Sozialisten setzen auf Merkels Abwahl Die europäische Bundestagswahl

Düsseldorf · Die deutsche Parlamentswahl im September wird im Ausland zunehmend als Abstimmung über den Sparkurs in Europa gewertet. Vor allem Sozialisten setzen immer offener auf eine Abwahl von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Peer Steinbrück besucht Roma-Haus in Duisburg
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Nein, beteuerte François Hollande zu Jahresbeginn in einem TV-Interview mit treuherzigem Blick in die Kamera, er wolle Madame Merkel gar nichts heimzahlen. Dass die Bundeskanzlerin seinen konservativen Konkurrenten Nicolas Sarkozy bei der französischen Präsidentenwahl so offen unterstützt habe, sei nicht schön gewesen. "Aber ich werde mich nicht revanchieren." Andererseits, so fügte Frankreichs sozialistischer Präsident hinzu, sei ja bekannt, "dass wir Differenzen haben".

Merkel ist die Verkörperung des Spardiktats

Das kann man wohl sagen: In Pariser Regierungskreisen gilt Angela Merkel als Verkörperung der vermaledeiten "Austerität", des verhassten deutschen "Spardiktats", das man gerne abschütteln würde. Am liebsten so schnell wie möglich, spätestens aber nach der Bundestagswahl am 22. September.

Dann, so das Kalkül, könnte der Bundeskanzler von der SPD gestellt werden und Peer Steinbrück heißen. Mit Steinbrück, so hofft man bei Frankreichs Sozialisten, könne man endlich eine Lockerung des Sanierungskurses durchdrücken.

Seit einem Jahr ist François Hollande im Amt, seine Bilanz ist katastrophal. Aber seit er in Paris regiert, scharen sich um ihn jene politischen Kräfte in Europa, die es mit dem Abbau der horrenden Staatsdefizite nicht mehr so eilig haben.

Allianz der Sparmuffel

Ganz im Gegenteil: Diese Allianz der Sparmuffel will die Wirtschaft lieber mit zusätzlichen Ausgaben ankurbeln. Das Kalkül ist einfach: Springt die Konjunktur wieder an, löst sich das Schuldenproblem wie von selbst, und der Regierung bleiben harte Kürzungen und unpopuläre Reformen erspart.

Die Schuldenkrise mit neuen Schulden überwinden? Die These klingt einigermaßen krude, aber sie findet immer mehr Anhänger, je höher die Arbeitslosenquote in Europa steigt und je größer die Verzweiflung in den am schlimmsten gebeutelten Ländern wird.

Der harte Sparkurs "bringt uns um", klagte der neue italienische Ministerpräsident Enrico Letta in seiner Antrittsrede. Tags zuvor war der Sozialdemokrat nach Paris zu einem Treffen mit Hollande gefahren, man war sich ganz schnell einig. Zwar beteuerte Letta in Berlin, die Haushaltskonsolidierung sei sicherlich auch wichtig, aber die Nuance lag eben im Wörtchen "auch".

Der Pariser Finanzminister Pierre Moscovici stellt regelmäßig ähnliche semantische Verrenkungen an, um den Sparwillen seines Landes zu betonen, aber sehr glaubwürdig wirkt das nicht. Und so mancher seiner Kabinettskollegen hält selbst das noch für zu lasch und würde am liebsten wie Italiens Industrieminister Flavio Zanonato gleich den EU-Stabilitätspakt kippen — jenen mühsam ausgehandelten Vertrag also, der den EU-Staaten strikte Regeln bei der Haushaltsführung auferlegt.

Linke regieren derzeit nur neun EU-Staaten

Das Problem der europäischen Linken: Sie sind in der Minderheit. Nur neun EU-Staaten werden derzeit von ihnen regiert. Und selbst wenn man jene konservativ regierten Schuldenstaaten wie etwa Spanien oder Griechenland dazunimmt, die gegen eine Aufweichung der Sparauflagen gewiss auch nichts einzuwenden hätten, lässt sich der Richtungsstreit nicht zu ihren Gunsten entscheiden. Also lautet das strategische Ziel: Merkel muss weg.

Dann, so glaubt der französische Sozialisten-Abgeordnete Jean-Christophe Cambadélis, werde die heilige Spar-Allianz der Konservativen schon zerbröckeln. Cambadélis, der zugleich Vize-Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) ist, hat das Europa-Manifest der französischen Sozialisten vorbereitet, das vor einigen Tagen für Wirbel gesorgt hat. Unter anderem wurde Merkel darin als "unnachgiebige Egoistin" bezeichnet.

Die schärfsten Passagen wurden inzwischen aus dem Text getilgt, die ideologischen Differenzen zwischen Berlin und Paris aber bleiben bestehen. Cambadélis darf mit stiller Billigung des Elysée-Palastes weiterhin für eine "demokratische Konfrontation" mit den deutschen Konservativen trommeln: "Der Kampf um eine alternative Mehrheit zu der in Europa regierenden Rechten hat begonnen."

Man kann freilich bisher nicht behaupten, dass sich die deutschen Sozialdemokraten dem Kreuzzug ihrer europäischen Genossen gegen die Kanzlerin mit heller Begeisterung anschließen würden. Selbst der scharfzüngige SPD-Mann Martin Schulz, Präsident des Europa-Parlaments, langjähriger Duzfreund von François Hollande und sonst stets auf deutliche Abgrenzung zum politischen Gegner bedacht, mahnte zu Mäßigung. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende sei schließlich nicht alleine für die europäische Sparpolitik verantwortlich; im Europäischen Rat säßen 27 Staats- und Regierungschefs, relativierte Schulz.

Gewiss, auch die SPD-Granden fordern eine Nuancierung des Sparkurses sowie mehr Maßnahmen zur Förderung des Wachstums und im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Aber dabei sind sie immer noch weit näher beim Kurs Merkels als bei den erheblich radikaleren Vorstellungen der linken Spar-Kritiker in Paris oder Rom. Das liegt daran, dass Merkels Forderung nach einer entschlossenen Sanierung der Staatsfinanzen in Europa weit über die Klientel von CDU und FDP hinaus populär ist.

Und auch daran, dass die anfängliche Begeisterung über die vermeintliche Lichtgestalt François Hollande einem ziemlichen Katzenjammer gewichen ist. Der glücklose und höchst unpopuläre französische Präsident als Wahlkampfhelfer für Peer Steinbrück, das hält kaum jemand in der SPD-Zentrale noch für eine blendende Idee. Zumal der politische Gegner den Fehdehandschuh schon aufgenommen hat.

Der Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff verwahrte sich energisch gegen die Angriffe auf Merkel. Die französischen Sozialisten, so Schockenhoff, "werden auch nach der Bundestagswahl mit der Bundeskanzlerin zusammenarbeiten müssen". In Paris wird man das wohl als Drohung verstehen.

(RP/csi/jco/das)
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