Landtagswahl Die Basis entscheidet über Rot-Rot in Thüringen

Berlin/Erfurt · Wenn am 14. September in Thüringen der nächste Landtag gewählt wird, ist das auch eine kleine Schicksalsentscheidung über künftige Kooperationen von Sozialdemokraten und Linken. Erstmals nach der Wiedervereinigung könnte mit Bodo Ramelow ein linker Ministerpräsident regieren, und erstmals könnte dieser von Sozialdemokraten mitgewählt werden.

 Thüringens Spitzenkandidat der Linken, Bodo Ramelow, und der SPD-Fraktionschef des Landes, Christoph Matschie.

Thüringens Spitzenkandidat der Linken, Bodo Ramelow, und der SPD-Fraktionschef des Landes, Christoph Matschie.

Foto: dpa, msc vfd

Allerdings scheint es den Parteistrategen auf Landesebene an Durchsetzungswillen zu fehlen, über ein solches Präzedenzmodell von oben herab zu entscheiden: Sowohl die SPD als auch die Linke wollen nach Informationen unserer Redaktion Mitgliederentscheide zur rot-roten Gretchenfrage abhalten — je nach Wahlausgang, versteht sich.

Bei den Linken will man sich nach möglichen Koalitionsverhandlungen den Vertragsentwurf von der Basis absegnen lassen, bei der SPD soll am Tag nach der Wahl beschlossen werden, über welche Frage es einen Entscheid der rund 4500 Mitglieder geben wird: darüber, mit wem Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden, oder über einen schon stehenden Koalitionsvertrag nach den Verhandlungen.

Das SPD-Votum nach der Bundestagswahl

Auf Bundesebene hatte es die SPD 2013 vorgemacht: Nach der Bundestagswahl gab es ein Referendum, um über das Regierungsbündnis mit der Union abstimmen zu lassen. Parteichef Sigmar Gabriel musste hart dafür kämpfen, argumentieren, sich durchsetzen. Am Ende nahmen knapp 370.000 SPD-Mitglieder an dem Votum teil, eine Beteiligungsquote von 78 Prozent.

Und fast 76 Prozent davon stimmten einer erneuten großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu. Wohl auch deshalb tobten in der SPD bisher kaum langwierige und koalitionsgefährdende Debatten um Inhalte. Fazit: Der damalige Coup von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel gilt in der Retrospektive als Erfolg und wird nun offenbar zum Schlager.

In Thüringen jedenfalls sind beide roten Parteien von einem solchen basisdemokratischen Lehrstück überzeugt. "Es ist beschlossene Sache, dass es einen Mitgliederentscheid der Linken zum Koalitionsvertrag geben wird, sollte die Partei an der Regierungsbildung beteiligt sein", sagte Bodo Ramelow, Spitzenkandidat der Linken in Thüringen, unserer Zeitung. Die Frage, ob die Mitglieder ein rot-rotes oder ein rot-rot-grünes Bündnis befürworten, müsse so nicht abgestimmt werden. Damit sei man schließlich von vornherein transparent umgegangen und in den Wahlkampf gezogen, so Ramelow weiter.

Bei Linken bislang Referendum per Brief vorgesehen

Nach Angaben von Anke Hofmann, Landesgeschäftsführerin der Linken in Thüringen, sollen nun bis zum 22. August die Mitglieder des Geschäftsführenden Landesvorstandes ein Konzept erarbeiten, wie die rund 3800 Thüringer Parteimitglieder über einen möglichen Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen abstimmen können. Bislang sieht der Plan ein Referendum per Brief vor, organisiert direkt vom Landesverband. "Voraussichtlich wird unseren Mitgliedern ein Eckpunktepapier der Koalitionsvereinbarungen vorgelegt — nicht der gesamte Vertrag", kündigte Hofmann auf Anfrage an.

Vier Wochen soll die Parteibasis Zeit bekommen, um abzustimmen; die Ergebnisse des Mitgliederentscheids müssen erst am 20. November für die Verabschiedung durch einen Sonderparteitag feststehen — also geschlagene zwei Monate nach der Landtagswahl.

Fällt das Votum negativ aus, ist die Folge nach Angaben von Hofmann glasklar: "Sollten unsere Mitglieder den Koalitionsvertrag ablehnen, haben wir etwas falsch gemacht. Dann müssten auch politisch Konsequenzen gezogen werden." Hofmann sagte: "Der Landeswahlleiter unserer Partei könnte zurücktreten oder der Landesvorstand. Bodo Ramelow selbst würde dann aber als starker Oppositionsführer weitermachen."

Im ungünstigsten Fall würde das bedeuten, dass zwei Monate nach der Wahl eine angepeilte Koalition scheitern könnte, die Linke wieder auf der Oppositionsbank Platz nimmt und die Bündnisbildung - je nach Wahlergebnis - zwischen SPD, Grünen und der CDU von vorne beginnen muss. Ein Szenario, an dem wohl weder die Politiker noch die Wähler Freude hätten.

SPD will Wahltag

Bei einigen Genossen in Thüringen stößt der langatmige Zeitplan für das Linken-Referendum bereits auf Unverständnis. René Lindenberg aber, Landesgeschäftsführer der SPD in Thüringen, verteidigt die Beteiligung der Basis generell. "Ich habe nicht die Befürchtung, dass Mitgliederentscheide Regierungsbildungen über die Maße hinaus in die Länge ziehen werden", sagte Lindenberg. "Die Möglichkeit der Mitbestimmung rechtfertigt den erhöhten Zeitaufwand allemal."

Unterdessen will die SPD voraussichtlich kein Referendum per Briefwahl abhalten. Es solle "einen Wahltag geben, mit mehreren Wahllokalen in jedem Kreisverband", so Lindenberg. Am 25. Oktober sei der Parteitag, der das Ergebnis einer Befragung auch formal beschließen könnte. Die Linke würde dann erst anfangen, ihre Mitglieder zu fragen.

(jd)
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