Interview mit Volker Kauder "Die Grünen begehen Verrat an der Bürgerbewegung"

Berlin · Ausgaben für moderne Heizungen und Wärmedämmungen sollen künftig kräftig von der Steuer absetzbar sei. Und auch massive Investitionen in den Breitbandausbau werden zum 10-Milliarden-Paket der Bundesregierung gehören. Das kündigte Unionsfraktionschef Volker Kauder im Gespräch mit unserer Redaktion an. Dabei ging er auch mit der SPD, den Linken und den Grünen hart ins Gericht.

Interview mit Volker Kauder: "Die Grünen begehen Verrat an der Bürgerbewegung"
Foto: dpa, Bernd Von Jutrczenka

10 Milliarden will die Koalition für Investitionen locker machen. Wissen Sie schon, wohin das Geld fließen soll?

Kauder Wir werden darüber im nächsten Jahr beraten. Die Gelder sollten in jedem Fall in zukunftsorientierte Investitionen fließen. Wir werden sicher die energetische Gebäudesanierung steuerlich begünstigen, aber auch in den Verkehr und das schnelle Internet investieren. Vor allem für den Breitbandausbau müssen wir deutlich mehr staatliches Geld in die Hand nehmen, sonst wird Deutschland beim Projekt "Industrie 4.0", also der Digitalisierung der Produktionsprozesse, seine momentane Vorreiterrolle verlieren. Hier aber weiter Spitze zu sein - davon hängt entscheidend die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland ab. Schnelles Internet ist gerade für unseren Mittelstand extrem wichtig, da die Produktion von Gütern eben noch vernetzter wird. Für mich hat damit die Finanzierung des Breitbandausbaus also Priorität.

Es soll für Privatleute attraktiver werden, ihre Häuser zu sanieren?

Kauder Das ist auch ein wichtiges Ziel. Gerade die ältere Generation will und kann keine Darlehen mehr aufnehmen. Ihr wäre mehr geholfen, wenn Sanierungskosten steuerlich besser abzusetzen wären. Wenn die Heizungsanlagen im großen Stil modernisiert würden, erreichten wir mehr beim Klimaschutz. Die Voraussetzungen für die Absetzbarkeit in dem Bereich sollten dabei nicht zu hoch geschraubt werden. Je mehr wir verlangen, umso weniger erreichen wir. Und wir wollen doch, dass die Menschen auf modernere Heizungen und bessere Wärmedämmung setzen.

Innerhalb der CDU wird intensiv für ein Abschmelzen der kalten Progression getrommelt. Wird der Kölner Bundesparteitag das mittragen?

Kauder Ich kann mir gut vorstellen, dass wir uns erneut für eine Korrektur der kalten Progression aussprechen. Aber ich rate dazu, das nicht mit einem Datum zu verbinden sondern an finanzielle Spielräume zu knüpfen. Der Abbau mag ein wünschenswertes Signal der Gerechtigkeit sein. Man muss aber auch sehen, dass die Entlastung für den Einzelnen kaum spürbar sein würde.

Die Wirtschaft kritisiert Rentenbeschlüsse, Mindestlohn und Frauenquote — ist der Parteitag der richtige Ort, ein neues Signal an die Wirtschaft zu senden?

Kauder Die Wirtschaft hat den von Wolfgang Schäuble gesetzten Wachstumsimpuls gelobt. Außerdem gilt: Was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, das setzen wir um. Darüber hinaus werden wir aber nicht gehen. Darauf kann sich auch die Wirtschaft verlassen.

Die SPD streitet um den Investorenschutz im geplanten TTIP-Abkommen der EU mit den USA. Hebelt das die politischen Gestaltungsmöglichkeiten aus?

Kauder Unsere Wirtschaft hält das für zwingend notwendig. Und vielleicht sollten wir uns bewusst machen, dass wir Deutsche bei vielen anderen Freihandelsabkommen darauf bestanden haben, dass ein Investorenschutz vereinbart wird. Investitionen brauchen Rechtssicherheit. Das Rechtssystem funktioniert nicht überall so gut wie in Deutschland. Da kann ich die Forderung der Amerikaner verstehen, da die sich ja die Justiz in allen EU-Ländern anschauen und allein der Rechtsschutz in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich ist. Sie wollen daher einen EU-weiten Investorenschutz. Über eine vernünftige Ausgestaltung müssen wir mit Ihnen reden. Das Freihandelsabkommen ist für uns mindestens so wichtig wie für die USA. Schauen Sie, was sich gerade im pazifischen Raum tut. Das sollten alle in der Koalition begreifen.

Wie finden Sie die neue Idee in der Flüchtlingspolitik, in Afrika "Willkommenszentren" aufzubauen?

Kauder Wenn ich betrachte, dass die Anerkennungsquoten aus manchen Ländern unter einem Prozent liegen, muss man sich schon überlegen, ob alle Antragssteller nach Deutschland kommen sollen, um sie dann wieder zurückzuschicken. Ich kann diesem Vorschlag auf den ersten Blick durchaus etwas abgewinnen. Dennoch müssen wir uns das im Detail noch genau anschauen.

Wird Deutschland angesichts der Kriege und Krisen noch mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen?

Kauder Wir müssen uns jedenfalls darauf einstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Zahl der Flüchtlinge im nächsten Jahr geringer sein wird als in diesem Jahr. Wenn wir uns nicht stärker engagieren für die Flüchtlingslager in den kurdischen und syrischen Gebieten, dann werden sich die Menschen auf den Weg nach Europa machen. Hunderttausende haben immer noch keine winterfesten Unterkünfte, obwohl der Winter jetzt beginnt. Die Unionsfraktion wird jetzt zwei Mitarbeiter in die Region entsenden und noch einmal prüfen, wie die Lage ist.

Was folgt daraus?

Kauder Natürlich muss vor allem die EU mehr tun, damit die Menschen winterfeste Quartiere bekommen. Aber das scheint mir weniger ein Geld- als ein Organisationsproblem zu sein. Offenbar müssen wir auf Ebene der Vereinten Nationen eine Einheit bilden, die aus dem Stand heraus besser solche Hilfe organisieren kann. Wir brauchen dringend eine Art Flüchtlingsfeuerwehr, die schnell die Organisation der Hilfe für eine große Zahl von Flüchtlingen übernehmen kann.

Braucht Deutschland ein Burka-Verbot?

Kauder Nach meinem Eindruck sind in Deutschland nicht sonderlich viele Burkas zu sehen, deshalb ist das derzeit kein Thema. Aber wenn das Phänomen deutlich zunähme, müsste man ernsthaft über ein Burka-Verbot auch in Deutschland nachdenken.

War der Auftritt von Wolf Biermann im Bundestag zum Mauerfallgedenken in Stil und Inhalt angemessen?

Kauder Ja!

Haben Sie Verständnis für die Kritik der Linken?

Kauder Das ist nun mal wirklich Sache des Bundestagspräsidenten, solche Einladungen auszusprechen. Die Linken sollten nicht so wehleidig sein. Sie sind mit moralischen Verurteilungen auch immer schnell bei der Hand. Und es trifft ja nun einmal zu, dass sich die Linken 25 Jahre nach dem Mauerfall immer noch sehr schwer tun mit ihrem Verhältnis zum Unrechtsstaat DDR, um es zurückhaltend auszudrücken.

Nimmt das Koalitionsklima Schaden, wenn Ihr Partner in Thüringen einen Linken zum Regierungschef macht?

Kauder Wir sind professionell genug, das eine vom anderen zu trennen. Es ist aber schon eine Zumutung, dass Thüringen ausgerechnet im Jahr des Gedenkens an das Ende von Mauer, Schießbefehl und Stasi einen aus der SED-Nachfolgepartei als Ministerpräsident bekommen soll. Viele Menschen gerade dort sind entsetzt. Das schadet der SPD. Und auch ich werde das der SPD nicht so schnell vergessen. Tief enttäuscht bin ich zudem vom Verrat an der Bürgerbewegung, den die Grünen in Thüringen begehen. Sie dürfen doch nicht umsonst den Namen Bündnis 90 tragen.

Sehen Sie nach der ersten Sterbehilfe-Debatte eine Mehrheit für eines der fünf Konzepte?

Kauder Ich war beeindruckt von der Debatte. Ich habe jetzt wirklich die Hoffnung, dass es eine Mehrheit für ein Verbot für jede Form der organisierten Sterbehilfe geben wird. Darauf können sich auch alle verständigen, die ansonsten unterschiedliche Positionen vertreten. Wir brauchen eine Antwort auf eine gesellschaftliche Fehlentwicklung mit Sterbebegleitvereinen, die den Tod sogar von der Höhe der Bezahlung abhängig machen.

Gregor Mayntz und Eva Quadbeck führten das Interview

(may-, qua)
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