Branche in der Krise Das bedrohte Buch

Analyse · Die Pandemie hat die Probleme der Verlagsbranche wachsen lassen. Insbesondere für kleinere Unternehmen ist die Entwicklung existenzbedrohend. Sie fordern einen Unterstützungsfonds von Bund und Ländern.

 Wenn alles gut läuft, findet im Oktober die Frankfurter Buchmesse statt.

Wenn alles gut läuft, findet im Oktober die Frankfurter Buchmesse statt.

Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

In einem Monat beginnt die Frankfurter Buchmesse. Vielleicht. Irgendwie. Hoffentlich. In früheren Zeiten – also vor Corona – stieg die Fieberkurve der Branche im Vorfeld der weltgrößten Buchmesse rasant: Denn für fünf Tage waren Bücher überall der Gesprächsstoff, Lizenzen wurden ge- und verkauft, Aufträge geschrieben, Auftritte der Autoren inszeniert, Feste gefeiert und Bilder farbenfroher Bücherlandschaften in alle Welt geschickt. Lesemuffel wurden zumindest in solchen Zeiten darüber aufgeklärt, dass sie einer Minderheit angehörten. Heute stattdessen geht ein Gespenst in Deutschlands Bücherwelt um, nämlich die Sorge, dass nach der digitalen Messe im vergangenen, ersten Corona-Jahr nun im zweiten Corona-Jahr erneut lediglich eine deutlich abgespeckte Variante der Bücherschau folgen könnte.

Verlage und Buchhandlungen brauchen einen solchen Aufmerksamkeits- und Wirtschaftsimpuls wie Frankfurt. Zwar ist die Branche zunächst recht glimpflich durch die Krise gekommen und hat zum Erstaunen selbst des Börsenvereins des deutschen Buchhandels eine „erstaunliche Widerstandskraft“ bewiesen.

Doch die Zeit, in der während des Lockdowns Buchhändler auf ihren Fahrrädern die Ware höchstpersönlich zum Kunden brachten und damit für Sympathie und Käufer-Solidarität sorgten, ist spätestens vor der vermeintlich vierten Welle vorbei: „Wir sind praktisch schon seit Jahrzehnten im Strukturwandel“, so Katharina E. Meyer vom Hamburger Merlin Verlag, die auch Vorstandsvorsitzende der gemeinnützigen Kurt-Wolff-Stiftung ist. Die sorgte nun für Aufsehen mit ihrem Brandbrief und ihrer Forderung an Bund und Länder, unter anderem mit einem Fonds die Verlagsprogramme besonders von konzernunabhängigen, unternehmergeführten Verlagen zu fördern.

Eine Konzentration auf dem Buchmarkt etwa im Handel gibt es schon seit Jahren. Die Pandemie hat nun auch die Digitalisierung vorangetrieben, die besonders kleineren Verlagen zu schaffen macht. So legten Online-Händler hierzulande um 7,2 Prozent zu; zunehmend dürften auch digitale Schulbücher und digitales Lernmaterial – deren Lizenzen direkt bei Verlagen gekauft werden – die Branche treffen.

Dauerhafte und planbare Verlagsförderung nach definierten Kriterien – und nicht nach dem Urteil einer Jury – klingt natürlich nach Subventionen. Die hat es in der Buchbranche unter anderem Namen schon lange gegeben und wurden trotz intensiver, europaweiter Debatten bis heute in Deutschland beibehalten. Dazu gehören die traditionsreiche Buchpreisbindung – sie wurde in Deutschland schon 1888 eingeführt – sowie der reduzierte Mehrwertsteuersatz für Bücher.

Die Gründe sind damals wie heute die gleichen: Es geht um den Erhalt der Vielfalt in unserer Buchlandschaft, um den Erhalt kleiner Buchläden wie auch kleiner Verlage, die eben keine Bestseller auf den Markt werfen, sondern Titel in oft kleinen Auflagen bringen mit Themen, die mitunter abseits des Mainstreams angesiedelt sind. Zuletzt kamen mehr als 69.000 Neuerscheinungen auf den deutschen Buchmarkt. Eine immer noch beachtliche Zahl, auch wenn es 2007 schon einmal 86.000 neue Titel gewesen sind. Der Rückgang hängt mit der geringeren Zahl an Buchkäufern zusammen. Die GfK-Studie von 2018 machte die bedrohlichen Erosionen der Buchlandschaft sichtbar, der allein in den Jahren 2012 bis 2016 sechs Millionen Buchkäufer verlorengingen.

Laut jüngstem Branchen-Monitor sieht die Zwischenbilanz nach den ersten acht Monaten dieses Jahres nicht ganz so düster aus – scheinbar. Zwar können beinahe alle Buchsparten ein Plus gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres verbuchen; das allerdings war ebenfalls schon ein Corona-Krisenjahr. Ein Vergleich mit 2019 zeichnet ein ehrlicheres Bild: Ratgeber müssen ein Minus von 3,8 Prozent und Reisebücher von 33,6 Prozent hinnehmen; aber auch die Belletristik erreicht das Niveau von 2019 nicht (minus 0,7 Prozent). Allein Kinder- und Jugendbücher bleiben auch in diesem Vergleich die Zugpferde des Marktes mit einem Plus von satten zehn Prozent.

Die Branche, die im vergangenen Jahr 9,3 Milliarden Euro umsetzte, kämpft – in Zeiten der Pandemie, aber nicht erst seit der Pandemie. Corona hat nach den Worten Meyers wie ein Katalysator gewirkt, der die vorhandenen Probleme nur schneller noch größer werden ließ. „Besonders die kleinen Verlage kommen jetzt an ihre Grenzen“, sagt die Vorstandsvorsitzende der Kurt-Wolff-Stiftung. Zudem seien die Produktionskosten deutlich gestiegen, etwa beim Papier und in der Logistik. Darauf folgt eine Kettenreaktion mit kleineren Programmen, mit niedrigeren Auflagen und einem schmalen Angebot, das es kaum noch in die Regale der Buchläden schafft. Die Sichtbarkeit gehe verloren, nennt Katharina E. Meyer dieses Phänomen.

Vor dreieinhalb Jahren noch gab es eine kleine Aufbruchstimmung, als 63 Independent-Verleger aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eine sogenannte Düsseldorfer Erklärung unterzeichneten. Ihr Vorschlag damals: Neben dem Deutschen Buchhandlungspreis sollte der Bund auch einen Preis für unabhängige, regionale Verlage vergeben. Solche Auszeichnungen sind inzwischen ins Leben gerufen. Die seien wertvoll, aber längst nicht mehr ausreichend, heißt es. Es ist ein Hilferuf der ansonsten Stillen, die sich um das bemühen, was andernorts lautstark eingefordert wird: kulturelle Diversität.

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