Bundesregierung Der ewige Minister

Berlin · Olaf Scholz schluckt die Demütigung seiner Niederlage beim Rennen um den SPD-Vorsitz herunter und macht weiter als Finanzminister und Vizekanzler. Wie kann das gehen?

Foto: dpa/Fabian Sommer

Zwei Tage nach dem SPD-Bundesparteitag steht Olaf Scholz vor dem Bundesfinanzministerium mit Schlips und Kragen als wäre fast nichts geschehen mit ihm. Er will seine Pläne für eine Finanztransaktionssteuer vor den aufgestellten Kameras begründen. „Ob man in einen Buchladen geht oder eine Currywurst kauft, überall muss man Steuern zahlen“, sagt Scholz. Genauso solle es künftig auch bei Aktienkäufen sein. Auf die beiläufige Frage eines Journalisten, ob er nun trotz seiner Niederlage im Rennen um den SPD-Vorsitz weitermache als Finanzminister, sagt er: „Wie man sehen kann, habe ich weiterhin Freude an meiner Arbeit. Also ja.“

 Im Interview mit der „Zeit“ schiebt er am Mittwoch noch eine weitere Begründung nach. „Es wäre eine sehr egozentrische Haltung gewesen, meine Ämter als Finanzminister und Vizekanzler mit dem Parteivorsitz zu verknüpfen.“ Er wolle mit der SPD die Gesellschaft weiterhin gerechter machen. „Solange ich in diesem Sinne etwas bewirken und gestalten kann, werde ich mich für dieses Ziel einsetzen.“

 Scholz, der unermüdliche, uneigennützige Arbeiter für die gerechte Sache. So will der 61-Jährige gesehen werden nach der größten Niederlage seiner Karriere, die für die meisten Beobachter überraschend kam. Der Vizekanzler, der erfahrenste und mächtigste SPD-Vertreter in der Bundesregierung, der zuvor schon Arbeitsminister gewesen war und der in Hamburg als Erster Bürgermeister schon grandiose Wahlerfolge eingefahren hatte, verlor im Team mit der Brandenburgerin Klara Geywitz spektakulär gegen Norbert Walter-Borjans, einen früheren Landesfinanzminister mit umstrittener Leistungsbilanz, und die nahezu unbekannte Bundestagsabgeordnete Saskia Esken. Tiefer konnte er nicht fallen, eindeutiger das Misstrauensvotum der SPD-Mitglieder gegen ihn trotz seiner jahrzehntelangen politischen Arbeit nicht sein.

Im Moment der Verkündung des Mitgliedervotums am letzten Samstag im November wirkt Scholz wie versteinert. Es ist wie nach einem großen Boxkampf. Der Favorit liegt k.o. am Boden, seine Demütigung ist maximal, jede und jeder im Willy-Brandt-Haus kann sie in diesen Minuten fühlen. Scholz sagt noch ein paar Sätze, weil es sich so gehört, und tritt aus dem Rampenlicht. Er muss die Niederlage verdauen, bekommt eine schwere Erkältung.

Viele nicht nur in der SPD-Zentrale sind nach diesem Erdbeben überzeugt, dass Scholz schon Geschichte ist, dass er als Minister hinschmeißen wird. „Ich hatte erwartet, dass Scholz zurücktritt. Da gehört schon eine gehörige Portion Selbstverleugnung dazu, diese Demütigung hinzunehmen“, sagt ein einflussreicher Christdemokrat. Scholz sei jetzt beschädigt, auch international gelte er als so genannte „lahme Ente“, ein Spitzenpolitiker ohne eigene Machtbasis. „Ich habe sofort Anrufe aus London und New York erhalten, wie das jetzt mit Scholz weitergehen soll nach diesem Fiasko.“

Doch die Befürchtung, geschwächt und angeschlagen in die nächsten Verhandlungen mit dem Koalitionspartner oder den Kollegen aus anderen EU-Ländern zu gehen, wiegt für den Überzeugungstäter Scholz weniger als der Verlust der großen Aufgabe als Finanzminister des größten europäischen Landes. Scholz sieht sich als Stabilisator, Moderator und Gestalter in einer wackeligen Koalition, die von einer alternden Kanzlerin angeführt wird, deren beste Zeit schon vorbei ist. Sicher ist er angeschlagen, doch der Rest der Truppe ist es auch, mag Scholz sich gedacht haben. Wie sehr er an seinen Ämtern klebt, bewies er schon 2017 nach dem G20-Gipfel-Desaster in Hamburg. Als Bürgermeister musste er damals eingestehen, der Staat habe seine Bürger nicht vor dem wütenden Mob schützen können, wofür er die politische Verantwortung übernehme. Andere wären danach zurückgetreten, Scholz aber blieb.

Tatsächlich ist vor allem der Koalitionspartner von der Union voll des Lobes über die Fähigkeit des Vizekanzlers, mit unaufgeregter Zähigkeit sachliche Verhandlungsergebnisse in schwierigen Situationen zu erreichen. Mittwochs vor dem Bundeskabinett koordiniert Scholz die SPD-Minister, donnerstags sitzt er einmal monatlich mit den Ministerpräsidenten zusammen, fast täglich verhandelt er mit dem Kanzleramt. Er sei Dreh- und Angelpunkt. Kompromisse etwa beim Klimapaket oder der Grundrente wären ohne ihn undenkbar gewesen, heißt es.

Nach dem Linksschwenk der SPD wächst nun aber der Druck auf Scholz, nach der Pfeife der neuen Parteichefs zu tanzen. In der „Zeit“ lässt er schon mal deutlicher als bisher durchblicken, dass die schwarze Null im Haushalt, also die Neuverschuldung von Null, für ihn nicht mehr sakrosankt ist. „Scholz wird nur dann seine politische Glaubwürdigkeit behalten, wenn er weiter für finanzpolitisch solide und seriöse Politik steht“, warnt CDU-Chefhaushälter Eckhardt Rehberg.

Warum mehr als 60 Prozent der SPD-Anhänger wollen, dass der von den Parteimitgliedern Verschmähte in der Regierung verbleibt, wie eine repräsentative Blitzumfrage des Online-Meinungsforschungsinstituts Civey ergab, gehört zu den Unergründlichkeiten der SPD. Unter den Funktionären regt sich auch kein öffentlicher Unmut gegen Scholzens Sitzfleisch auf der Regierungsbank.

Und für Klara Geywitz, die nach der Niederlage einen der Posten der Vize-Parteichefs ergatterte, scheint der Verbleib von Scholz in der Regierung das Normalste von der Welt zu sein. „Ich wüsste auch gar nicht, warum der Olaf zurücktreten sollte“, sagt Geywitz. Das Mitgliedervotum habe keinen unmittelbaren Einfluss auf seine weitere Arbeit.

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