder so viel los war in der Politik. Da hat er mir dann vorgeworfen, dass ich nicht mehr wahrnehme, welche Probleme meine Freunde haben und mit welchen Problemen manche Menschen im Alltag zu kämpfen haben.

Haben diese Verträge Einfluss auf Ihre Politik?

Roth Klar. Ich frage mich immer mal wieder, was der eine oder andere wohl dazu sagen würde.

Ähneln sich Politik und Show-Business in Sachen Inszenierung?

Roth (lacht) Die Politik ist schlechter. Ich bin oft gefragt worden, ob es nicht ein großer Bruch war, als ich aus der Kultur in die Politik gegangen bin. Aber Politik ist ja auch Bühne. Politik ist auch Kostüm und Maske vor Auftritten. Wenn jetzt einer Ihrer Freunde sagt, dass Sie dringend mit der Politik aufhören müssen, um nicht zu verderben.

Wen würden Sie heute gerne managen: Rolf Zuckowski, Robbie Williams oder David Garrett?

Roth Ich würde das kombinieren und sagen: David, jetzt bringen wir dich mal mit Robbie zusammen. Das wäre doch ein cooles Duo: David Garrett meets Robbie Williams. Einen allein zu managen, wäre mir zu langweilig.

Was schätzen Sie an David Garrett?

Roth Der wäre ein richtig guter Wirtschaftsminister, so wie der sich vermarktet. (lacht) Der macht klassische Musik populär, die ja oft etwas elitär daherkommt. Ich finde es einfach cool, wenn er in den Fernseh-Shows mit seinen Nieten-Jeans und seinen silbernen Gürteln auftritt. Sie sehen, ich habe genau hingeguckt.

Was hören Sie gerade?

Roth Der Sound der letzten Monate war für mich von Tim Bendzko "Nur noch kurz die Welt retten", in dem auch die Zeile vorkommt "noch kurz 148 Mails checken". Da dachte ich: Nur 148 Mails, das ist ja nix. Aber es hat einfach gepasst, weil ich dieses Jahr so närrisch viel unterwegs war, allein im Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern 4000 Kilometer. Der Kleinbus ist dabei endgültig mein Zuhause geworden. Da haben wir auch den Song rauf und runter gehört. Dabei konnte ich entspannen und mich zugleich auf meine DJ-Tätigkeit z.B. in Greifswald vorbereiten.

Was legen Sie auf als DJ?

Roth Eine brutale Mischung von Marianne Rosenberg bis Peter Fox mit seinem "Haus am See". Auch Amy Winehouse oder Disko Partizani von DJ Shantel. Nur, wenn ich dann von Gitte Haenning "Ich will ‘nen Cowboy als Mann" auflege, sind viele irritiert.

Sie treten ja auch in den Chart-Shows der Privatsender auf. Macht Ihnen das Spaß?

Roth Als ich das vor Jahren das erste Mal gemacht habe, haben viele Kollegen von Ihnen unglaublich die Nase gerümpft. Ich mache das aber gerne, weil es auch zu mir und meiner Geschichte gehört. Und Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen mich darauf ansprechen und es demzufolge gesehen haben. Ich mache auch nur bei Sendungen mit, in denen es um Musik geht, die etwas mit mir zu tun hat. Die 50 besten Mallorca-Hits bewerte ich nicht.

Sie waren in diesem Jahr erstmals bei "Mainz bleibt Mainz" dabei. Sind die Grünen damit endgültig im Bürgertum angekommen?

Roth Das war die Suche nach der deutschen Leitkultur. Damit ist die Behauptung, es gebe eine deutsche Leitkultur, endgültig geplatzt. Als allemannische Schwäbin war das für mich eine Erfahrung der besonderen Art.

Was ist eigentlich mit Bionade-Bürgertum gemeint?

Roth Das ist der Versuch, Menschen, die grün denken und oft auch grün wählen, in eine Klischee-Ecke zu stellen. Es gibt ein großes Bedürfnis in der Gesellschaft gesund zu leben und sich mit guten Lebensmitteln zu ernähren. Aber gesund zu leben, darf nicht eine Frage des Geldbeutels sein. Wir müssen die ökologische Frage mit der sozialen Frage verknüpfen.

Wollen Sie 2012 als Parteichefin nochmals antreten?

Roth Jetzt lassen Sie das Jahr 2012 doch erst mal beginnen. Mit der Aufstellung werden wir uns dann beschäftigen.

Und wer soll "Wetten dass?" moderieren?

Roth (denkt nach) Erst mal muss man überlegen, wie sich die Sendung verändern soll. Einfach jemand anderen in Gottschalks Klamotten stecken, wird nicht funktionieren. Ich finde, Barbara Schöneberger ist geeignet. Die soll sich einen männlichen Assistenten an die Seite stellen. Das würde funktionieren.

Ihre Haarfarbe war immer wieder Tuschelthema. Jetzt scheinen Sie aber den richtigen Ton gefunden zu haben. Lange nicht mehr gewechselt.

Roth Ich habe am Donnerstag einen Termin. …..

Michael Bröcker und Eva Quadbeck sprachen mit der Grünen-Parteichefin Claudia Roth

(das)
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