Grünen-Chef Cem Özdemir im Interview "Die Politik der Kanzlerin ist gefährlich"

Grünen-Chef Cem Özdemir spricht im Interview mit unserer Redaktion über eine mögliche rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene ab 2013, über die Vergemeinschaftung von Schulden in der Euro-Zone und den Umgang Angela Merkels mit den Krisenstaaten.

Cem Özdemir – vom Parias zum Liebling der Grünen
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Herr Özdemir, die Linken machen SPD und Grünen gerade den Hof. Ist 2013 auf Bundesebene ein rot-rot-grünes Bündnis möglich?

Özdemir Wenn die Linken das Koalitionsangebot ernst meinen, dann müssen sie realistische Konzepte für einen ausgeglichenen Haushalt und zur Schuldenbremse vorlegen. Auch die Außenpolitik steht einer Koalition im Weg: Isolationismus und Europafeindlichkeit gehen mit den Grünen nicht. Zudem muss die Linkspartei noch klären, wie ihr Verhältnis zur DDR-Vergangenheit ist. Ich erkenne noch nicht, dass sie sich in diesen Feldern in die richtige Richtung bewegt.

Können Sie sich eine Tolerierung auf Bundesebene durch die Linkspartei oder durch die Piraten vorstellen?

Özdemir Die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt braucht eine stabile Regierung. Wir sehen ja in der Euro-Krise und bei der Energiewende, welche fatalen Folgen es hat, eine Regierung zu haben, die nicht weiß, was sie will. Deshalb braucht Deutschland ab September 2013 eine stabile Regierung mit eigener Mehrheit. Das ist nach Lage der Dinge eine rot-grüne Regierung oder eine große Koalition unter Führung der Union.

Warum setzen Sie nur noch auf Rot-Grün, obwohl Sie mit dem Kurs "Grün pur" erfolgreicher waren?

Özdemir Es muss immer eine programmatische Grundlage geben. Wir setzen immer noch auf Grün pur, aber ich glaube, dass sich bei der Bundestagswahl 2013 grüne Politik am besten in einem Bündnis aus Grünen und SPD realisieren lässt.

Den Umfragen zufolge können Sie von dieser Aussage aber nicht profitieren.

Özdemir Jedem Vernünftigen war vor anderthalb Jahren klar, als wir bei Umfragen über 20 Prozent im Bund lagen, dass wir das nicht werden halten können. Wir sollten uns aber nicht auf 13 Prozent ausruhen, sondern möglichst breit Wählerinnen und Wähler ansprechen. Nur mit starken Grünen wird der Regierungswechsel im nächsten Jahr gelingen, können wir eine große Koalition der Bequemlichkeit verhindern.

SPD-Chef Gabriel will in der Euro-Krise die Haftung für Schulden vergemeinschaften und die Staaten schärfer kontrollieren. Ist das sinnvoll?

Özdemir Ich unterstütze die Idee von Gabriel schon deshalb, weil sie bei den Grünen Programmlage ist. Wir setzen uns für den Vorschlag des Sachverständigenrates ein, der einen Schuldentilgungsfonds vorsieht. Ohne eine kontrollierte und begrenzte Vergemeinschaftung der Schulden kommen wir aus der Krise nicht heraus. Die Haltung der Bundesregierung dazu ist nicht ehrlich. Sie lehnt eine Vergemeinschaftung der Schulden ab, gibt aber keine Antwort auf die Frage, wie die Schulden in Europa bewältigt werden sollen. Dabei sorgt sie für eine Schulden-Vergemeinschaftung durch die Hintertür, indem sie immer mehr Risiken bei der Europäischen Zentralbank aufbaut.

Die Bundesregierung setzt vor allem auf Haushaltsdisziplin.

Özdemir Mit Haushaltsdisziplin alleine lässt sich die Euro-Krise nicht lösen. Die Politik der Bundeskanzlerin setzt die anderen Staaten so unter Druck, dass Regierungen aufgrund der drastischen wirtschaftlichen Folgen kippen und die Demokratien dort gefährden.

Wie wollen Sie Ihre Haltung zum Euro im Wahlkampf erklären?

Özdemir Klar, immer nur zu sagen, man verteidige beinhart das deutsche Geld, ist leichter, als deutlich zu machen, welchen Wert Europa für uns hat. Deutschland profitiert wie kaum ein zweites Land in Europa von der EU und der Gemeinschaftswährung. Ich prophezeie, dass die CDU sich wird letztlich entscheiden müssen, auf welcher Seite der Barrikade sie steht. Steht sie auf der europäischen Seite ihrer eigenen Tradition? Oder steht sie aufseiten von FDP und CSU, die aus Wahlkampfgründen mit der Zukunft Europas und des Euro spielen? Merkel muss zeigen, ob sie nur Parteipolitikerin oder ob sie Staatsfrau ist.

Hat Merkel denn genug Entscheidungsspielraum in der Euro-Krise?

Özdemir Sie ist eigentlich in einer komfortablen Lage. Denn sie hat eine pro-europäische Opposition. Leider macht die Kanzlerin zu wenig aus dieser Position.

Der italienische Regierungschef Mario Monti meint, dass die Parlamente in der Euro-Krise zu viel Macht haben.

Özdemir Die Letzten, die sich über diese Äußerung von Monti kritisch äußern können, sind Mitglieder der Bundesregierung. Sie haben selbst versucht, die Rechte des Parlaments in Fragen der Euro-Rettung zu umgehen, und haben dafür eine schallende Ohrfeige vom Bundesverfassungsgericht erhalten.

Sie können sich aber kritisch äußern.

Özdemir Ich finde, Herr Monti attackiert die Falschen. Die Parlamente müssen seine Partner sein. Es gibt eine Lösung der Krise in Europa nur mit den Parlamenten und mit den Bürgern. Montis Sorge ist, dass populistische Parteien immer stärker werden. In Italien heißt der Populismus Berlusconi. Er weist zu Recht darauf hin, dass durch die Krise verursachte Massenarbeitslosigkeit dieser Entwicklung Vorschub leisten kann.

(qua)
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