Viele EU-Normen überflüssig Die krumme Gurke ist nur der Anfang

Düsseldorf (RPO). Eine Gurke wurde zu einem Symbol: Brüsseler Bürokraten legten vor 20 Jahren fest, wie krumm das Gemüse sein darf. Ab dem 1. Juli hat die Gurkennorm ein Ende. Doch es gibt - trotz Bürokratieabbau - viele Bereiche, in die sich die Europäische Union einmischt.

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Foto: ddp

Brüssel hat einen langen Arm - und er ist vermutlich kerzengerade. Die Regelwut der Bürokraten in der EU-Verwaltung ist legendär. Ausgerechnet eine Gurke brachte das Faible für Normen auf den Punkt. Hinter der Ordnungsnummer 1677/88 verbarg sich Haarsträubendes: Nach der Verordnung von 1988 mussten Gurken der Extra-Klasse bisher "gut geformt und praktisch gerade sein". Als "maximale Krümmung" wurden gerade mal zehn Millimeter auf zehn Zentimeter Gurkenlänge akzeptiert.

Jetzt wird das Symbol für Brüsseler Bürokratie zu den Akten gelegt. Zum 1. Juli wird der 20 Jahre alte Gurken-Paragraph nun endgültig aus den Amtsbüchern gestrichen. Darunter sind beliebte Früchte wie Aprikosen, Kirschen, Melonen und Pflaumen und gut gehendes Grünzeug wie Möhren, Kohl und Spargel. Die zuständige Kommissarin Mariann Fischer Boel sprach im letzten November gar von einem "Neuanfang für die krumme Gurke und die knorrige Karotte".

Bürokratieabbau vorantreiben

Einziger Wermutstropfen: Zehn Fruchtsorten wie Äpfel, Tomaten und Erdbeeren müssen auf einen Neuanfang warten - und nicht nur sie. Fischer Boel sprach von einem "konkreten Beispiel für den Bürokratieabbau" in der EU. Den geht derzeit übrigens der ehemalige Bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber als Vorsitzender einer Kommission zur Reduzierung der "Verwaltungslasten" an.

Viel zu tun gibt es nämlich auch jenseits von Früchten: Die Höhe von Traktorensitzen, Leitern, Lauflernhilfen, Astlöcher (abgeschafft), Lebensmittelverpackungen, Kindersitze, die Qualität von Schnittholz (bereits abgeschafft) oder Kondome (weitere Regelungen finden Sie hier). Wegen der EU-Normen muss das Medikament Paracetamol, ein seit Jahrzenhnten auf dem Markt befindliches Schmerzmittel, immer wieder langwierige Tests durchlaufen.

Die meisten Normen kommen übrigens gar nicht aus Brüssel, sondern aus Genf. Dort kocht die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa ihr eigenes Süppchen und liefert nebenbei noch die Basis für die EU-Regeln. Immerhin stimmen 99 Prozent überein.

Sicherlich: Über viele Normen lässt sich streiten. Andere wiederum machen sicherlich Sinn - vor allem, wenn es um Sicherheit im Autoverkehr oder für Kinder geht. Oftmals ist die Sinnhaftigkeit aber auch nur eine Frage der Sichtweise - wie bei der Gurke.

Eine Frage der Sichtweise

Die Änderung sei gut für die Verbraucher, sagt die Kommission. Zwar sehe Obst und Gemüse dann oft nicht mehr so appetitlich aus. Aber je weniger in Konserven und auf dem Müll lande, desto stärker dürften die Preise sinken. Allerdings hat die Behörde die Rechnung ohne die Supermärkte und Discounter gemacht. Welche Lebensmittel den Kunden vorgesetzt werden, bestimmen Aldi, Lidl, Rewe und Co. maßgeblich mit. Dem Handel ist die Streichung der Normen ein Dorn im Auge. Denn sie sorgten für eine bessere Vergleich- und Stapelbarkeit.

Die Bundeslandwirtschaftsministerin will noch weitere Normen streichen. Allerdings droht Ilse Aigner ein heftiger Streit mit den Bauern: Der Deutsche Bauernverband (DBV) hält die Abschaffung der Obst- und Gemüsenormen für "unverständlich und nicht nachvollziehbar" und warnt vor einer "Wühlkiste" im Supermarkt. Man lernt: Auch die Brüsseler Bürokraten haben Fans.

Mit Agenturmaterial.

(AFP)
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