SPD-Fraktionschef Steinmeier im Interview "Die CDU ist eine erschöpfte Partei"

Berlin · SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier erzählt im Interview, warum er gerne Fraktionschef bleiben will und warum eine große Koalition mit Angela Merkel nicht zu seinem bevorzugten Bündnis gehört. Die Debatte über SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hält er für beendet.

Das ist Frank-Walter Steinmeier
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Foto: dpa/Swen Pförtner

Umweltminister Peter Altmaier schätzt, dass die Kosten der Energiewende eine Billion Euro erreichen könnten. Ist das Panikmache oder eine seriöse Prognose?

Steinmeier Das hätten sich Altmaier und Co. mal überlegen sollen, bevor sie von der großen Energiewende fantasierten. Merkel und ihr Kabinett haben die Energiewende unter öffentlichem Beifall in den Dreck gefahren. Jetzt stecken sie bis zum Hals drin und suchen nach Schuldigen. Maßnahmen zur Energiepreisdämpfung sind notwendig, das sagen wir seit langem und haben dazu Vorschläge gemacht. Aber um die Energiewende wieder auf die Schiene zu bringen, braucht es Verantwortung und energiepolitische Kompetenz. Und die ist in diesem Kabinett nicht vorhanden.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Adoptionsrechte homosexueller Partner gestärkt. Wie bewerten Sie das?

Steinmeier Die Entscheidung ist keine Überraschung und wir als SPD begrüßen die Besserstellung homosexueller Paare beim Adoptionsrecht ausdrücklich. Nun ist auch die steuerliche Gleichstellung der homosexuellen Partnerschaft mit der Ehe überfällig. Erst kürzlich hat der Vermittlungsausschuss mit Mehrheit dies gefordert, aber die Koalition ist zu feige für eine entsprechende Initiative. Vermutlich wird der Gesetzgeber die Politik dann auch dazu bringen müssen.

In Niedersachsen ist SPD-Ministerpräsident Stephan Weil ins Amt gewählt worden. Ist Rot-Grün in Hannover die Blaupause für den Bund?

Steinmeier Der rot-grüne Wahlsieg in Hannover gibt uns für die Bundestagswahl natürlich kräftigen Rückenwind. Stephan Weil und seine SPD haben einen hervorragenden Wahlkampf gemacht, in dem den Bürgern nicht das Blaue vom Himmel versprochen und auf die richtigen Themen gesetzt wurde. Stark für die Wirtschaft, eine moderne Verbraucher-, Energie -und Schulpolitik. Das hat die Menschen überzeugt. Überdies hat die SPD in Hannover eine tolle Geschlossenheit gezeigt. All das werden wir uns auch im Bund zu Herzen nehmen.

Der Hannoveraner Wahlkampf galt als fair, gegenseitige Attacken der Kandidaten gab es kaum. Ist das der Maßstab für die Bundestagswahl?

Steinmeier Beide Kandidaten haben den Respekt für die jeweilige persönliche Leistung nie bestritten. Die Auseinandersetzung im Bund ist zwar traditionell etwas schärfer und wird hart in der Sache geführt werden. Aber verbale Schläge unter die Gürtellinie war nie mein Stil und wird nicht Stil der SPD sein.

Ist nun auch die Debatte über den Stolper-Start von Peer Steinbrück beendet?

Steinmeier Die Eröffnung des Wahlkampfes hat sich auch Peer Steinbrück ein wenig anders vorgestellt. Das hat er öffentlich bekannt. Aber das liegt hinter uns. Wir hatten einen Parteitag, bei dem sich die SPD geschlossen hinter dem Kanzlerkandidaten versammelt hat. Und der Machtwechsel in Niedersachsen hat auch für den Bund die Weichen neu gestellt. Denn immer dann, wenn in der Geschichte der Bundesrepublik die absolute Mehrheit der Länderkammer gekippt ist, gab es auch im Bund einen Regierungswechsel. Das Haltbarkeitsdatum von Schwarz-Gelb ist der 22. September.

Kanzlerin Merkel will in der Zypern-Frage auf die SPD zugehen, CDU-Umweltminister Altmaier verhandelt mit SPD-Chef Gabriel über das Atommüllendlager, die CDU fordert flächendeckende Lohnuntergrenzen und Frau von der Leyen kämpft gegen die Ausbeutung der Arbeiter. Ist die CDU nicht der ideale Koalitionspartner für die SPD?

Steinmeier Die Liste ist nicht vollständig. FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat sich für eine stärkere Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft ausgesprochen. Eine alte Forderung der SPD. Sie sehen, unsere Themen sind offenbar überzeugend. Aber entscheidend ist: Außer Ankündigungen kommt von dieser Regierung nichts. Ob Besteuerung der Finanzmärkte oder Mindestlohn — wenn´s konkret wird, liegen sich die Koalitionäre in den Haaren und geschehen tut nix!

Sie können also mit CDU und FDP koalieren?

Steinmeier Vor der Wahl muss man dem Wähler sagen, was man will. Und wir wollen eine eigene Mehrheit von Sozialdemokratie und Grünen. Daran arbeiten wir.

2009 hat die SPD schon mal versucht, die große Koalition als Schreckgespenst darzustellen und ist am Ende Partner der CDU geworden. Wiederholt sich die Geschichte?

Steinmeier Nein. Die Union ist eine erschöpfte Partei. Sie hat keinen Identitätskern mehr. Und sie hat keine Idee, wo es mit unserem Land hingehen soll. In der großen Koalition hat die SPD die Richtung vorgegeben und die Arbeit gemacht. Frau Merkel hat sich das dann hinterher schamlos zu eigen gemacht. Eine Wiederholung wird von mir deshalb nicht empfohlen. Deutschland braucht einen Politikwechsel. Den kann es nur mit Rot-Grün geben.

Aber Sie sind doch ein Realist..

Steinmeier Das haben Sie ja gerade aus der Antwort gehört.

Dann müssten Sie sich die Frage stellen, was passiert, wenn Rot-Grün und Schwarz-Gelb keine Mehrheit haben.

Steinmeier Ich will da gar nicht unhöflich sein! Aber hypothetische Fragen dieser Art wird kein einigermaßen professioneller Interviewpartner beantworten.

Ich habe noch eine. Wäre eine große Koalition erträglicher, wenn die CDU auf Frau Merkel verzichten würde?

Steinmeier Die Frage stellt sich nicht. Die CDU hat doch nur noch Angela Merkel. Hoffnungsträger in den Ländern gibt es nach den krachenden Wahlniederlagen nicht mehr. Und solange Merkel regiert, kommt auch niemand nach. Dieses Land dämmert im Dauerstreit des Merkel-Kabinetts vor sich hin. Die reiben sich die Hände, dass Schröder in den Regierungsjahren zuvor die Reformarbeit in Deutschland erledigt hat. Schwarz-Gelb sitzt seit drei Jahren um´s Lagerfeuer und verfrühstückt die Vorräte, die andere angelegt haben. Nein, wer Aufbruch und Neuanfang will, muss Rot-Grün wollen.

Die SPD will mit massiven Steuererhöhungen in den Wahlkampf gehen. Sie haben 2009 gesagt, sie wollten nicht als "Kandidat der Steuererhöhungen" laufen. Nun macht ihr Freund Peer Steinbrück genau das. Was ist passiert?

Steinmeier Das ist doch Unsinn. Steuerpolitik muss Maß und Mitte behalten. Und genau dafür steht Peer Steinbrück. Aber man darf doch nicht so tun, als sei in den letzten Jahren nichts passiert. Wenn wir ernsthaft die Politik der Neuverschuldung beenden wollen, darf es auch keinen verkehrte Dogmatismus geben. Ich gehörte zu denjenigen, die Steuersenkungen befürwortet haben in Zeiten, in denen Wirtschaft und Arbeitsmarkt blockiert waren. Heute ist die wirtschaftliche Lage eine andere. Und deshalb gilt: Wer den Weg in höhere Neuverschuldung vermeiden will und gleichzeitig mehr Geld in die Bildung unserer Kinder investieren will, für den darf der Spitzensteuersatz nicht tabu sein. Aber wir werden keinen Steuerzahler überfordern. Niemand will zu den hohen Steuersätzen aus den Zeiten der schwarz-gelben Regierung unter Kohl zurück.

Wie lässt sich die Vermögensteuer betriebsschonend ausgestalten?

Steinmeier Daran arbeiten wir. Sicher ist, dass es mit der SPD keinen Rückfall in eine Substanzbesteuerung der 1990er Jahre geben wird. Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Wirtschaft in Deutschland. Das will niemand aufs Spiel setzen.

Eine persönliche Frage noch: Sie waren Vizekanzler, Außenminister und sind nun seit dreieinhalb Jahren Fraktionschef. Ist Ihr Bedarf an politischen Ämtern gestillt?

Steinmeier (lacht) Wollen Sie mich loswerden? Wenn ja, muss ich sie enttäuschen! Ich werde weiter kräftig mitmischen und ich will mit der SPD Wahlen gewinnen. Erst danach stellen sich Fragen nach Ämtern und Funktionen. Aber vielleicht ist das auch nicht notwendig! Denn Fraktionsvorsitz ist ein schönes und wichtiges Amt. Ob es - frei nach Franz Müntefering -, das schönste Amt neben Papst ist, dafür fehlt mir als Protestant der Einblick.

Michael Bröcker führte das Gespräch

(brö)
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