Steinmeier schwört auf Krise ein Die Brandrede des Bundespräsidenten
Berlin · Mit aller Deutlichkeit hat sich Frank-Walter Steinmeier an die Nation gewandt: Er forderte die Menschen zu mehr Zusammenhalt und Widerstandskraft auf. Die Zeiten würden rauer. Im Schloss Bellevue fehlten dabei einige prominente Politiker.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht bei einer Veranstaltung mit der Deutschen Nationalstiftung. Steinmeier will mit seiner Rede, die unter dem Motto «Alles stärken, was uns verbindet» steht, die deutsche Gesellschaft zum Zusammenhalt angesichts der Probleme infolge des Ukraine-Kriegs aufrufen. +++ dpa-Bildfunk +++
Foto: dpa/Michael KappelerLange hat der Bundespräsident gezögert, musste den Zeitpunkt für diese Rede immer wieder verschieben, auch wegen der diplomatischen Streitigkeiten mit der Ukraine um seinen abgesagten Kiew-Besuch im April. Jetzt hatte es vor wenigen Tagen aber doch noch geklappt mit der Reise in die Ukraine, auch wenn Frank-Walter Steinmeier vor Ort zeitweise Schutz in einem Bunker suchen musste. Geprägt von diesen Eindrücken trat der Bundespräsident am Freitagvormittag ans Rednerpult im Schloss Bellevue. Für seine wichtigste Rede bislang, für Klartext in der Krise, für wachrüttelnde Worte an die Nation.
Doch der Auftritt kam nicht nur für viele Bundesbürger überraschend, die zu der Zeit bei der Arbeit waren, Einkäufe erledigten, Termine wahrnahmen und ihrem Alltag nachgingen. Er kam wohl auch für viele prominente Politiker überraschend. Jedenfalls fehlte das gesamte Bundeskabinett, auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) war nicht da. Immerhin hatten es unter anderem Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Linke), die Altbundespräsidenten Christian Wulff und Joachim Gauck sowie FDP-Fraktionschef Christian Dürr und CDU-Chef Friedrich Merz zu dem Termin geschafft – neben vielen Vertretern gesellschaftlicher Gruppen.
Sie konnten einen Bundespräsidenten erleben, der bemerkenswert deutliche Worte in der historischen Krise fand. Steinmeier stimmte die Menschen in Deutschland auf eine schwierige Zukunft als Folge des Ukraine-Kriegs ein und beschwor ihren Widerstandsgeist. In der Grundsatzrede nannte er Russland indirekt das Böse und den russischen Angriff einen „Epochenbruch“, der dazu zwinge, alte Denkmuster aufzugeben. Die Menschen müssten sich auf Einschränkungen einstellen. Der Staat werde jedoch denen helfen, die es nicht allein schafften. Dazu müssten Wohlhabende ihren Beitrag leisten. Steinmeier warnte auch davor, andere drängende Aufgaben wie den Kampf gegen den Klimawandel jetzt zu vernachlässigen. Mehrfach wandte sich Steinmeier in seiner Rede direkt an die Bürgerinnen und Bürger, viele von ihnen saßen ebenfalls im Publikum im Schloss Bellevue.
Steinmeier bekräftigte seinen Vorschlag einer „sozialen Pflichtzeit“, in der „Menschen - mindestens einmal in ihrem Leben - für eine gewisse Zeit sich den Sorgen ganz anderer, zuvor fremder Menschen widmen, für diese Menschen da sind“. Es sei keine Zumutung, „wenn wir die Menschen fragen, was sie für den Zusammenhalt zu tun bereit sind“. Demokratie gehe nicht ohne Zusammenhalt, und dieser müsse eingeübt werden. „Er ist das Ergebnis von Menschen, von Empathie, von Verantwortung und Nächstenliebe“. Die Idee nur abzulehnen, sei „keine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit“.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz lobte die Rede. Merz sagte unserer Redaktion: „Das war eine außerordentlich wichtige Rede zum richtigen Zeitpunkt.“ Der Unionsfraktionschef im Bundestag, der im Schloss Bellevue während der Rede anwesend war, betonte weiter: „Der Bundespräsident kann nur appellieren, und das hat er in beeindruckender Weise getan.“ Zugleich mahnte Merz politisches Handeln an. „Jetzt liegt es an der operativen Politik, die Aufgaben unseres Landes zu lösen.“

Das ist Frank-Walter Steinmeier
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken begrüßte Steinmeiers Appell, Lasten im Zuge der Krise stärker auf Wohlhabende umzuverteilen. „Ich danke unserem Bundespräsidenten für seine klaren Worte und den wichtigen Appell zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in diesen Krisenzeiten. Bundespräsident Steinmeier hat die Situation in Deutschland und Europa nach dem brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine vollkommen zu Recht als Epochenbruch bezeichnet und mit ehrlichen Worten beschrieben, welche Konsequenzen das für unser aller Leben und unseren Wohlstand bedeutet“, sagte Esken auf Anfrage. „Er hat die Einschränkungen klar benannt, die uns zwar alle berühren, aber natürlich diejenigen besonders hart treffen, die schon ohne die kriegsbedingte Inflation nur mit Mühe über die Runden gekommen sind.“ Bundespräsident Steinmeier habe von der „Gerechtigkeit der Verteilung der Lasten“ in unserem Land gesprochen und wie wichtig es gerade in der heutigen Situation ist, „dass reiche Menschen jetzt ihren Beitrag leisten, um die immensen Kosten der notwendigen Entlastungen stemmen zu können“, sagte Esken. „Bestehende Ungerechtigkeiten müssen überwunden und neue Ungerechtigkeiten müssen vermieden werden“, so die Co-Vorsitzende der SPD.
Die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer forderte konkrete klimapolitische Schritte und nahm dabei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Pflicht. „,Ohne den Kampf gegen den Klimawandel ist alles nichts‘, da hat Steinmeier recht. Nur bringen warme Worte alleine nichts, es braucht in dieser brenzligen Zeit politischen Willen“, sagte Neubauer unserer Redaktion in Anspielung auf Steinmeiers Rede. „Absurderweise aber macht Kanzler Scholz das Gegenteil von dem, was Steinmeier sagt. Der Kanzler bricht Deutschlands Klimaversprechen, wirbt für mehr weltweite fossile Expansion und Infrastruktur“, kritisierte die Aktivistin. Scholz befürworte neue Gasfelder im Senegal, anstatt Afrika in Richtung erneuerbarer Energien zu bringen, die der dortigen Bevölkerung helfen würden. „Scholz interveniert nicht bei der Lützerath-Entscheidung und verschläft es, in Deutschland mit zusätzlichen 100 Milliarden für Klimaschutz in höchstem Tempo aus russischem Gas und Öl auszusteigen. Wenige Tage vor der Weltklimakonferenz liegt es nun an Herrn Scholz, die Worte von Präsident Steinmeier ernst zu nehmen und tatsächlich Stärke in der Veränderung zu beweisen“, so Neubauer weiter.