Von Steuerreform bis Lohnerhöhung Die Aufschwungsfantasien der Politiker

Berlin (RPO). Die Aufschwungseuphorie in Deutschland ist groß. Denn sie beflügelt nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Fantasien zahlreicher Politiker in Regierung und Opposition. Plötzlich werden Ideen aus der Schublade geholt, die schon längst ad acta lagen, wie etwa die Steuerreform. Die neue Zeit der Profilierer ist angebrochen - trotz der Warnungen von Experten.

Wie sich die Wirtschaft in den Euro-Ländern entwickelt
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Foto: APN

"Einen Aufschwung XL" erlebe die Bundesrepublik, erklärte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) - ein eiserner Verfechter der Steuersenkungen. Und selbst die Commerzbank erklärte "Deutsches BIP - ein Sommermärchen". Und tatsächlich klingt es zunächst traumhaft, was das gerade geschieht.

Die große Krise, die Staaten in Europa und der Welt an den Rande des Ruins getrieben hat, scheint in Deutschland vorüber. So rechnet das Wirtschaftsministerium angesichts der verbesserten Konjunkturlage mit einem deutlich stärkeren Wachstum als bisher. Und auch die Arbeitsmarktzahlen erfreuen jedesmal die Gemüter der Politiker.

Experten warnen

Dass der derzeitige Aufschwung aber nur ein Strohfeuer sein könnte, dass sich nicht auf Dauer halten kann, wie viele Wirtschaftsexperten warnen, scheint in der Politik nur wenige zu interessieren. Zu sehr musste mancher Abgeordnete mitansehen, wie die schönsten Ideen, um den Wähler für sich zu gewinnen, angesichts der Krise den Bach heruntergingen.

Ganz vorn dabei ist die FDP. War sie es doch, die wegen ihres Wahlversprechens von Steuersenkungen und einem einfacheren und gerechteren Steuersystem gewählt worden war. Doch die Kanzlerin hatte den Koalitionspartner schnell mundtot gemacht. Es werde keine Steuererleichterungen vor 2013 geben, hatte Merkel angesichts der konjunkturellen Lage beschlossen. Und tatsächlich - bis auf wenige Ausnahmen wie etwa bei Wirtschaftsminister Brüderle - schien das Thema bei den Liberalen vom Tisch zu sein.

Doch die Zeit des Stillschweigens ist vorüber. Denn jetzt scheinen die Mehreinnahmen zum Greifen nah - und somit auch die Möglichkeit, Steuern zu senken. Und diesmal ist es nicht etwa der FDP-Wirtschaftsminister, der voranprescht, sondern der Parteivorsitzende selbst.

Guido Westerwelle hatte in einem Interview am Wochenende erklärt: "Für mich bleibt das Thema: Wie geben wir die Aufschwungdividende an die weiter, die sie erwirtschaften." Finanzielle Spielräume müssten zur steuerlichen Entlastung der Mittelschicht genutzt werden. Plötzlich ist der FDP-Politiker mit den großen Visionen wieder zur Stelle - nachdem er in den ersten Monaten der Koalition mächtig Kritik einstecken musste.

Der Schuldenbremse zum Trotz

Doch nicht nur die Liberalen frohlocken angesichts der guten Konjunkturdaten. Auch aus den Reihen der Union mehren sich Stimmen, doch die ein oder andere Entlastung zu gewähren - der beschlossenen Schuldenbremse und der damit verbundenen Haushaltskonsolidierung zum Trotz.

So etwa der Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten vom Wirtschaftsflügel der Union. "Jetzt müssen wir die überfälligen Steuervereinfachungen durchsetzen, weil nun endlich das Geld dafür da ist."

Und auch das gar nicht beliebte Sparpaket, dass zahlreiche Minister und Landespolitiker am liebsten boykottiert hätten, muss nun wieder herhalten. So hatte sich etwa der FDP-Verkehrspolitiker Torsten Staffeldt gegenüber unserer Redaktion für eine Lockerung des Sparpakets ausgesprochen - vor allem die Luftverkehrsabgabe sollte wegfallen oder reduziert werden.

Und der CDU-Vize Michael Fuchs erklärte kürzlich, es sei Zeit für den Ausstieg aus den Krisenprogrammen des Staates - wie etwa die Kurzarbeiterregelung. An Steuersenkungen aber mag Fuchs nicht denken. Am Montag erklärte er: "Die Mehreinnahmen müssen der Konsolidierung dienen. Ende."

SPD für Lohnerhöhungen

Doch nicht nur die Regierung gibt sich ihren Wähler-Fantasien hin. Auch die SPD ist ganz vorn mit dabei. Von Parteichef Sigmar Gabriel bis Fraktionsvize Hubertus Heil - die Sozialdemokraten fordern angesichts des Aufschwungs ein Ende der Lohnzurückhaltung.

So sagte Gabriel: "Wenn jetzt der Aufschwung kommt, darf es nicht nur ein Aufschwung für Boni bei Managergehältern sein, sondern ein Aufschwung für alle." Und Heil erklärte, man solle konjunkturelle Spielräume für Lohnerhöhungen nutzen.

Selbst der Wirtschaftsweise Peter Bofinger sprach sich für eine Anhebung der Löhne und Gehälter aus. Und der Bund der Steuerzahler unterstützt die FDP in der Forderung nach steuerlicher Entlastung.

Die guten Vorsätze jedenfalls scheinen bei so manchem Politiker dahin. Kein Wort mehr von der Belastung für die nächste Generation, kaum noch überzeugende "Wir müssen sparen"- Rufe sind zu hören. Ob sie damit allerdings das Herz des eisernen Spar- und Finanzministers Wolfgang Schäuble erweichen können, ist eher unwahrscheinlich.

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