Wohnungsnot Zorn der Mieter trifft Bundesregierung

Berlin · Die steigenden Mieten in Ballungsräumen werden nach Pflege und Klima zum neuen Großthema der Politik. Die Not der Bürger ist groß. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bezeichnet Wohnen als ein Grundrecht und fordert eine Wohngarantie.

 „Vermieten“ steht in großen Lettern an Balkonen eines Mietshauses.

„Vermieten“ steht in großen Lettern an Balkonen eines Mietshauses.

Foto: dpa/Tim Brakemeier

Das Thema Pflege ist der Bundesregierung im Bundestagswahlkampf auf die Füße gefallen. Im Europawahlkampf wirkten alle außer den Grünen in Sachen Klimaschutz unvorbereitet. Nun droht neues Ungemach beim Thema steigende Mieten.

Anstatt die Not der Bürger, bezahlbaren Wohnraum zu finden, zum Schwerpunkt der Wahlperiode zu machen, wurde die Zuständigkeit für Bauen und Wohnen dem Innenministerium zugeschlagen. Presseanfragen zu diesem Thema bleiben schon mal unbeantwortet – wie am Donnerstag.

Wenn die Bundeskanzlerin heute in Köln auf dem Deutschen Mietertag auftritt, dürfte sie zwar höflich, aber nicht wirklich freundlich empfangen werden. Der Zorn der Mieter auf die Politik wegen der grassierenden Wohnungsknappheit und der stark gestiegenen Mieten in den Ballungsräumen wächst.

 Tatsächlich geht es nicht nur um ein gefühltes Phänomen. Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen, dass die Mieten in den meisten der zehn größten deutschen Städte im Sieben-Jahres-Zeitraum zwischen 2012 und 2019 noch einmal stärker gestiegen sind als in den sieben Jahren davor.

Dies gilt etwa für Berlin, wo es seit 2012 Preissteigerungen von 29 Prozent gegeben hat – nach einem Plus von knapp 18 Prozent zwischen 2005 und 2012. Auch in München, Köln, Stuttgart, Dortmund, Essen und Leipzig zogen die Preise seit 2012 nochmals stärker an als zuvor. Nur in Hamburg und Frankfurt, wo die Preisniveaus bereits vergleichsweise hoch waren, gab es in der jüngeren Zeit weniger Preissprünge.

Während der Mieterbund vor allem auf regulatorische Schritte wie etwa eine Verschärfung der Mietpreisbremse setzt, pochen Ökonomen und Spitzenvertreter der kommunalen Verbände auf mehr sozialen Wohnungsbau und wirkungsvollere Anreize für den Mietwohnungsbau.

„Was die Politik falsch gemacht hat, ist: Sie hat den sozialen Wohnungsbau zu sehr vernachlässigt“, sagte etwa Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds. Vor 30 Jahren habe es noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen gegeben, heute seien es nur noch 1,1 Millionen. Und pro Jahr fielen derzeit 70.000 Sozialwohnungen aus der Sozialbindung heraus.

Landsberg will zudem Verkäufer von Bauland und Vermieter steuerlich begünstigen. „Wer Bauland verkauft, wird steuerlich begünstigt, indem etwa der Erlös nicht mehr dem Betriebsvermögen zugerechnet wird“, forderte der Gemeindebunds-Chef. „Auch Vermieter, die bei der Miete unter dem Mietspiegel bleiben, sollte man steuerlich begünstigen. Für die Mieteinnahmen könnte die Einkommensteuer entfallen.“

Einen gezielteren Zugang zu den Sozialwohnungen für Bedürftige fordert auch IW-Experte Michael Voigtländer. „Viele ziehen anfangs mit geringem Einkommen ein, steigern es mit der Zeit, bleiben aber trotzdem in der geförderten Wohnung. Es ist nicht Sinn der Sache, dass Normal- oder Gutverdiener in Sozialwohnungen leben.“ Die regelmäßige Einkommensprüfung müsse überall obligatorisch werden.

Als „elementar“ zur Bekämpfung der Wohnungsnot sieht auch der Präsident des Deutschen Städtetags und Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung den sozialen Wohnungsbau. „Nötig sind 80.000 bis 120.000 neue Sozialwohnungen jährlich“, sagte Burkhard. Derzeit seien es nur etwa halb so viele.

Der SPD-Politiker mahnte: „Ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, darf nicht allein dem Markt überlassen werden.“ Bund, Länder und Kommunen, aber auch Wohnungs-, Bau- und Immobilienwirtschaft müssten an einem Strang ziehen.

Die Grünen übten scharfe Kritik an der Wohn- und Baupolitik der Bundesregierung. „Wohnen ist ein Grundrecht, und die Bundesregierung verweigert es“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Der Bauminister tue nichts, und die Position der Justizministerin sei de facto vakant.

„Was wir brauchen, ist eine Wohngarantie“, forderte die Grünen-Politikerin. Dazu gehörten die Schaffung von jährlich 100.000 dauerhaft bezahlbaren Wohnungen, ein Sofortprogramm zum Ausbau von 100.000 Dächern und Häusern sowie rechtssichere regionale Mietobergrenzen. Den zusätzlichen Wohnungsbau wollen die Grünen gemeinnützig organisieren.

(qua)
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