FDP-Parteitag feiert Westerwelle und Brüderle Die junge Garde trifft auf alte Kämpfer

Frankfurt · Der Streit um die Euro-Rettung prägt den FDP-Parteitag in Frankfurt. Doch die Delegierten nutzen die Gelegenheit auch, eine heimliche Sehnsucht nach den von der jungen Garde beiseite geschobenen alten Kämpfern auszudrücken. Hinter den Kulissen schlägt Parteichef Philipp Rösler derweil Pflöcke zur Finanzmarktregulierung ein.

Fast eine Stunde hat sich der Parteichef Philipp Rösler redlich bemüht. Und die Delegierten haben sich beim Sonderparteitag in Frankfurt auch dankbar von den Plätzen erhoben, als Rösler seine am Boden liegende Partei auffordert, wieder aufzustehen. Es ist eine undankbare Situation.

Das Zusammentreffen von Bildungsparteitag und Euro-Krise und Euro-Mitgliederentscheid hat dazu geführt, dass Rösler einer entscheidungsschwachen Partei vorzusitzen hat. Nur über Bildung zu debattieren, wie ursprünglich im Mai geplant, das wäre angesichts der Euro-Krise nicht glaubwürdig gewesen.

Aber in Frankfurt die achtstündige Debatte auch in eine Entscheidung münden zu lassen, das verbietet sich angesichts des laufenden Mitgliederentscheids. Also steckt Rösler zwischen Baum und Borke, versucht für den Vorstandsantrag zu werben und gleichzeitig die Gegner mit zu umarmen.

Parteitag wird zum geschlossenen Kampfkörper

Diesen Zwang hat der Ex nicht. Guido Westerwelle ist "nur noch Abgeordneter", wie er sagt, mit dem leisen Zusatz "und Außenminister". Aber in der Aussprache zum Bericht des Vorsitzenden, kann er noch einmal testen, wie das funktioniert, einen Parteitag mitzureißen.

Es dauert keine 30 Sekunden, da verwandelt sich der gemächlich vor sich hin debattierende Parteitag in einen scheinbar geschlossenen Kampfkörper, der mit donnerndem Applaus kundtut, dass er weiß, wohin die FDP will. "Wenn wir den Euro aufgeben, bedeutet das die Re-Nationalisierung Europas", ruft Westerwelle in die Messehalle. Die Lautstärke des Beifalls steigt sprunghaft an.

Und dann feuert Westerwelle Salve um Salve ab. Mit scheinbaren Selbstverständlichkeiten. Aber er setzt im Gegensatz zu Rösler in dessen Rede zuvor, jedes Wort so messerscharf genau, dass es einigen Delegierten so vorkommt, als spräche da wieder der Vorsitzende Westerwelle zu ihnen.

"Europa hat einen Preis, ja, aber Europa hat auch einen Wert. Wer das vergisst, macht einen historischen Fehler!" Tosender Applaus. So ähnlich hat es Rösler vorher auch gesagt. Aber in feineren Worten. Und viel, viel leiser. Und so schnell, dass die Zuhörer mit dem Verstehen auch immer ein wenig hinterher hinkten.

Bei Westerwelle kommt vielleicht auch ein wenig schlechtes Gewissen dazu. Das hat Tradition bei der FDP. Auch Wolfgang Gerhardt mutierte zum gefeierten Star, als er aus dem Amt des Vorsitzenden gejagt war.

Westerwelle kämpferisch, Rösler unsicher

Vielleicht erinnern sich die Abgesandten der Basis auch daran, wie solchen kämpferischen Reden Westerwelles traumhafte Wahlerfolge folgten. Rösler verfolgt das Schauspiel, das vorübergehend die Parteitagsregie sprengt, mit unsicherer Mine. Allerdings wirkt Rösler meistens so, als sei er unsicher.

Jedenfalls wird aus Frankfurt nicht Mannheim. Damals hatte sich bei der SPD ein Vorsitzender Rudolf Scharping redlich abgemüht, der SPD wieder Kampfkraft zu geben. Oskar Lafontaine haute dann in Mannheim so rein, wie Westerwelle nun in Frankfurt.

Aber Lafontaine forderte Scharping heraus. Und besiegte ihn. Westerwelle stellt sich indes eindeutig hinter Rösler, will ihn letztlich stärken. Dass die Delegierten ihm bei diesem Manöver regelrecht zujubeln, dürfte er mit Wohlgefühl in Kauf nehmen.

Zwei Stunden später zeigt ein anderes liberales Streitross, dass es da neben Westerwelle auch noch einen weiteren gestandene und erfahrene Kämpfer gibt, der einen Parteitag mitreißen kann, als gälte es lediglich, die richtigen Knöpfe zu drücken.

Es ist Fraktionschef Rainer Brüderle, der väterlich beginnt. 40 Jahre sei er nun in der FDP. Da habe es gute und weniger gute Zeiten gegeben. Doch auch die schwierigeren Phase hätten die Liberalen immer durchgestanden, weil sie ihren "aufrechten Gang nicht verlernt" hätten. Das wirkt.

Auch Brüderles Spott für den Koalitionspartner CDU kommt in Frankfurt gut an. Beim letzten Parteitag in Leipzig 2003 hätten die Christdemokraten noch die Steuererklärung auf dem Bierdeckel beschlossen, nun würden sie am Montag in Leipzig vermutlich den Mindestlohn beschließen.

"Lasst sie machen, denn es gibt uns!"

Brüderle gönnt es der CDU, aber mit einer vergifteten Erläuterung: "Jeder hat das Recht sich so weit selbst zu sozialdemokratisieren, wie er will." Ihm komme es so vor als handele die CDU nach dem Motto "occupy SPD-Politik". Nach kleiner Pause für den Beifall, schlägt Brüderle rhetorisch richtig zu: "Lasst sie machen, denn es gibt uns!"

Den Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann führt er vor, weil dieser 800 Kilometer mit dem Hubschrauber flog und seinen Wagen hinterherfahren ließ: "Ist das die neue Ökologie-Politik der Grünen?" Noch klatschen die Delegierten amüsiert.

Dann ruft Brüderle dazu auf, den "Pharisäeren" die Maske herunter zu ziehen. Damit landet nun auch Brüderle tosenden Beifall. Einen hat er noch. Mindestens. Er verbittet sich Belehrungen der SPD in der Finanzmarktkrise. Schließlich habe Rot-Grün den Derivate-Handel erst möglich gemacht. In Brüderle-Deutsch heißt das: "Die haben den Drachen der Finanzmärkte kräftig gefüttert, und nun kommt Steinbrück und will gerne Siegfried sein."

"Lieber mal 'ne Wahl verlieren als den Verstand."

Brüderles Schlussspurt gilt ebenfalls dem Aufrichten der geschundenen Partei. Er macht es einfach. Und mit einer neuen Sprachschöpfung: Es gehe darum, im Zweifel immer zu den eigenen Überzeugungen zu stehen. Brüderles Botschaft trifft den Nerv vieler Delegierter: "Lieber mal 'ne Wahl verlieren als den Verstand."

Derweil wird Röslers Rede am Rand des Parteitags diskutiert. Ein Wunsch: Er hätte in Sachen Finanzmarktregulierung ruhig ein wenig konkreter werden können. Dabei weiß Rösler längst, was er will. Denn er hat nach Informationen unserer Redaktion vor der Abreise nach Frankfurt dem Finanzminister einen Brief mit Vorschlägen geschrieben.

Darin gibt er gegenüber dem "lieben Herrn Schäuble" Klartext mit auf den Weg: In vielen Bereichen der Finanzmarktregulierung bestehe noch "großer Handlungsbedarf, dem wir gemeinsam schnellstmöglich nachkommen sollten", heißt es in dem Brief.

Beigelegt hat Rösler ein Arbeitspapier seines Wirtschaftsministeriums, in dem "die wichtigsten Positionen im Bereich der Finanzmarktregulierung formuliert" werden.

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