Bundestag entscheidet über PID Der Mensch nach Maß

Berlin (RP). Der Bundestag debattiert derzeit über die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik und will dazu einen Beschluss fassen. Es geht dabei auch um das Menschenbild und die Menschenwürde unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert.

Was es mit der PID auf sich hat
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Foto: dapd

In der Parlamentsdebatte gibt es keine klaren Parteilinien, es sind keine Kompromisse möglich und keinerlei Erfahrungen greifbar, die bei der Entscheidung irgendwie dienlich werden könnten. Und obwohl die Frage um die Zulassung der sogenannten Präimplantationsdiagnostik (PID) sich auf das konkrete menschliche Leben zielt, muss diese Debatte eine philosophische, also grundsätzliche bleiben.

Denn jede Erörterung des Einzelfalls, all die Lebensgeschichten von Menschen, die wegen eines Gen-Defekts nach wenigen Tagen sterben mussten, die behindert sind oder deren Wunsch nach Kindern unerfüllt bleibt, kann immer nur der Ausschnitt eines für unsere Gesellschaft wahrhaft wesentlichen Zusammenhangs sein: In der PID-Debatte geht es um nicht weniger als unser Bild vom Menschen und seiner Würde.

Verlorengehendes Urvertrauen

Aber klingt das — insbesondere für die Betroffenen mit ihren Sorgen, Nöten und Leiden — nicht allzu nüchtern? Zu kalt, gar unmenschlich? Zumal die PID — bei der vorgeburtlich nur künstlich befruchtete Eizellen außerhalb des Mutterleibs auf genetische Fehler untersucht werden — eine nachweisliche Erfolgsgeschichte der Medizin ist: 11 000 gesunde Kinder sollen dank dieses Diagnoseverfahrens in Europa seit 1990 geboren worden sein. Auch darum ist sie in vielen EU-Staaten (mit Ausnahme von Irland, Italien und Österreich) zugelassen. Doch je eindeutiger die wissenschaftlichen Erfolge werden, desto ungenauer scheinen bei all dem die ethischen Maßstäbe zu werden.

Natürlich wünschen sich alle Eltern ein gesundes Kind. Doch Ethiker wie der Bonner Christian Hillgruber weisen darauf hin, dass Wünsche keine Rechte sind: "Es gibt kein Recht auf ein Kind, geschweige denn auf ein gesundes Kind", sagt er. Und: "Wer das Risiko, ein erblich schwerkrankes Kind zu bekommen, nicht auf sich nehmen will, darf Kinder nicht (er)zeugen, sondern muss sich auf den Weg der Adoption verweisen lassen."

Es geht bei der Forderung nach einem Verbot von PID also gar nicht um die Einmischung des Gesetzgebers in die Entscheidungsfreiheit von Eltern; sondern um eine Mitverantwortung der Gesellschaft, die einer Privatisierung von Moral entgegenwirkt. Damit ist die Frage unseres Menschenbildes wesentlich berührt.

Und auch das betrifft zunächst das Verhältnis von Kind und Eltern. Denn mit dem Einsatz der PID hatte der Neugeborene zuvor eine Prüfung zu bestehen. Er wurde nämlich fürs Überleben ausgesucht, weil sein Genbefund günstig ausgefallen ist. Damit geht jenes Urvertrauen verloren, in dem sich jedes Kind aufgehoben fühlt und fühlen muss: dass nämlich die Eltern das Neugeborene so annehmen, wie es ist.

Unverfügbarkeit der Person in Gefahr

Mit der PID aber ist er nicht mehr das selbstverständlich Gegebene, sondern nur ein Produkt. Zur Hypothek wird das Bewusstsein, "dass seine Eltern fest entschlossen waren, ihn zu verwerfen, wenn er einen Gendefekt gehabt hätte", sagt der Freiburger Bioethiker Giovanni Maio. Das schafft auch ein anderes Elternbild. Dank einer so genannten assistierten Fortpflanzung steht künftig jede Elternschaft unter Vorbehalt. Die Eltern sind es, die jenen Embryo auswählen können, den sie dann erst als Kind auch anerkennen. Kinder sind danach etwas "Ausgewähltes".

Das ist das neue Bildom Menschen; und es ist ein folgenreicher Wandel. Nach den Worten des Philosophen Jürgen Habermas war bislang gerade die Zufälligkeit unserer genetischen Ausstattung die Voraussetzung einer eigenen Identitätsbildung. Mit dem Eingriff ins Genom und der Selektion von Embryonen aber ist die Unverfügbarkeit der Person in Gefahr; der Mensch wird zur Sache.

Die Verdinglichung des Menschen entscheidet sich an der Grenze zwischen der Natur, die wir sind, und der organischen Ausstattung, die wir uns geben. Und Habermas sieht in der gezielten gentechnischen Steuerung eine Form von "positiver Eugenik". Auch in diesem Punkt steht Habermas — der weltweit einflussreichste Philosoph — mit seiner Haltung unmissverständlich an der Seite der katholischen Kirche.

Unlösbare ethische Fragen

Jeder Mensch — und das bezeugt nicht allein das christliche Menschenverständnis, sondern ausdrücklich auch unsere Verfassung — besitzt eine Würde: ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften und genetische Ausstattung, seine Leistungs- und Lebensfähigkeit. Mit dem Einsatz der PID würden wir dieses Bild vom Menschen und seiner Würde infrage stellen. Und wir begäben uns in eine verhängnisvolle Bewertungsfalle.

Wer will die Grenzen ziehen, welcher Gendefekt schwer genug ist, den Embryo zu verwerfen? Ist etwa ein genetischer Defekt, der einem Kind die Lebenserwartung von maximal einem Jahr prognostiziert, schon ein "ausreichender" Grund der Selektion? Ist diese kurze Spanne also nicht lebenswert? Wer hat die Kraft, möglicherweise gar die Hybris, über den Wert eines kurzen Lebens zu entscheiden?

Wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen: Mit dem Einsatz der PID werden wir zwangsläufig in der Bewertungsfalle landen. Es sind unlösbare ethische Fragen, vor die uns die längst nicht wertfreie neuzeitliche Forschung und Technik stellen. Wir sollten darum nicht den Ehrgeiz entwickeln, sie mit alle Gewalt beantworten zu wollen.

(RP)
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