Demografischer Wandel Die Bundesregierung tut zu wenig

Meinung | Berlin · Eine neue Studie hat ergeben, dass bis 2030 die deutsche Bevölkerung um eine halbe Million schrumpfen wird. Das hat schwerwiegende Folgen, nicht nur für die sozialen Sicherungssysteme. Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot ist das Thema verankert, passiert ist bisher aber zu wenig.

Der demografische Wandel scheint unaufhaltsam. Das belegen immer neue Rechnungen, dieses Mal von der Bertelsmann-Stiftung. Bis 2030 wird sich demnach die Zahl der über 80-Jährigen verdoppeln, gleichzeitig werden 500.000 Menschen weniger in Deutschland leben. Betroffen sind davon vor allem ländliche Regionen, allen voran in Ostdeutschland. Aber nicht nur.

Auch in Ländern wie NRW schrumpft die Bevölkerung. Längst ist bekannt, dass Deutschland mit einer fortschreitenden Überalterung der Gesellschaft kämpft, die Bundesrepublik hat laut Hamburger Weltwirtschaftsinstitut die niedrigste Geburtenrate der Welt — noch hinter Japan. Die Bundesregierung hat sich das Thema auf ihrem Aufgabenzettel fett und leuchtend angestrichen, das ist auch richtig. Abgehakt hat sie bisher aber zu wenig.

Denn die Probleme, die mit einer solchen Bevölkerungsentwicklung einhergehen, liegen auf der Hand. Wenn immer weniger berufstätige Bürger für immer mehr alte Menschen in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen müssen, gerät die Solidargemeinschaft aus den Fugen. Ein Ungleichgewicht besteht schon längst.

In die Rentenkassen fließt nur dank der guten Arbeitsmarktsituation noch ausreichend frisches Geld, aber am anderen Ende saugt nun auch noch die neue Rente mit 63 an den Rücklagen. Und auch das Gesundheitssystem kommt durch die Überalterung und hohe Lebenserwartung in Schieflage, die Krankenkassenbeiträge werden steigen, Pflegenotstand gibt es bereits nicht nur in entlegenen ländlichen Regionen.

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD widmet sich dem demografischen Wandel in fast allen Kapiteln, zig Seiten handeln nur davon. Doch passiert ist bisher kaum etwas. Eine Krankenhausreform steckt noch in der Entwicklung, und während es für die Pflege zwar mehr Geld geben soll, ist bereits sehr fraglich, bis wann das reichen wird. Doch das Thema ist noch breiter.

Demografische Entwicklung hat etwas mit der Attraktivität von Lebensräumen zu tun. Bildungschancen, Jobperspektiven, Kinderbetreuungsangebote, Versorgung mit Konsumgütern, Infrastruktur und Breitbandnetz, Gesundheitsversorgung. All das darf nicht nur in den Großstädten und Ballungsräumen ausreichend vorhanden sein.

Aber während die Bundesregierung beim Megatrend Digitalisierung wenigstens einige Ideen in einer Agenda zu Papier gebracht hat, fehlt es bisher an einer durchgängigen Weiterentwicklung der Demografiestrategie. Die taucht zwar im Koalitionsvertrag auf, die aktuellste Version ist jedoch drei Jahre alt — da regierte noch Schwarz-Gelb. Nun soll es im September einen Demografiegipfel geben.

Die Bundesregierung muss spätestens dann schlüssige Konzepte vorlegen, wie sie den Wandel abbremsen will. Wie sollen die Sicherungssysteme entlastet werden, wie Arbeitsmarkt, Gesundheitsversorgung, die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung, Altenpflege und Berufstätigkeit gestaltet werden — und das angesichts leerer Kassen in den Ländern? Fragen gibt es viele, schlüssige Antworten bisher kaum.

(jd)
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