Interview "Die Herzen und Köpfe der Afghanen gewinnen"
Berlin (RP). Über den wachsenden Druck auf Deutschland vor der Sicherheitskonferenz in München sprach unser Redakteur Gregor Mayntz mit mit dem Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Rudolf Adam.
Die USA üben jedes Jahr vor der Münchner Sicherheitskonferenz Druck auf Deutschland aus. Warum fällt er dieses Mal so heftig aus?
Adam Ich kann nicht sehen, dass er dieses Mal sehr viel heftiger ausfällt als in den Vorjahren. Ich erinnere mich noch an die Begegnung zwischen dem damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und dem damaligen Außenminister Joschka Fischer. Das war eine Konfrontation, wie ich sie in dieser Form in diesem Jahr nicht wieder erwarte. Insofern sind wir nicht in einer schärferen Situation als in früheren Jahren.
Das Trommelfeuer auf Deutschland, seine Truppen auch in Südafghanistan einzusetzen, erscheint doch stärker als in den Vorjahren.
Adam Es ist stärker geworden. Aber das war absehbar seit dem letzten Herbst. Seit die Situation im Süden Afghanistans sich nicht, wie wir alle erwartet hatten, verbessert hat, sondern eher zur Verschlechterung neigt, stellt sich die Frage: Wie werden wir mit diesem Problem fertig? Wenn Sie mit kanadischen, niederländischen oder britischen Kollegen sprechen, dann sehen Sie sehr deutlich, dass die hohen Verluste diesen Ländern stark zu schaffen machen.
Wird Deutschland denn auch dieses Mal dem Druck standhalten können?
Adam Die Regierung hat klar Position bezogen. Wir werden die Quick Reaction Force in den Norden entsenden. Und es ist völlig klar: Wenn es wirklich eine Notlage gibt, dann ist die Solidarität in ganz Afghanistan eine Selbstverständlichkeit, genauso wie wir auch die Hilfe unserer Verbündeten erwarten, wenn wir im Norden in eine Situation kommen sollten, wo unsere eigenen Kräfte zu einer Evakuierung nicht mehr ausreichen.
Die Quick Reaction Force wird rund 250 Soldaten haben. Die Amerikaner sprechen aber in Größenordnungen von mindestens 3200, die auf absehbare Zeit zusätzlich nötig seien.
Adam Das kommt daher, dass sie selbst 3200 Marines kurzfristig zusätzlich nach Afghanistan entsandt, diese Verstärkung aber zeitlich befristet haben und nun Druck ausüben, damit die Nachfolge dieses Kontingentes durch andere Nato-Mitglieder gesichert ist.
Kanada droht mit dem Abzug aller Truppen, wenn nicht massive Unterstützung in den Süden kommt. Wie ist das zu lösen?
Adam Hier muss man deutlich unterscheiden, wer diese Drohung ausspricht. Natürlich gibt es im kanadischen Parlament eine wachsende Unruhe. Auch die kanadische Öffentlichkeit sieht die Verluste in Afghanistan mit sehr gemischten Gefühlen. Die kanadische Regierung weiß aber, dass die Aufgaben in Afghanistan nicht in einem Jahr zu lösen sind und dass es ein fatales Zeichen wäre, wenn die Nato-Solidarität in dieser Frage unabgestimmt auseinander brechen würde.
Droht tatsächlich eine Spaltung der Nato, wie Verteidigungsminister Gates das in seinem Brief für Afghanistan bereits festgestellt hat?
Adam Nein, ich sehe keine Spaltung der Nato. Aber ich sehe, dass der Druck auf verschiedene Nato-Mitglieder anwächst.
Wohin kann das führen?
Adam Es wird vor allem dazu führen, dass wir uns im Bündnis noch einmal sehr kritisch überlegen, was eigentlich unsere strategischen Ziele in Afghanistan sind und mit welchen Methoden wir sie erreichen können.
Welche schlagen Sie vor?
Adam Wenn wir davon reden, dass wir die Herzen und Köpfe der Bevölkerung Afghanistans gewinnen müssen, dann kann ich mir vorstellen, dass wir noch stärker über eine Kommunikationsstrategie, über Aufklärungskampagnen nachdenken müssen. Dann ist der einzelne Kampf, die Frage, wer welches Dorf kontrolliert, vielleicht nicht gar so wichtig wie die Frage: Wie kann sich die afghanische Bevölkerung ein Bild von der Lage machen, in der sie lebt?
Kann Afghanistan trotz aller Bemühungen doch noch ein gescheiterter Staat werden?
Adam In Afghanistan wird im nächsten Jahr der Präsident neu gewählt. Wie die Wahlen verlaufen, welche Kandidaten antreten, das ist heute schwer absehbar. Es hat wenig Sinn, von einem gescheiterten Staat zu reden. Wir sollten allerdings wissen, dass Afghanistan auf absehbare Zeit ein äußerst prekärer Staat bleiben wird. Es setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass sich das Problem Afghanistan nicht lösen lässt, wenn nicht zumindest die Nachbargebiete Pakistans, in denen Taliban und Al-Qaida verstärkt Rückzugs- und Organisationsräume finden, Teil der Lösung werden.
Wie lässt sich diese Lösung forcieren?
Adam Indem man Pakistan unterstützt, verstärkt diese Gebiete zu kontrollieren und die Aktivitäten von Taliban und Al-Qaida unter Druck zu nehmen.
Die Linke fordert den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Was würde dann geschehen?
Adam: Das wäre die Aufkündigung der Nato-Solidarität. Die Afghanistan-Mission wurde 2001 mit den stärksten Worten begonnen: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat dazu aufgerufen, der Artikel 5 der Nato wurde in Kraft gesetzt, und der Bundeskanzler der rot-grünen Koalition hat den USA im Kampf gegen den Terror uneingeschränkte Solidarität versichert. Wir stellen Nato-Missionen grundsätzlich in Frage, wenn einzelne Nato-Mitglieder die Bündnissolidarität für sich nicht mehr gelten lassen wollen.