Was auf Union und SPD zukommt Die großen Themen der großen Koalition

Berlin · Zentrale Weichenstellungen für die nächsten vier Jahre nahmen Union und SPD im Koalitionsvertrag vor, bei der ersten Regierungsklausur in zwei Wochen müssen sie klären, womit sie beginnen und wie weit sie sich vertrauen können – falls es angesichts des Skiunfalls von Merkel bei dem Termin bleibt.

 Probesitzen am Kabinettstisch. Doch jetzt wird es ernst für die große Koalition.

Probesitzen am Kabinettstisch. Doch jetzt wird es ernst für die große Koalition.

Foto: dpa, Maurizio Gambarini

Zentrale Weichenstellungen für die nächsten vier Jahre nahmen Union und SPD im Koalitionsvertrag vor, bei der ersten Regierungsklausur in zwei Wochen müssen sie klären, womit sie beginnen und wie weit sie sich vertrauen können — falls es angesichts des Skiunfalls von Merkel bei dem Termin bleibt.

Die Wähler haben zwar schon vor 15 Wochen entschieden, aber erst am Dreikönigstag legt die neue Regierung los. Bis Mitte Dezember hatten Union und SPD auf das Ergebnis des Mitgliederentscheides gewartet und damit darauf, ob sie überhaupt zusammen regieren werden, und nach einer kurzen Woche der Kanzlerwahl und Ministerien-Übernahmen waren alle in die Weihnachtsruhe geflüchtet. Etliche Minister hatten sich sogar verbeten, gestört zu werden. Und so geht die Arbeit erst heute richtig los.

Das Kabinett Merkel im Check
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Doch die spannende Frage, was Union und SPD nun als Erstes auf den Weg bringen wollen, wird erst in zwei Wochen beantwortet, wenn sich das Kabinett für zwei Tage zur Klausur ins Gästehaus der Bundesregierung auf Schloss Meseberg zurückzieht — vorausgesetzt, es bleibt bei dem Termin angesichts der Ski-Verletzung Merkels.

Dauerstreitthema Vorratsdatenspeicherung

Die absehbaren großen Projekte der großen Koalition haben bereits kurz nach dem Trocknen der Tinte unter dem Koalitionsvertrag ihre Sprengkraft offenbart. Das zeigt sich selbst bei einem simplen Thema wie der Vorratsdatenspeicherung. Alle Koalitionäre wollen sie, und insofern könnte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) aufatmen. Die Dauer-Blockade von FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gehört zusammen mit der streitbaren Dame der Regierungs-Vergangenheit an.

Doch nun hat ihr Nachfolger Heiko Maas von der SPD die Signale auf Rot gestellt: Bevor nicht die Europarichter über die entsprechende EU-Richtlinie entschieden hätten, wolle er mit den Arbeiten am Gesetzentwurf nicht beginnen. Darüber können leicht wieder Monate und Jahre ins Land gehen. Dabei hatte die Union die klare Absicht, die Strafverfolgungslücke nach den Wahlen schnellstmöglich zu schließen und dabei alle Einschränkungen vorbildlich zu erfüllen, die bei der künftigen EU-Rechtsprechung mutmaßlich zu erwarten sind.

Der erste handfeste Krach mit wechselseitigen verbalen Ohrfeigen tobte über die Weihnachtspause beim Thema Armutsmigration. "Dumme Parolen" warf die SPD der CSU vor, die schleuderte der SPD den Vorwurf "Heuchelei" zurück. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will die Wogen bereits vor der Meseberg-Klausur wieder geglättet haben und wird am Mittwoch im Kabinett einen von allen zuständigen Ministerien besetzten Staatssekretärs-Ausschuss ins Leben rufen, um die Armutsmigration analysieren zu lassen.

Mindestlohn und Energiewende

Die Kanzlerin richtet ihre dritte Regierungszeit an dem Vorsatz aus, dass es den Menschen in Deutschland am Ende der großen Koalition besser gehen soll. Deshalb stehen am Anfang die Gesetze, die noch mit den größten Verunsicherungen verbunden sind. So muss die Wirtschaft als Garantin für besseres Leben in Deutschland Klarheit unter anderem über den Mindestlohn und die Entwicklung der Stromkosten haben. Beides sind zentrale Herausforderungen für Arbeitsministerin Andrea Nahles und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Und bei beiden Projekten verfolgt der Koalitionspartner argwöhnisch jede Vorabfestlegung.

Wenn die CSU weitere Ausnahmen beim Mindestlohn für unausweichlich hält, die SPD aber jede Ausnahme ablehnt, spricht das nicht für harmonische Selbstreflexion. Auch das breite Themengebiet der Energiewende gleicht eher einem Minenfeld als einer übersichtlichen Agenda. Wenn Gabriel erste wegweisende Gesetzesformulierungen bereits vor Ostern präsentieren will, dürfte es in Meseberg durchaus rumpeln. Ähnliches gilt für das CSU-Lieblingsprojekt einer Maut.

Klausuren gelten in erster Linie der Arbeit an einem "Betriebsklima". Und das ist in der großen Koalition völlig anders als in rot-grünen oder schwarz-gelben Regierungszeiten. Solche Bündnisse zwischen Partnern mit vielen natürlichen "Schnittmengen" sind auf Dauer angelegt. Das Vertrauen soll nachhaltig aufgebaut werden, zu einem gemeinsamen Erfolg führen und zur Bestätigung des Bündnisses bei den nächsten Wahlen. Die große Koalition hat dagegen ein eingebautes Verfallsdatum. Spätestens in der heißen Phase des Wahlkampfes im Sommer 2017 werden beide Seiten klarmachen, warum die jeweils andere es nicht kann. Das Vertrauen steht also unter Vorbehalt.

Mit Blick auf die Zeit "danach" bringen sich die Strategen jetzt schon in Stellung. Die hessische Herausforderung durch die von Merkel ausdrücklich unterstützte erste schwarz-grüne Regierung in einem Flächenland beantwortete SPD-Chef Gabriel pragmatisch: Er holte Grüne als Staatssekretäre in drei SPD-Ministerien. Rainer Baake kennt sich in Gabriels Ministerium mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz aus — er hat es unter dem grünen Minister Jürgen Trittin selbst entworfen.

Merkel sorgt vor

Im Justizministerium ist der Grüne Gerd Billen für den Verbraucherschutz zuständig, und im Umweltministerium der den Grünen nahestehende Jochen Flasbarth für den Naturschutz. Das Signal verstärkte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) zusätzlich, indem sie Michael Schroeren künftig für sich sprechen lässt — er sprach bislang für die Grünen im Bundestag.

Offenheit über das jetzige Kabinett hinaus zeigen auch die anderen Parteien. So "übernahm" CSU-Chef Horst Seehofer den von FDP-Chef Philipp Rösler als Merkel-Sprecher installierten Georg Streiter. Er bleibt auf CSU-Ticket weiter im Amt. Und auch Guido Westerwelles (FDP) Außen-Staatssekretärin Emily Haber macht weiter: Sie wechselt als Innen-Staatssekretärin von einem FDP- zu einem CDU-Minister.

Vorsorglich schränkte Merkel schon einmal Gabriels Energiewende-Verantwortung zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung ein. Für dieses herausragende Projekt seien drei ehemalige Umweltminister verantwortlich, betonte sie. Damit meinte sie Gabriel im Wirtschaftsressort, Peter Altmaier (CDU) als Kanzleramtsminister und sich selbst. Merkel: Wenn Gabriel es schafft, die hoffnungslos über Kreuz liegenden Kontrahenten zusammenzubekommen, dann soll von Anfang an klar sein, dass er das nicht alleine geschafft hat. Die in Meseberg zu erwartende Demonstration von Gemeinsamkeit kann deshalb durchaus zweischneidige Folgen haben.

(may-)
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