Bundesregierung Die Groko hängt am seidenen Faden

Berlin · Die SPD drängt mit Macht aus der großen Koalition. Doch bei einem vorschnellen Bruch wäre die Existenz beider Volksparteien bedroht.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) kommen routinemäßig zur Kabinettssitzung im Kanzleramt. Wie lange wird die große Koalition noch halten?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) kommen routinemäßig zur Kabinettssitzung im Kanzleramt. Wie lange wird die große Koalition noch halten?

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Das dröhnende Signal erschüttert das Konrad-Adenauer-Haus. Das hört sich nach Feueralarm an. Es kommt aber nicht aus der CDU-Zentrale, sondern draußen vom Bürgersteig. Dort steht Greenpeace mit einem Transparent „Achtung Klimakrise“. Womit der Bogen gespannt wäre vom wahlentscheidenden Thema Klimawandel über den Rücktritt der von eigenen Genossen zermürbten SPD-Chefin Andrea Nahles bis zur Koalitionskrise. Die SPD taumelt, auch die Union sucht Halt, gegenseitig können sie sich derzeit nicht stützen. Ob die schwarz-rote Regierung am Ende des Jahres noch steht, erscheint nach dem Abgang ihrer vehementesten sozialdemokratischen Kämpferin fragwürdiger denn je.

Eigentlich sollten schon Mitte Juni im Nahles-Wahlkreis in Rheinland-Pfalz die Vorstände der beiden Regierungsfraktionen zu einer Klausurtagung zusammenkommen, um noch vor der Sommerpause die nächsten Projekte gemeinsam zu besprechen. Im Herbst stehen die schwierigen Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern an. Am Sonntagabend erscheint aber nicht einmal sicher, wo man sich treffen wird. Denn vermutlich müssen sie sich einen neuen Ort suchen, denn Nahles ist jetzt ja raus.

Es wird sich noch viel ändern müssen, damit die Koalition zusammenbleiben kann. Die SPD will ihre Vorhaben wie die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung oder das Klimaschutzgesetz durchbringen und ihr Profil wieder schärfen. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagt am Sonntagabend vor dem Willy-Brandt-Haus: „Wir wollen das Land verändern. Und dann muss die Union sich bewegen."

Die Union wird dagegen halten müssen, um in den eigenen Reihen nicht komplett als Verlierer dazustehen, nachdem sie bei der Regierungsbildung vor nur 15 Monaten auf alle großen Ministerien verzichtet hat, um diese Koalition zustande zu bringen.

Und schließlich steht die große Überprüfung des Koalitionsvertrags an. Die SPD hatte diese „Evaluation“ zur Mitte der Legislaturperiode in den Koalitionsvertrag schreiben lassen. Das muss gar nicht die Sollbruchstelle für das Bündnis sein. Es kann auch früher scheitern. Das alles Entscheidende dürfte nun der SPD-Parteitag werden, auf dem die Sozialdemokraten wieder einmal einen neuen Parteichef oder eine neue Chefin wählen müssen – und über Fortbestand oder Bruch der Koalition beschließen dürften.

Das Dilemma für die SPD: Angesichts ihres Imageschadens und des Vertrauensverlusts der Wähler könnte sie bei einer Neuwahl das Schicksal der Sozialdemokraten in europäischen Nachbarstaaten erleiden und schlimmstenfalls ein einstelliges Ergebnis einfahren. Am liebsten wäre ihr ein Wechsel in die Opposition ohne Neuwahl. Dafür müssten sich die Grünen aber zu Jamaika bereit erklären, was zu einem Aufschrei in der Partei führen könnte. Denn das würde auf der Grundlage ihres Bundestagswahl-Ergebnisses von 8,9 Prozent geschehen würde, während die Grünen derzeit in Umfragen bei über 20 Prozent liegen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ am Sonntag nicht den Hauch eines Zweifels aufkommen, dass sie weiter regieren will. „Natürlich habe ich auch Respekt vor den Entscheidungen, die die sozialdemokratische Partei treffen muss bezüglich der Nachfolge von Andrea Nahles.“ Ungeachtet dessen wolle sie aber für die Regierung sagen, dass die Union die Arbeit fortsetzen werde. Zur Not in einer Minderheitsregierung?

Eigentlich ist Merkel keine Freundin von einer solchen Variante. Sie sieht derzeit aber nicht, wie sie einen Wechsel im Kanzleramt hinbekommen soll, weil CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer angeschlagen ist. Eine schlechte Voraussetzung für eine Kanzlerkandidatur.

Klingbeil mahnt, die SPD-Führung müsse nun „besonnen“ entscheiden. „Vor uns liegt jetzt eine große Verantwortung.“ Die harten Bandagen, mit denen Nahles in den vergangenen Tagen angepackt worden sei, hätten gezeigt, „dass in dieser Partei etwas anders werden muss“. Klingbeil wird deutlich: „Ich bin es leid, dass die politische Kultur so ist, wie wir sie in den letzten Tagen erlebt haben. Da waren Äußerungen, die ich nicht in der Öffentlichkeit lesen will, die ich nicht in Fraktionssitzungen hören will.“

Mindestens drei Stunden sollte die SPD-Sitzung der engeren Parteiführung am Abend gehen. Noch-Vorsitzende Nahles plus ihre sechs Stellvertreter plus die Ministerpräsidenten der SPD. Ein Thema: Auf wann der Bundesparteitag, der kein außerordentlicher werden soll, vorgezogen werden soll, bei dem der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Nahles gewählt werden. Frühestens im September könnte dies der Fall sein.

In der Bundestagsfraktion wollen sie jetzt erst einmal den Kölner Bundestagsabgeordneten Rolf Mützenich übergangsweise die Fraktion führen lassen. Mützenich ist der dienstälteste Fraktionsvize. Womöglich will die SPD-Bundestagsfraktion noch in der letzten Woche vor der Sommerpause eine neue Vorsitzende oder einen neuen Vorsitzenden wählen.

Der Bundesverband Bürohund ist an diesem Krisensonntag auch vor die SPD-Zentrale gezogen. „Nando“, 17 Monate alter Golden Retriever, löse bei Menschen, wenn diese ihn streichelten, das Hormon Oxytocin. Das senke den Stresslevel, erklärt der Vorsitzende des Verbandes, Markus Beyer. Weniger Stress in der SPD bedeute auch weniger Stress für die Groko. Gut fürs Land. Aber erst einmal ist Torsten Schäfer-Gümbel, Noch-Parteivize, richtig angefasst vom Umgang in der eigenen Partei. Der Hesse kritisiert, in seiner Partei fehle der „Respekt“. „Es muss sich niemand wundern, wenn Menschen sich abwenden von der SPD.“

Merkel mahnt, die Nerven zu behalten. „Denn die Themen, die wir zu lösen haben, liegen auf dem Tisch. Sowohl in der Deutschland als auch in Europa als auch in der Welt,“ sagt sie. Noch nie war eine deutsche Regierung in jüngster Vergangenheit so instabil. Dabei werden in Europa Spitzenpositionen besetzt, und es baut sich eine neue Weltordnung von den USA bis China auf. Da müsse Deutschland präsent sein. „Und in diesem Geiste werden wir weiterarbeiten“, sagt Merkel. Fragt sich nur, wie lange.

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