Interview mit Annegret Kramp-Karrenbauer "Der Mindestlohn kommt 2013"
Berlin · Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Chefin einer großen Koalition, spricht im Interview mit unserer Redaktion über die soziale Ungleichheit in Deutschland, höhere Steuern und zur Frage, warum das kleine Saarland weiter eigenständig sein sollte.
Das Privatvermögen der Deutschen steigt, die Armen bleiben arm. Ist das gesellschaftlicher Sprengstoff?
Kramp-Karrenbauer Es ist in der Tat so, dass wir eine Konzentration des Vermögens im oberen Bereich haben. Aber es ist auch richtig, dass die Wohlhabenden und die Mittelschicht über die Steuern einen Großteil des Sozialstaats finanzieren. Die Mittelschicht in Deutschland ist weiter stabil, im unteren Bereich der Einkommen gibt es Probleme. Das müssen wir uns anschauen. Da geht es um Teilhabe und Aufstiegschancen. Das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft, jeder hat die Chance aufzusteigen, muss in einigen Fällen erneuert werden.
Die Opposition will Vermögende höher besteuern.
Kramp-Karrenbauer Die Vorschläge sind überzogen und kontraproduktiv. Eine höhere Erbschaftsteuer oder eine Vermögensteuer kann auch viele Betriebsinhaber treffen und eine solche Besteuerung setzt das Signal, das Eigentum geächtet wird. Ich halte das für falsch.
Die SPD entdeckt ein Jahr vor der Bundestagswahl die sozialen Themen. Steuern für Spitzenverdiener, Mindestrenten, Mindestlöhne. Was setzt die Union entgegen?
Kramp-Karrenbauer Bei der Bundestagswahl werden die Menschen zunächst einmal eine grundsätzliche Frage entscheiden müssen. Wem vertrauen sie die Führung des Landes in einer schwierigen Phase an, und wer setzt sich am besten für deutsche Interessen in Europa und in der Welt ein? Da brauchen wir uns mit Kanzlerin Merkel keine Sorgen machen. Die Themen, die die SPD anspricht, greifen wir ja trotzdem auf.
Unterstützen Sie heute im Bundesrat den Antrag Thüringens für einen bundesweit einheitlichen Mindestlohn?
Kramp-Karrenbauer Wir werden das unterstützen, denn in unserer Koalitionsvereinbarung ist festgelegt, dass wir im Bundesrat Initiativen mittragen, die eine Verbesserung des Status Quo zur Folge haben. Die Vorlage aus Thüringen ist ein Kompromiss zwischen den Vorstellungen eines gesetzlichen Mindestlohns der SPD und dem Parteitagsbeschluss der CDU zu branchenspezifischen Lohnuntergrenzen. Wir müssen gegen den Missbrauch bei Niedriglöhnen vorgehen. Von einer flächendeckenden Verelendung, wie sie die Opposition an die Wand malt, sind wir in Deutschland aber weit entfernt.
Sie verärgern mit der Mindestlohninitiative die Wirtschaft und den Koalitionspartner im Bund, die FDP.
Kramp-Karrenbauer Es geht nicht darum, jemanden zu ärgern. Wir müssen auf ein grundlegendes Problem in der Gesellschaft, eine umfassende Antwort finden. Entweder wir greifen das Thema auf und schlagen eine, wie ich finde, auch wirtschaftspolitisch vertretbare Lösung vor. Oder wir lassen andere Parteien Antworten geben. Das könnte den Standort Deutschland dann wirklich gefährden.
Wird es in fünf Jahren in Deutschland einen Mindestlohn geben?
Kramp-Karrenbauer Ich bin sicher, dass wir in Deutschland nach der Bundestagswahl 2013 eine wie immer auch geartete Form von Mindestlohn bekommen werden.
Die Deutschen wünschen sich eine große Koalition. Sie regieren an der Saar mit der SPD. Was ist der Vorteil?
Kramp-Karrenbauer Für das Saarland kann ich sagen, dass große Herausforderungen wie etwa die Schuldenbremse und die demografische Entwicklung sich am besten mit einer stabilen Koalition der großen Parteien bewältigen lassen. Wir werden massiv sparen und das Land reformieren müssen. Es ist gut, dass die beiden großen Parteien dann hinter den Entscheidungen stehen.
Ein Vorbild für den Bund?
Kramp-Karrenbauer Die Bundeskanzlerin hat recht, dass wir mit der FDP viele Schnittmengen haben. Im Übrigen entscheidet man über Koalitionen nach der Wahl, nicht vorher.
In der Konsequenz müsste die CDU auch eine Koalitionsaussage zugunsten der FDP vermeiden?
Kramp-Karrenbauer Die CDU kann durchaus Präferenzen äußern, mit wem sie sich die Umsetzung ihrer Politik am besten vorstellen kann. Mit der FDP verbinden uns nach wie vor viele inhaltliche Gemeinsamkeiten.
Das Saarland ist hochverschuldet und mehr als andere Länder von der Alterung der Gesellschaft betroffen. Warum gehen Sie eigentlich nicht mit anderen Bundesländern zusammen?
Kramp-Karrenbauer Die Probleme würden doch trotzdem dieselben bleiben. Die Frage der Haushaltskonsolidierung und des demografischen Wandels müssen alle Länder beantworten. Das Saarland hat einen unverwechselbaren Charakter und hat in der Vergangenheit viele konstruktive Beiträge zur Entwicklung der Bundesrepublik geleistet. Wir sind in der Europa-Debatte der deutsch-französische Brückenkopf. Die Stimme des Saarlands muss als eigene Stimme gehört werden.
Michael Bröcker stellte die Fragen.