Bundeskanzlerin im Sommerinterview Die Methode Merkel

Berlin · Isoliert in Europa, unter Beschuss der Opposition, kritisiert vom Bundespräsidenten: In der Euro-Krise steht die Kanzlerin unter Druck. Dennoch hat sie ihr Konzept und ihre Sprache gefunden.

 Angela Merkel im Sommerinterview.

Angela Merkel im Sommerinterview.

Foto: dpa, ZDF, Jürgen Detmers

Die Kameras sind noch aus, da witzelt Kanzlerin Angela Merkel im Vorgespräch mit ZDF-Moderatorin Bettina Schausten über ihren vermeintlich größten Schwachpunkt in der Euro-Krise. "Ich muss ja auch erklären", sagt Merkel kurz vor dem Sommerinterview und bittet damit indirekt um möglichst großzügige Zeit für ihre Antworten. Das mangelnde Erklären ihrer Europapolitik hatte unlängst Bundespräsident Joachim Gauck zum Gegenstand seiner Kritik an Angela Merkel gemacht. Die Kanzlerin, wie so oft gut gelaunt und spürbar entspannt, ignoriert das Staatsoberhaupt im Interview dann aber. "Jeder hat seine Funktion", sagt Merkel lapidar. Die Äußerungen des Bundespräsidenten wolle sie nicht kommentieren.

Auch bei den anderen brisanten Themen lässt Merkel die Fragen der Moderatorin an sich abperlen. Eine Niederlage beim EU-Gipfel in Brüssel kann die Regierungschefin entgegen den europaweiten Interpretationen nicht erkennen ("Das entspricht nicht den Tatsachen"). Es bleibe dabei, dass Finanzhilfen nur gegen Reformen und kontrolliert durch europäische Institutionen vergeben würden, sagt sie. Eine Politik der Solidarität ohne Kontrolle, da wird Merkel eisern, "hat mit mir keine Chance".

Auch wenn die Bundeskanzlerin beim letzten EU-Gipfel tatsächlich Zugeständnisse machen musste, deren konkrete Ausarbeitung aber noch erfolgen muss, hat Angela Merkel in der Euro-Krise ihre Sprache und ihr Konzept gefunden. Die CDU-Vorsitzende will sich — nicht zuletzt im Bundestagswahljahr — als gelassene Sachwalterin der deutschen Steuergelder präsentieren, ohne das Ziel eines integrierten Europa aus den Augen zu verlieren. Den Euro retten, ja. Europa stärker integrieren und institutionell ausbauen, auch das. Aber nur, wenn dieses Europa eine "Stabilitätsunion" wird, bei der sich alle an die Regeln halten. "Der Euro ist für unseren Wohlstand gut", so Merkel.

In diesen Tagen trägt die Bundeskanzlerin stets eine kleine Grafik mit sich herum, die ihre Politik anschaulich machen soll. Darin vergleicht das Statistische Bundesamt die Zinssätze für Staatsanleihen der Euro-Staaten mit der Wettbewerbsfähigkeit des Landes, gemessen an den Lohnstückkosten. Das Ergebnis: Euro-Staaten können sich günstiger an den Finanzmärkten Geld leihen, sprich: Die Zinssätze für deren Staatsanleihen sinken, wenn sie ihre Länder durch Arbeitsmarkt- und Sozialreformen fit gemacht haben. Das Beispiel Irland belegt das. Aber auch für Portugal ist nach den massiven Reformen und Sparmaßnahmen der Regierung eine Entspannung bei den Zinssätzen zu erkennen. Merkels Botschaft: Wer sich anstrengt, wird belohnt.

An ihrer Forderung nach Reformen als Gegenleistung für finanzielle Hilfen will sie deshalb auch im Fall des völlig überschuldeten Griechenland festhalten. Den marktschreierischen Ton ihres Koalitionspartners CSU, Griechenland solle doch die Euro-Zone verlassen, übernimmt sie nicht.

Den Bericht der Finanzkontrolleure von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds ("Troika") will Merkel abwarten, bevor sie das weitere Vorgehen kommentiert. Sicher ist, dass Merkel kein Aufweichen der Reformauflagen für Athen akzeptieren wird. Sonst, so versichern ihre Berater, würde die Kanzlerin ihre gesamte Politik konterkarieren und die übrigen Krisenländer zu Nachverhandlungen ihrer Programme animieren. Dass Merkels ohnehin lädierte Reputation in Griechenland dadurch weiter leidet, nimmt sie hin. Die "Logik und die Vernunft" seien auf ihrer Seite, heißt es im Kanzleramt. Man könne nicht einfach Geld überweisen, wenn das Land nicht grundlegende Änderungen selbst vollziehe. Zudem hält sich Merkels Vertrauen in den griechischen Ministerpräsidenten Antonis Samaras in engen Grenzen — obwohl der ein Konservativer ist.

Angela Merkel ist im siebten Jahr ihrer Kanzlerschaft mit sich im Reinen. Die 57-Jährige, der oft Beliebigkeit, ein fehlendes Leitmotiv und vor allem ein Fremdeln mit Europa vorgeworfen wurden, kultiviert in der Euro-Krise die "Methode Merkel". In ihren Regierungserklärungen verbreitet die Kanzlerin immer wieder eine Botschaft: Schuldenkrisen lassen sich nicht durch neue Schulden bekämpfen. Und: Europa könne stärker aus der Krise herauskommen, als es hineingeraten ist. Ausgerechnet bei ihrem Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) hat sich Merkel das Muster abgeguckt: fördern und fordern. Das Prinzip der Schröder'schen Sozialreformen für den Umgang mit Langzeitarbeitslosen wendet Merkel nun auf den Umgang mit überschuldeten Euro-Staaten an.

Für die deutsche Regierungschefin ist seit Langem klar, dass ihr Krisenmanagement über den Ausgang der Bundestagswahl 2013 entscheidet. Dass die Deutschen bisher mehrheitlich der Physikerin aus dem Osten das Lösen der Probleme in der Euro-Zone zutrauen, erwähnt die Kanzlerin gerne.

Das immer lauter werdende Grummeln in ihrer Koalition dagegen weniger. Die Berichte über das vermeintliche Einknicken Merkels beim EU-Gipfel haben in den Bundestagsfraktionen von Union und FDP zu massivem Unmut geführt. Sollte Merkel den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM tatsächlich zu einem direkten Finanzier für Krisenländer-Banken machen oder Reformauflagen für Schuldenstaaten aufweichen, droht Aufstand in den eigenen Reihen. Bei CSU und FDP ist der Hang zur Revolution ausgeprägt. CSU-Chef Horst Seehofer knüpfte erst gestern in der ARD das Ja seiner Abgeordneten zu Hilfen für Spanien an die Bedingung, "dass für diese Hilfe der spanische Staat haftet". Auch in der Bevölkerung könnte die Pro-Europa-Stimmung kippen. Angela Merkel weiß das. Anmerken lässt sie es sich bislang nicht.

(brö)
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