Afghanistan-Einsatz Der Taliban-Vormarsch und die Lehren für den Westen

Meinung · Zwei Jahrzehnte mühte sich eine internationale Allianz, eine nachhaltige Aufbau-Mission für ein demokratisches Afghanistan mit viel Aufwand und unter großen Verlusten zu erfüllen. Der überstürzte Abzug droht das nun zu einer gescheiterten Mission zu machen. Was daraus zu lernen ist.

 Anhänger ziehen mit Taliban-Flaggen am vergangenen Mittwoch in Chaman Richtung afghanisch-pakistanische Grenze.

Anhänger ziehen mit Taliban-Flaggen am vergangenen Mittwoch in Chaman Richtung afghanisch-pakistanische Grenze.

Foto: AP/Tariq Achakzai

Die aktuelle Entwicklung in Afghanistan stellt ein großes Fragezeichen hinter den gefährlichen Einsatz von 160.000 Bundeswehrsoldaten, von denen 59 im Kampf um eine bessere Zukunft am Hindukusch und in der Welt ihr Leben ließen. Die deutschen Einheiten sind gerade einmal drei Wochen aus dem Norden des Landes abgezogen, da nehmen die radikalislamischen Taliban die Regionen nahezu handstreichartig ein. Inzwischen sind mehr als die Hälfte aller Provinzen des Landes in der Hand der Taliban.

Jeder hätte größtes Verständnis für den Abzug der internationalen Militärallianz 20 Jahre nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 gehabt, wenn als Vorbereitung der Druck auf beide Seiten bei den Verhandlungen zwischen Regierung und Taliban in Doha so weit erhöht worden wäre, dass dort ein faires, verlässliches und belastbares Friedensabkommen als Ergebnis gestanden hätte. Mit einer „Mission erfüllt“ wären die Militärs in die Maschinen gestiegen. Aber 20 Jahre Einsatz allein am Termin des gewünschten Abzuges und nicht am Erreichen wenigstens von Minimalzielen enden zu lassen, führt nun zum Stempel „Mission gescheitert“.

Damit liegt die erste Lehre aus dem Afghanistan-Einsatz bereits auf dem Tisch: Immer wieder neue Teilziele definieren, diese nach Kräften umsetzen und stabilisieren, um nicht am Ende alles zu verspielen.

Hinzu kommt eine kritische Bestandsaufnahme der Interventions-Logik. 1994 stand die westliche Welt unter dem Schock des Völkermordes in Ruanda mit bis zu einer Million Todesopfern. Man fühlte sich schuldig, keine Nothilfe geleistet zu haben. Als vier Jahre später Ähnliches im zerfallenden Jugoslawien drohte, war die Bereitschaft zum Eingreifen deutlich gewachsen. Und als dann 2001 die Terrorangriffe mit entführten Flugzeugen die Welt auf den Kopf stellten und Al-Qaida unter dem Schutz der Taliban in Afghanistan als Urheber enttarnt wurde, war es nur noch ein kleiner Schritt zur Intervention.

2003 bröckelte die Allianz im Irakkrieg, und die weiteren Entwicklungen belegten, dass mangelhaft durchdachte Interventionen nicht Teil einer Lösung, sondern Taktgeber eines noch viel größeren Problems werden. So trug das mit Moskau fehlerhaft abgestimmte Vorgehen in Libyen zum ungehinderten Wüten des Bürgerkrieges mit Hunderttausenden von Opfern in Syrien bei. Am Ende folgte auch das Ende des Afghanistan-Einsatzes einer von Anfang an fehlenden Konsequenz. Die USA wussten um den fatalen Einfluss Pakistans auf das Nachbarland, fassten den Partner aber mit Samthandschuhen an, obwohl sie zu Recht vermuteten, dass Osama bin Laden, der Drahtzieher von 9-11, nicht in Afghanistan, sondern in Pakistan Unterschlupf gefunden hatte.

Es muss nun also eine Bestandsaufnahme geben, die weit über den Afghanistan-Einsatz hinausreicht. Und sie muss in einer Enquete-Kommission des Bundestages so bald wie möglich beginnen, damit wichtige Lehren auch für den laufenden Mali-Einsatz schnell auf den Tisch kommen.

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