Urteile zum Asylrecht Deutsche Regelung zum Familiennachzug ist rechtswidrig

Berlin · Deutschland verstößt mit seinen Gesetzen zum Nachzug von Familienangehörigen von Flüchtlingen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen EU-Recht. Auch in anderen Asylfragen entschieden die Richter gegen deutsche Regelungen. Das wirft Fragen auf.

 Die Bürotürme des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg.

Die Bürotürme des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg.

Foto: dpa/Arne Immanuel Bänsch

Kein guter Tag für Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof: Das höchste europäische Gericht kassiert gleich mehrere Regeln, die die Rechte von Flüchtlingen und Migranten betreffen. Die Richter erklärten am Montag in Luxemburg eine Regel zum Nachzug von Familienangehörigen von Flüchtlingen sowie Einschränkungen von Kindergeldleistungen für Zuzügler aus anderen EU-Staaten für rechtswidrig. In einem weiteren Fall mit Deutschlandbezug wurden die Rechte minderjähriger Flüchtlinge gestärkt, die einen Antrag auf internationalen Schutz stellen.

EU-Recht steht in dem Staatenbund über dem nationalen Recht. EuGH-Urteile müssen deshalb von den EU-Staaten umgesetzt werden. Inwiefern die Bundesregierung nun Handlungsbedarf sieht, blieb am Montag zunächst offen. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte auf Nachfrage, man prüfe die Urteile. Hier ein Überblick, was der EuGH entschieden hat.

Familiennachzug Wenn ein minderjähriges Kind nach Deutschland kommt und einen Asylantrag stellt, darf auch dann die Familie aus dem Heimatland nach Deutschland folgen, wenn das Kind während des laufenden Verfahrens volljährig wird (C-273/20 und C-355/20). Nach Ansicht der Luxemburger Richter hätten den deutschen Regeln zufolge die zuständigen Behörden und Gerichte keinen Grund, die Anträge der Eltern mit der gebotenen Dringlichkeit zu bearbeiten.

Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Günter Krings (CDU), kritisierte die Entscheidung des EuGH. „Dass die europäischen Richter keine Anreize setzen wollen, dass nationale Behörden Nachzugsanträge zu Minderjährigen unangemessen lange liegen lassen, um schon dadurch den Nachzug zu verhindern, ist nachvollziehbar“, sagte er. „Es fehlen aber ausreichende Anhaltspunkte, dass es den deutschen Behörden gerade darum ging. Es hätte deshalb allemal gereicht, wenn der EUGH nur bei missbräuchlichem Behördenverhalten einen Nachzug zu Volljährigen ermöglicht hätte“, sagte der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Mit der nun sehr weitgehenden Entscheidung schaffe man leider unnötige zusätzliche Anreize, „dass Großfamilien 17-Jährige auf einen gefährliche Weg durch Afrika oder übers Mittelmeer schicken, um so den Rest der Familie nach Deutschland holen zu können“, sagte Krings. Für die Akzeptanz des Asylrechts sei das keine gute Entwicklung.

Kindergeld Ebenfalls gekippt wurde eine Regel, die Kindergeldzahlungen für zugezogene Menschen aus anderen EU-Staaten einschränkt. Demnach dürfen Ansprüche in den ersten drei Monaten des Aufenthalts nicht von Einkünften aus einer Erwerbstätigkeit abhängig gemacht werden. Die EuGH-Richter argumentierten, dass das in Rede stehende Kindergeld keine Sozialhilfeleistung im Sinne möglicher Ausnahmebestimmungen darstelle (C-411/20). Grund dafür sei, dass es nicht der Sicherstellung des Lebensunterhalts diene, sondern dem Ausgleich von Familienlasten.

Internationaler Schutz In einem weiteren Fall stärkte der EuGH die Rechte minderjähriger Flüchtlinge, die in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz stellen. Es dürfe bei einem solchen Antrag keine Rolle spielen, ob den Eltern des Minderjährigen zuvor bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt worden sei, urteilten die Richter (C-720/20). Voraussetzung ist demnach allerdings unter anderem, dass der Minderjährige zuvor nicht schon in einem anderen Land schriftlich um Schutz gebeten hat. Damit widersprach der EuGH den deutschen Behörden. Diese hatten sich für den Antrag auf internationalen Schutz einer russischen Minderjährigen eigentlich nicht zuständig gefühlt, weil ihre Familie bereits einen Schutzstatus in Polen bekommen hatte.

(jd/dpa)
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