Pressestimmen zur Asyl-Einigung "Deutschland sendet ein Signälchen"
Die Einigung der großen Koalition bezüglich der Asylpolitik und den speziellen Aufnahmeeinrichtungen am 6. November 2015 haben viele deutsche Tageszeitungen kommentiert. Ein Blick in die Presse.
Rheinische Post: "Damit Bund, Länder und Kommunen wieder Herr der Lage werden, müssen sie vor allem alle jene Beschlüsse, die sie mit dem Asylpaket und gestern gefasst haben, auch rasch und konsequent umsetzen. Dazu gehört beispielsweise die konsequente Rückführung von Migranten ohne Bleiberecht – auch jener, die schon seit Monaten bei uns leben."
Süddeutsche Zeitung: "War dieses Bündel von Einzelmaßnahmen nun die ganze Aufregung wert? Ja, denn es hat eine Koalition, in der – wie in der Gesellschaft auch - sehr unterschiedliche Meinungen herrschen, zusammengeführt. Es ist auch eine Botschaft sowohl an die Schreihälse als auch an jene nachdenklichen Unken, die über 'Staatsversagen' sinnieren. Und außerdem beweist der Kompromiss trotz aller Einschränkungen, dass diese Regierung, dieses Land und durchaus auch Horst Seehofer weiter Flüchtlinge aufnehmen werden und wollen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Der Kompromiss, Abschiebungen durch Schnellverfahren in „Registrierzentren“ zu beschleunigen und das Verfahren durch die Residenzpflicht abzusichern, hilft den Kommunen, ändert aber nichts an der massenhaften ungehinderten Einreise. Das ist nicht die Kehrtwende, die sich die CSU und Horst Seehofer versprochen hatten. Alle Hoffnungen der Koalition ruhen deshalb weiter auf der Türkei, die erledigen soll, was niemand in der EU übernehmen will, die Unterbrechung der Balkan-Route."
Die Welt: "Die Flüchtlingskrise ist mit den Asyl-Vereinbarungen der Koalition in eine neue Phase eingetreten: die der entschlossenen Ersatzhandlungen. Ein Signal, dass Deutschland am Limit ist, bleibt aus."
Bild: "Hart in der Sache, flexibel in der Verpackung: Die Transitzonen heißen jetzt Registrierzentren und statt geschlossener Einrichtungen ist von 'verschärfter Residenzpflicht' die Rede. Wenn Namenskosmetik dazu dient, die SPD mit ins Boot zu holen – sei's drum! Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Nach anfänglicher Schockstarre, kommt Bewegung in das Krisenmanagement der GroKo. Die Kanzlerin hat ihre Wunderwaffe gezückt, und diese Waffe heißt Peter Altmaier. Das Papier, das gestern nun endlich beschlossen wurde, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung: Wer beim Asylverfahren nicht mitwirkt, verliert seinen Anspruch. Wer aus sicheren Ländern kommt, muss zurück. Wer die Verwaltung mit immer neuen Folgeanträgen lahmlegt ebenfalls. All das wird noch nicht reichen, um den Zustrom der Flüchtlinge wirklich zu ordnen und steuern. Jetzt bitte keine weiteres Parteiengezänk. Sondern: Anpacken!"
tageszeitung (Berlin): "Europas Flüchtlingskrise steht erst am Anfang. Je mehr in der arabischen Welt und in Afrika Diktatoren Krieg gegen das eigene Volk führen, Terrorgruppen die Gesellschaften zerstören und ganze Staaten untergehen, desto mehr Menschen bleibt keine Alternative zur Odyssee in die Fremde, in der verzweifelten Hoffnung, dass zumindest ihre Kinder überleben. Alle Überlegungen über gerechtere Lastenverteilung, bessere Kontrollen, schnellere Asylverfahren und einfachere Abschiebungen ändern daran nichts. Sie verschärfen höchstens das Problem."
Saarbrücker Zeitung: "An begrifflicher Fantasie hat es im Streit der Großkoalitionäre wahrlich nicht gemangelt. Wohl aber an der Umsetzung geeigneter Lösungen. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass sich durch den lauen Kompromiss des gestrigen Gipfels alles in Wohlgefallen auflöst? Wenn 40 Prozent der Neuankömmlinge unregistriert in Deutschland sind, wie Experten sagen, dann rüttelt das an der Funktionsfähigkeit des Staates. Union und SPD haben hier kaum etwas zu gewinnen. Aber sie können deutlich verlieren, wenn sich der Eindruck 'Die schaffen das nicht' verfestigt."
Sächsische Zeitung (Dresden): "Seit Wochen, im Grunde seit Monaten wird zugesagt, dass die Verfahren der Asylsuchenden erkennbar beschleunigt und Menschen ohne Bleiberecht rasch zurückgeführt werden, um den Schutzbedürftigen tatsächlich helfen zu können. Die Ergebnisse sind – vorsichtig formuliert – äußerst mager. Gejubelt wird schon, wenn es gelingt, 30 Flüchtlinge in einem Riesenflieger nach Luxemburg zu bringen. Kurzum: Es würde fürs Erste reichen, rascher als bislang abzuarbeiten, was bereits vereinbart ist."
Nordwest-Zeitung (Oldenburg): "In besonderen Aufnahmeeinrichtungen sollen die Anträge von Asylbewerbern ohne Bleibeperspektive nun schneller bearbeitet werden. Und Asylbewerber sollen einheitliche Ausweise bekommen. Maßnahmen, die lange überfällig waren, aber auf die in der kakophonisch geführten Debatte offenbar vorher niemand gekommen ist oder, was schlimmer wäre, die nicht politisch durchsetzbar waren."
Stuttgarter Nachrichten: "Die von wochenlangem CSU-Getöse erzielte butterweiche schwarz-rote Vereinbarung über drei bis fünf Aufnahmeeinrichtungen, in denen es beschleunigte Verfahren für Bewerber aus sicheren Herkunfts¬ländern geben wird, dürfte wenig ändern: Es wird verwaltet, nicht begrenzt. Die Bürger werden schnell merken, dass hier zwar ein gesichtswahrender politischer Kompromiss gefunden wurde, keinesfalls aber der in Aussicht gestellte große Wurf, um einen Großteil der Flüchtlinge endlich zügig abschieben zu können. Die Politik wird also weiter ein bisschen entschlossen an ihrem Konzept herumdoktern."
Nürnberger Zeitung: "Alle Neuankömmlinge müssen sich in zentralen Aufnahmeeinrichtungen registieren lassen, wobei das hässliche Wort Transitzone nicht mehr fiel. Von daher kann sich SPD-Chef Sigmar Gabriel vielleicht einen Teilsieg ans Revers heften. Aber wird ihm dieser Sieg auch etwas nützen? Wohl eher nicht; denn das Gezerre zwischen Merkel, Seehofer und ihm in den vergangenen Wochen hat schon soviel Porzellan zerschlagen und Poltikverdrossenheit produziert, dass keine Partei von der gestrigen Einigung profitieren dürfte."
Neue Westfälische (Bielefeld): "Politisch ist eine gute Lösung gefunden worden. CDU/CSU auf der einen und SPD auf der anderen Seite haben jeweils eigene Vorstellung durchsetzen können. Es gibt keinen Gesamtsieger. Es wäre ein politisches Desaster geworden, wenn die Koalition an dieser Frage zerbrochen wäre."
Thüringische Landeszeitung (Weimar): "Was die Koalitionäre da gestern Abend in demonstrativ zur Schau getragener Einigkeit verkündet haben, mag ja für jeden der Drei gesichtswahrend sein. Ob es aber der große Wurf ist, um in der Flüchtlingspolitik vom Getriebenen wieder zum souverän agierenden Manager zu werden, darf bezweifelt werden. Denn Absichtserklärungen à la 'Wir werden, sollen und müssen' gab es zuletzt zuhauf. "
Rheinpfalz (Ludwigshafen): "Das Merkelsche Konzept des offenen, zugewandten Umgangs mit den Flüchtlingen kann (...) nur funktionieren, wenn es in eine EU-weite Gesamtstrategie eingebettet ist. Die aber gibt es nicht, wird es so schnell auch nicht geben. Stattdessen herrscht eine Politik des nationalen Rette-sich-wer-kann. Die Kanzlerin hat auf dem EU-Parkett bislang geradezu virtuos agiert. Das EU-weit spürbare Ausmaß an Abwehr und Abschottung, wenn es um eine innenpolitisch heikle Frage wie die Aufnahme von Flüchtlingen geht, noch dazu aus anderen Kulturkreisen, hat sie jedoch offensichtlich völlig unterschätzt."
WAZ: "Seit dem gestrigen Kompromiss besteht zumindest die Hoffnung, dass in der nächsten Zeit wieder Sachfragen im Vordergrund stehen. Dass die Kommunen und die Helfer vor Ort mit ihren Problemen und die Asylsuchenden in ihrem Elend nicht länger im Stich gelassen werden. Die Flüchtlinge sind hier. Alle müssen mit ihnen leben. Und viele wollen das auch."
Münchner Merkur: "Deutschland sendet ein Signälchen: Migranten mit geringer Bleibeperspektive sollen in neuen Aufnahmeeinrichtungen einem beschleunigten Asylverfahren unterworfen werden. Wer einfach weiterreist, soll keine Leistungen mehr erhalten. Und: Für manche wird der Familiennachzug erschwert. Merkel-Land löst sich in Tippelschritten von dem, was unsere Nachbarn naserümpfend deutsche Einladungspolitik nennen. Die Grenzen bleiben weit offen, aber nicht mehr jeder, der kommt, darf sich auch willkommen fühlen. Ob das wohl die dringend erhoffte Entlastung bringt? Eher sieht es so aus, als habe die Große Koalition nach absurdem Streit endlich ihren kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden. Noch weniger war kaum möglich angesichts des wachsenden Frusts der überforderten Ehrenamtlichen über die Untätigkeit der Politik."
Schwäbische Zeitung (Ravensburg): "Die Einigung war folgerichtig. Zumal eine ordentliche Registrierung der Flüchtlinge, ob nun in Transitzonen oder Registrierzentren, selbstverständlich sein sollte. Und die vereinbarten schnellen Verfahren für solche, deren Asylantrag kaum eine Chance hat, senden auch das richtige Signal. Genauso wichtig ist aber, dass die Zahl der Entscheider wächst, sodass Asylanträge abschließend bearbeitet werden. Dass Flüchtlinge nicht sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen sitzen. Und dass sie sehr schnell Deutsch lernen und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen."
Rhein-Neckar-Zeitung (Heidelberg): "Die Koalition hat Panik bekommen. Die Koalition hat getagt. Die Koalition ist eingeknickt. Der Druck war zu stark. Die nach unten zeigenden Zustimmungsraten in den Umfragen, die zunehmende Entfremdung zwischen Volk und Regierung - all das führte dazu, dass Union und SPD sich symbolträchtig einigten: Die guten Asylbewerber ins Land, die schlechten vor die Grenze."
Flensburger Tageblatt: "Das unwürdige Gezerre um die 'Seehofer-Zonen' hat andere ungelöste Probleme überlagert. Noch immer dauert es zum Beispiel etwa ein halbes Jahr, bevor ein Asylbewerber beim Bundesamt für Migration die Chance auf ein erstes Gespräch hat. Auch auf viele andere Fragen, die der gewaltige Zustrom von Menschen stellt, gibt es nach wie vor keine Antworten. Die aber sind dringend notwendig."
Freie Presse (Chemnitz): "Die CSU wollte Flüchtlinge in Transitzonen in Gewahrsam nehmen. Hier hat die SPD ihr Veto eingelegt. (...) Der Kompromiss sieht stattdessen vor, dass es besondere Aufnahmezentren geben soll, in denen Asylanträge beschleunigt bearbeitet werden. Auf dem Papier scheint das eine kluge Lösung, mit der der Staat wieder Herr des Verfahrens werden kann. In der Praxis bleibt hingegen weiterhin die Frage, wo das nötige Personal dafür herkommen soll, das ja bereits jetzt fehlt."
Badische Neueste Nachrichten: "Was Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel gestern verabredet haben, ist allenfalls der Anfang einer neuen, restriktiveren Politik. Wo das alles endet, wissen auch die großen drei noch nicht."