SPD-Altkanzler feiert Geburtstag Der mutige Aufsteiger Gerhard Schröder wird 70 Jahre alt

Düsseldorf · Der bislang letzte Kanzler aus der SPD hat am Montag Geburtstag. Sein Leben ist die Geschichte eines Mutigen in der Politik und im Leben.

Zehn Sprüche von Gerhard Schröder
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Am Montag, wenn der siebte Bundeskanzler 70 Jahre alt wird, stehen die "Frogs", die "Friends of Gerhard Schröder", zum Jubilieren an. Es wird Männerumarmungen geben, Knuffe für den Skat- und Rotweinkumpel. Man wird das dröhnende Schröder-Lachen hören; und für die Damenwelt hat der alte Charmeur emotional Feingestricktes im Angebot. Eine seiner Stärken ist der Umgang von Mensch zu Mensch. Wäre er seinem ersten Beruf Einzelhändler treu geblieben, hätte es Schröder zu einem tüchtigen Verkäufer gebracht.

Wie allen hart wirkenden Kerlen sind auch Schröder Sentimentalitäten nicht fremd. Als ihm 2005 die Bundeswehr zum Abschied mit Zapfenstreich wunschgemäß Frank Sinatras "My Way" blies, sah man Tränen in Schröders Augenwinkeln. Wir wissen nicht, ob er an seinem Siebzigsten ins Grübeln kommt, womöglich an den Knochenmann denkt, den Psalm-Spruch im Sinn: "Das Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig." Der Psalmist fährt mit Blick aufs Leben fort: "Und wenn's köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen."

"Jawoll!"

Gerhard Schröder rechnet ab
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Hierzu traut man dem Jubilar ein "Jawoll!" zu. Mühe, Arbeit, Aufstiegs-Plackerei bestimmten weite Phasen eines außergewöhnlichen Lebens. Seine Anfänge (Schröder: "Wir waren die Asozialen") erscheinen einem heutigen Wohlstandsspross unbegreiflich. Von Kindesbeinen an gut situierte Gegner Schröders — es sind auch bloße Neidhammel darunter — halten ihm oft vorstädtische Selfmade- und Showman-Attitüden inklusive dampfendem Aufsteiger-Prunk vor. Jeder Naserümpfer möge sich fragen: Wie hättest du es gefeiert, wenn es dir wie diesem Willensstarken, der von ganz unten kam, gelungen wäre, aus eigener Kraft vom "Fensterkitt-Fresser" (Eigenbeschreibung) und Porzellanladen-Lehrling zum Bundeskanzler zu steigen? Hat so jemand nicht Verständnis verdient, dass er Statussymbole wie die Villa in Hannover, das Borkumer Feriendomizil, die reichen Freunde mit Stolz herzeigt? Und auch ein sich sachte neigendes Leben im Wohlstand genießt — ohne Vornehmtuerei, zu der Schröder weder willens noch in der Lage wäre?

Konrad Adenauer schrieb, das Wichtigste für einen Politiker sei der Mut. Schröder — einen großen Kanzler wird man ihn nicht nennen, einen starken schon — hat mehrfach Mut bewiesen: als seine Regierung 1999 (völkerrechtswidrig?) deutsche Soldaten in den Kosovo-Krieg entsandte; als unter der blutleeren Formel "Agenda 2010" gegen erbitterten Widerstand die wuchernden Sozialsysteme beschnitten wurden. Da war der "Kanzler der Bosse" bei SPD- und DGB-Funktionären und in weiten Teilen klassisch sozialdemokratischer Wählerschaft unten durch. Die bittere Arznei wirkte, sie ließ den Patienten Deutschland zum Muskelmann Europas aufwachsen.

Schröder zeigt Mut

Noch etwas zeigte Schröders Mut: Sein Nein zu George W. Bushs Angriffskrieg gegen den Irak. Der Kanzler stand 2002/03 ziemlich allein gegen den Bush-Plan. Ein Freund, Amerika, war auf dem Irrweg. Schröder traute sich, dem Freund zu widersprechen — im Einklang mit 70 Prozent der Deutschen. Das wirft bis heute die Frage auf, ob Schröder mit seinem famosen Bauchgefühl das "No, Mr. Bush" nicht zu Wahlkampf-Zwecken hinausgeschrien hat. Kanzler-like wirkte es nicht, auf parteipolitischen Bolzplätzen in Hemdsärmeln gegen den fernen Freund vom Leder zu ziehen. Amerika konnte Schröders Rüpelei, so sachlich begründet sie war, als treulos verstehen. Derselbe Mr. No indes riskierte in einer Vertrauensabstimmung im Bundestag seine Kanzlerschaft, um nach dem epochalen Terror des 11. September den USA mit uneingeschränkter Solidarität im Kampf gegen das terroristische Taliban-Regime in Afghanistan beizustehen.

Über Schröders Kanzlerjahre ab 1998 legten sich viele Schatten. Die ersten Monate waren sprunghaft, amateurhaft. Renten- und Arbeitsmarkt-Reformansätze der Vorgängerregierung wurden zurückgenommen, um sie Jahre später, beinahe zu spät, rabiat ins Werk zu setzen. Die Arbeitslosigkeit stieg ins Gefährliche, die Staatsverschuldung auch. Kanzler und Frankreichs Präsident missachteten die Euro-Stabilitäts-Kriterien. Schröders SPD verlor Landtagswahlen in Serie, 2005 sogar nach 39 Jahren in NRW. Des Kanzlers Dauerrivale Oskar Lafontaine hatte dem Kabinett schon nach drei Amtsmonaten den Rücken gekehrt. Lafontaine wurde zum Feind, der an der Spitze der Linkspartei auf Rache sann. Viele Sozialdemokraten sympathisierten mit dieser radikalen Linken.

Gas geben und Kohle machen

Schröder, der selbst als Parteichef zu den Funktionärs-Blässlingen mit ideologischem Sperrgepäck Distanz hielt, bestätigte noch im Abgang vom Kanzleramt Vorurteile seiner Widersacher: durch seine denkwürdig-patzige Ego-Show am TV-Wahlabend 2005. Und mit seiner Entscheidung kurz darauf, den exzellent bezahlten Aufsichtsratsposten bei der Nord Stream AG anzunehmen, deren Mehrheitsgesellschafter der von Russland kontrollierte Energiegigant Gazprom ist. Es schien so, als könne es jemand, der eben noch deutscher Staatsdiener war, nicht abwarten, auch anderen zu dienen und dabei "Gas" zu geben, "Kohle" zu machen.

Wer es gut meint mit dem ewigen Aufsteiger und treuen Freund Wladimir Putins, wird ihm den gesunden Erwerbssinn als Senior nachsehen. In seinem Interview-Buch "Klare Worte" wird Schröder gefragt: "Wie wichtig ist Ihnen heute Geld?" Antwort: "Geld schafft Freiheit, Freiheit für Dinge, die man sich sonst nicht leisten kann." Da hört man wieder den Sohn der Kriegerwitwe, die fünf Kinder als Putzfrau durchbringen musste. Auf Schröders Schulbrote kam bestenfalls Zucker, nie Wurst. Hunger war dem Jungen, dessen Vater 1944 gefallen war, nicht fremd.

Heute ist Schröder ein gemachter Mann. Manchmal geht das Leben auch gerecht mit jemandem um.

(RP)
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