Analyse Deutschland, deine Muslime

Düsseldorf · Vier bis fünf Millionen Muslime leben in Deutschland. Eine einheitliche Gruppe sind sie nicht. Der Islamexperte Eren Güvercin erklärt die Unterschiede zwischen Salafisten, Aleviten und säkularen Muslimen.

 Ein Blick in die Duisburger Moschee.

Ein Blick in die Duisburger Moschee.

Foto: AP

So unterschiedlich wie die Strömungen des Islams sind, so unterschiedlich sind auch die knapp fünf Millionen Muslime in Deutschland. Die Bandbreite reicht von säkulär bis radikal.

Säkulare Muslime

Für säkulare Muslime spielt der Islam im Alltag keine bis fast keine Rolle. Sie beten nicht fünfmal am Tag, fasten nicht während des Ramadan, sie gehen nicht in die Moschee und gehören keiner Moscheegemeinde an. Was allerdings nicht heißt, dass sie sich nicht selber als Muslime sehen. Ob ihr Anteil an den Muslimen in Deutschland zu- oder abnimmt, lässt sich schwer sagen. Es gibt gegenläufige Entwicklungen, also Säkularisierung und eine Rückbesinnung auf den Glauben: Junge Menschen, die zwar von der Familie nicht religiös erzogen wurden, später aber für sich die Religion entdecken. Jedenfalls führt ein höherer sozialer Status nicht automatisch zu Säkularisierung.

Praktizierende Muslime in Moscheegemeinden

Diese Muslime sind etwa daran zu erkennen, dass sie sich an die fünf Säulen des Islam (den Glauben an Allah, die fünf täglichen Gebete, die Wohltätigkeit gegenüber Menschen, das Fasten während des Ramadan und die Pilgerfahrt nach Mekka) halten. Zumeist besuchen sie regelmäßig eine Moscheegemeinde. Ein Großteil der Moscheegemeinden gehört zu einem der vier Dachverbände: der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), dem Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, dem Verband der Islamischen Kulturzentren und dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD).

Der größte Dachverband ist die Ditib. Trotz seines Namens und obwohl er häufig in den Medien zitiert wird, ist der Zentralrat der Muslime der kleinste der vier Dachverbände und vertritt nur knapp drei bis vier Prozent der Muslime in Deutschland. In ihm sind arabische und türkische Muslime organisiert. Die vier Dachverbände haben 2007 den Koordinationsrat der Muslime gegründet. Nominell werden 15 bis 25 Prozent der Muslime in Deutschland durch die Moscheegemeinden vertreten, also Muslime, die tatsächlich offizielles Mitglied sind. Die meisten Moscheegemeinden sind sunnitisch, im ZMD sind auch Schiiten vertreten.

Die Moscheegemeinden stehen vor zwei großen Herausforderungen. Erstens: Welche Angebote machen sie Jugendlichen, damit diese nicht zu salafistischen Predigern laufen? Denn die Radikalisierung findet nicht in den Moscheegemeinden statt. Daher muss man sich die Frage stellen, warum man diese jungen Menschen nicht erreicht. Zweitens: Sie müssen sich noch stärker nach außen öffnen.

Da gibt es bereits positive Ansätze, aber bei einigen Moscheegemeinden hat man das Gefühl, dass das Migrantendasein künstlich aufrechterhalten wird. Die erste Generation der Gastarbeiter hat mit der Gründung der sogenannten Hinterhofmoscheen Großartiges geleistet, aber die Bedürfnisse sind jetzt andere. Man darf nicht immer von der Mehrheitsgesellschaft und Politik alles erwarten, man muss auch schauen, was man als Muslim der Gesellschaft geben kann. Deutschland ist auch das Land der Muslime, die hier geboren und aufgewachsen sind.

Aleviten

Die Aleviten sind eine Glaubensrichtung, in der einige sich nicht als Muslime sehen. Andere Aleviten wiederum betrachten sich als Muslime, doch auch für diese spielen die fünf Säulen des Islams überwiegend eine untergeordnete Rolle. Sie versammeln sich nicht in der Moschee, sondern in einem Cemhaus. Der Großteil der Aleviten kommt aus der Türkei, wo es immer wieder zu Konflikten kam. Das ist eine Erklärung dafür, warum sie sich häufig in der politischen Opposition beteiligen. Einige wenige ideologisierte Aleviten sind in der PKK oder anderen Gruppen aktiv. Diese Gruppen werden vom Verfassungsschutz beobachtet und sind auch für einige Brandanschläge auf Moscheen in Deutschland verantwortlich. In Deutschland stellen Aleviten nach den Sunniten mit etwa 13 Prozent die größte Gruppe der Muslime.

Salafisten

Der Salafismus ist eine sektiererische Bewegung, die ihre Wurzeln im Wahhabismus hat. Dieser entstand im 18. Jahrhundert in Saudi-Arabien. Das Hauptmerkmal der Salafisten ist, dass sie die 1400 Jahre alte Denktradition und die vier (sunnitischen) Rechtsschulen im Islam ablehnen. Sie wollen zurück zu dem, was sie als "wahren Islam" bezeichnen. Dabei schrecken sie auch nicht davor zurück, Koran-Passagen aus dem Zusammenhang zu reißen und den zeitlichen Zusammenhang zu ignorieren. Dass sie Musik ablehnen oder Frauen nicht die Hand geben, macht sie aber noch nicht zu Salafisten oder Extremisten. Diese Haltung gibt es auch bei einigen sehr konservativen Muslimen, die alles andere als extremistisch sind. Diese katalogartige Prüfung kann nur in einem desaströsen Ergebnis enden. In Deutschland leben zirca 8000 Salafisten, größere Gruppen gibt es seit Ende der 90er Jahren. Die meisten Salafisten haben arabische Wurzeln oder sind Konvertiten. Türkische Muslime scheinen durch ihre Denktraditionen immunisierter gegen den Salafismus zu sein. Besonders anfällig für den Salafismus sind labile Persönlichkeiten, Menschen mit geringer religiöser Bildung, mit kleinkrimineller Vergangenheit. Insgesamt ist es ein Jugendphänomen, eine Protestkultur junger Menschen gegen die Familie, das Umfeld und die Gesellschaft.

Gewaltbereit ist allerdings nur eine Minderheit der Salafisten, einige Hundert, die durchs Internet und persönliche Kontakte weiter radikalisiert werden, bevor sie zum Beispiel nach Afghanistan oder zum IS nach Syrien reisen. Pierre Vogel, der bekannteste Salafist in Deutschland, distanziert sich zwar immer von Gewalt, aber er leistet wichtige Vorarbeit in der Ideologisierung.

SEBASTIAN DALKOWSKI PROTOKOLLIERTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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