Außenwerbung im Wahlkampf "Die FDP verstößt eigentlich gegen jede Wahlplakatregel"

Düsseldorf · Knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl hängt in Deutschland gefühlt an jeder Straßenlaterne ein Wahlplakat. Aber bringen diese Aushänge in Zeiten des Internets überhaupt etwas? Und wer kopiert bloß alte Sprüche? Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider gibt Antworten.

Die Wahlplakate zur Bundestagswahl 2017 in Düsseldorf im Vergleich
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Die Wahlplakate zur Bundestagswahl im Vergleich

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Foto: SPD Düsseldorf

Herr Brettschneider, fällt Ihnen an den Wahlplakaten der Parteien dieses Jahr etwas besonders auf?

Frank Brettschneider Am meisten sticht die FDP ins Auge. Die hat ihren Plakaten eine völlig neue Ästhetik gegeben. Rein in Schwarz-Weiß gehalten und mit viel Text. Damit verstoßen sie eigentlich gegen jede Wahlplakateregel, zeigen damit aber auch: Wir haben viel zu sagen.

Aber der werbliche Charakter der Wahlplakate hat Christian Lindner auch viel Kritik eingebracht.

Brettschneider. Er wird immer wieder als "Posterboy" bezeichnet, das stimmt. Zugleich haben die Plakate aber auch einen extrem hohen Wiedererkennungswert. Zumal die FDP die einzige Partei ist, die diesen Stil bis auf kommunale Ebene hinunter durchzieht, inklusive der Themen, die sie ansprechen, also Mut, Digitalisierung, Unternehmertum. Das soll Aufbruch signalisieren.

Es ist aber auch ein harter Bruch mit dem bisherigen Stil der FDP. Kein zurückhaltendes Blau, keine Krawatten und Anzüge mehr.

Brettschneider Lindner wollte der FDP nach dem Desaster der letzten Bundestagswahl ein komplett neues Erscheinungsbild geben: Eben keine traditionelle gelb-blaue Optik mehr, nichts, was man mit Guido Westerwelle und Philipp Rösler in Verbindung bringen könnte. Das ist eine sehr kluge Strategie, die auch neue Wähler bringen kann.

Im Gegensatz dazu scheinen sich die Plakate der CDU kaum verändert zu haben. Der Slogan "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben", erinnert an Konrad Adenauers Plakatparole von 1957: "Keine Experimente".

Brettschneider Das ist auch so - und die Plakate damals waren unheimlich erfolgreich.

Aber inhaltlich wird damit kaum etwas zum Ausdruck gebracht.

Brettschneider Das muss auch nicht sein. Wahlplakate haben zwei Funktionen: Sie sollen zum einen Themen hervorheben, für die eine Partei steht. Bei den Grünen ist das Thema zum Beispiel Umwelt. Zum anderen sollen sie zeigen, worum es bei der Wahl überhaupt geht. Der Wahlkampf dieses Jahr hat aber keine besonders polarisierenden inhaltlichen Themen. Das merkt man vor allem an den Programmen von CDU und SPD, die sich nach vielen Jahren großer Koalition auch nicht richtig widersprechen können. Was herauskommt, ist ein Wohlfühlwahlkampf.

Was bedeutet das?

Brettschneider Es geht um Sicherheit, Verlässlichkeit und Beständigkeit. Fragen, die beantwortet werden sollen, sind: Geht es uns schlechter als zuvor? Geht es uns im innereuropäischen Vergleich gut? Soll man etwas ändern? Die Lehren sollen sein: Ja, uns geht es gut, also muss man nichts ändern, und außerdem bleibt man in unruhigen Zeiten am besten beim Vertrauten. Merkel sagte in einem TV-Duell mal "Sie kennen mich". Für diesen Satz haben sie viele ausgelacht. Aber es war eigentlich ein genialer Wahlkampfslogan.

So gesehen wirken die Plakate der SPD mit Sätzen wie "Die Zukunft braucht neue Ideen und jemanden, der sie durchsetzt" sehr kompliziert.

Brettschneider Die Plakate der SPD sind in diesem Jahr die am wenigsten überzeugenden. Die Sprüche sind tatsächlich viel zu komplex. Wahlplakate funktionieren dann, wenn ihre Botschaft in zwei bis vier Sekunden beim Betrachter ankommt, das wissen wir aus Studien. Das ist bei den SPD-Plakaten aber nicht der Fall. Hinzu kommt, dass viele Bilder traurige Gesichter zeigen.

Wie kann es dazu kommen?

Brettschneider Das wird vermutlich an den Vorschlägen der Werbeagentur liegen. Die wird diese Wortspiele für originell halten. Dabei wäre es viel effektvoller gewesen, man hätte einfach das Schulz-Wort "Respekt" genommen, dazu beispielsweise das Bild einer alten Dame gezeigt und das Parteilogo.

Auffällig ist auch, dass sich die Parteien in diesem Jahr gar nicht kritisch aufeinander beziehen.

Brettschneider Die Volksparteien können das aber nach der großen Koalition auch nicht. Den Grünen ging es schon immer mehr um ihre Themen als um die anderen Parteien. Hinzu kommt, dass es momentan keine wirklich schwierigen Themen in Deutschland gibt. Den Kalten Krieg gibt es nicht mehr, die Atomenergie ist abgearbeitet. Die meisten Parteien gehen somit inhaltlich in eine ähnliche Richtung.

Große Themen sind jetzt Flüchtlingskrise und Asylpolitik.

Brettschneider Das sind große Themen, richtig. Aber sie eignen sich nicht wirklich zur Differenzierung. Nur die AfD macht daraus das Thema "Wir gegen den Rest der Welt". Alle anderen Parteien wollen es gar nicht so groß aufhängen, schon deshalb, weil hier immer nur die AfD gewinnen kann.

Ein Thema, das sowohl die NPD früher als auch die AfD heute und die CDU immer mal wieder auf ihren Plakaten aufgegriffen hat, ist der Babybauch oder eine Mutter mit Kind. Wie ist das zu bewerten?

Brettschneider Grundsätzlich eignet sich das Thema Babybauch und Kinder für jede Partei, weil man diese Bilder immer hervorholen kann, wenn es um die Themen Familienpolitik oder Zukunft geht. Aber die Frage ist immer, welche Botschaft damit verknüpft ist. Das Wahlplakat der AfD, auf der eine Hochschwangere zu sehen ist und dazu der Slogan "Neue Deutsche? Machen wir selber", hat einen Inhalt, der so bei keiner anderen Partei zu sehen ist.

Außer bei der NPD.

Brettschneider Inhaltlich genau. Aber die AfD will sich ganz bewusst von den dumpfen Plakaten der alten Rechten abheben. Sie will sich modern geben. Die Bilder sind freundlich und sympatisch. Nur die Botschaften bleiben eben die gleichen. Es geht um klassische Propaganda, also das Schüren von Ängsten und Ressentiments durch die Wiederholung von bestimmten Bildern. Gleichzeitig machen sie sich mit dieser Art Plakat weniger angreifbar.

Wieso?

Brettschneider Weil die Botschaft nur über Suggestion funktioniert. Bei dem gerade genannten Plakat wird ja nicht ausdrücklich gesagt, dass es um Ausländer geht, aber es wird deutlich. Ähnliches gilt für das Plakat, auf dem ein Schwein zu sehen ist und darüber der Slogan: "Der Islam passt nicht zu unserer Küche". Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, wir zeigen doch nur ein niedliches Schwein. Aber psychologisch ist eine ganz andere Verknüpfung gegeben, das ist das Perfide.

Es gibt aber noch andere Plakate, die in diesem Wahlkampf aus der Reihe fallen, nämlich die der Linkspartei. Sie sind schlicht und enthalten relativ klare Ansagen. Wie bewerten Sie das?

Brettschneider Die Plakate der Linkspartei sind dieses Mal sehr gut gelungen, und das, nachdem sie mit dem Signalrot bislang immer eine Art Sorgenkind waren. Jetzt haben sie aufgeräumte Plakate, mit klarem thematischen Bezug, und unten links findet man das Parteilogo. Das ist sehr wirksam und erinnert etwas an die Plakate der Grünen aus den 80er Jahren.

Wie schneiden die Plakate der Grünen in dieser Wahlperiode ab?

Brettschneider Nicht sonderlich gut. Es ist zu viel Text, alles in Versalien gedruckt, damit schwer lesbar, und die Kombination aus Grün und einem Objekt in Magenta ist wirklich nicht gelungen.

Braucht man denn in Zeiten des Internets überhaupt noch Wahlplakate?

Brettschneider Die Wirkung von Wahlplakaten wird oft unterschätzt. Der Punkt ist, dass sie allgegenwärtig sind. Man kann sich ihnen nicht entziehen, und das ist besonders für jene Wähler wichtig, die sich erst sieben bis zehn Tage vor der Wahl entscheiden. Sie entscheiden sich dann für die Partei, die gedanklich leicht verfügbar ist.

Wie meinen Sie das?

Brettschneider Je nach Thema, das sie beschäftigt, hat die Partei einen Vorteil, die es schafft, mit Plakaten, Werbespots und so weiter am meisten in Erinnerung zu bleiben. Deswegen ist es auch so wichtig, dass Wahlplakate in wenigen Sekunden zu erfassen sind. Außerdem gibt es Wahlplakate, die für das Internet gemacht werden.

Zum Beispiel?

Brettschneider Das Plakat der AfD, auf dem Frauke Petry mit ihrem Sohn zu sehen ist, war nie zum Kleben gedacht. Es wurde einmal vor Medienvertretern vorgestellt und hat sich dann im Internet verbreitet. Was dort damit passiert, kann positiv wie negativ sein. Viele AfD-Plakate sind verfremdet worden, auch über viele Lindner-Plakate hat sich das Netz lustig gemacht. Das Internet wird also Teil einer Kampagne, indem Bilder von alleine verbreitet werden. Weil das auch sehr positive Effekte erzielen kann, nutzen inzwischen viele Parteien diese Möglichkeit gezielt.

(ham)
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