Wahlprogramm verabschiedet Höckes Parteitag

Dresden · Beim AfD-Delegiertentreffen in Dresden macht der Thüringer Parteichef deutlich, wie groß sein Einfluss bereits ist – und dass er die Partei jederzeit in eine Zuspitzung zu treiben versteht. Das schlägt sich im Wahlprogramm nieder.

 Björn Höcke bei einem seiner Interventionen beim AfD-Parteitag in der Dresdner Messehalle.

Björn Höcke bei einem seiner Interventionen beim AfD-Parteitag in der Dresdner Messehalle.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Die Szene am Sonntagmittag in der Dresdner Messe ist symptomatisch für diesen zwölften AfD-Bundesparteitag: Wie von der Tarantel gestochen springt Parteivize Beatrix von Storch auf und kann nicht fassen, was gerade mit großer Mehrheit beschlossen wurde: Migrationsstopp. Nicht mal Menschen mit weniger als fünf Millionen Euro dürfen noch nach Deutschland einwandern. Die prominente Politikerin fängt sich als einzige Reaktion darauf eine Rüge ein, da sie sich zur Geschäftsordnung gemeldet, aber nicht dazu gesprochen hatte.

Gegen den vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuften Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hat der Bundesvorstand mit seinem stellenweise relativ moderaten Wahlprogrammentwurf keine Chance. Bevorzugte es Höcke als Frontmann des offiziell aufgelösten, nationalpatriotischen „Flügels“ bei früheren Parteitagen, im Verborgenen die Fäden zu ziehen, sucht er nun ständig die Konfrontation mit den Bremsern – und fährt einen inhaltlichen Sieg nach dem anderen ein.

Auch bei der Frage der Migration hatten Experten der AfD davor gewarnt, den Bedarf der Wirtschaft an Fachkräften auszublenden und die Türen für alle, also auch für Nobelpreisträger, zu verschließen. Eine Wortmeldung von Höcke und dessen Beschwören einer drohenden „kulturellen Kernschmelze“ reicht, um beim Parteitag eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu bekommen. Wieder und wieder will der Thüringer Rechtsausleger ein klares „politisches Signal“.

So hat er zuvor eine gefahrenleugnende Corona-Resolution durchgesetzt, so hat er mit der Beschwörung eines „Kriegsrechtes“ eine scharfe Verurteilung des Verfassungsschutzes durchgesetzt, so hat er eine Ablehnung des Familiennachzuges ins Programm bekommen. Da können AfD-Fachpolitiker noch so massiv davor warnen, dass das verfassungswidrig sein könnte und dass die AfD als Familienpartei sich damit auch gegen verzweifelte verfolgte christliche Familien stellt. Höcke sagt: „Wir sind hier nicht in der rechtlichen, sondern in der politischen Sphäre“ – und schon hat er wieder eine Mehrheit fürs Zuspitzen gefunden.

Die Stimmung ist bei Streitfragen entsprechend. Da können Parteichef Jörg Meuthen und Ehrenvorsitzender Alexander Gauland noch so sehr für eine verklausulierte EU-Fundamentalkritik werben, die Mehrheit will es auf die Spitze treiben: „Austritt aus der EU sofort“, lautet die Devise, die ins Wahlprogramm gestimmt wird. Differenzierungen sind im Saal, kommen aber nicht durch. Den meisten Applaus bekommt der Abgeordnete Karsten Hilse mit der vor kämpferischen Emotionen triefenden Begründung: „Weil die EU sterben muss, wenn Deutschland leben will.“

Eine im Wahlkampf angreifbare Positionierung nach der anderen ersetzt die vom Vorstand verschickte Version des Wahlprogrammes. Am Samstagabend kommt die Vorgabe ins Programm, wonach die Bundeswehr die „besten Traditionen der deutschen Militärgeschichte leben“ müsse. Am Sonntagmorgen folgt der Einsatz der Bundeswehr beim Ausfliegen von abzuschiebenden Flüchtlingen. Und um ein Haar hätte die AfD sogar die Forderung reingeschrieben, dass gefährdete Personen (also wohl auch AfD-Politiker) künftig Waffen in der Öffentlichkeit tragen dürfen. Die Abstimmung ergibt ein 229:229-Stimmen-Patt, muss wegen einer technischen Panne wiederholt werden und ergibt dann doch eine knappe Mehrheit dagegen.

Den drohenden Bruch durch einen eskalierenden Personalkonflikt hat die Partei gleich zu Beginn abgeräumt. Weder die Auswahl der Spitzenkandidaten für den Bundestagswahlkampf kommt auf die Tagesordnung noch der beantragte Sturz von Parteichef Meuthen. Die Witterung, dass das bei den Wahlen am Ende allen nur schaden könne, ist stärker als das Rachegefühl nach Meuthens Kampfansage an den rechten Flügel beim Parteitag in Kalkar. Aber nicht nur durch sein fast dutzendfaches inhaltliches Intervenieren macht Höcke klar, dass die Tage für Meuthen gezählt sind. Am Rande des Delegiertentreffens stellt er auch klar, dass er Meuthen nicht für geeignet hält, die AfD zu führen. Die Abrechnung ist also nicht abgesagt, sondern nur auf den Parteitag nach den Bundestagswahlen vertagt.

Vorerst wird alles den Wahlen untergeordnet. Das lässt auch die Strömungen zusammenfinden. So schafft es von Storch hinter den Kulissen, ihre Empörung über das neue Migrationskapitel in eine weitere Initiative zu bringen. Sie bekommt dazu mehrere Delegierte auf ihre Seite. Und vor allem einen: Höcke. Den Aussagen werden nun bei einer wiederholten Abstimmung ein paar Zähne gezogen. Das führt zwar zu Missbehagen. Aber Höcke sagt, das sei nun eine „ganz wichtige Sache“. Und damit ist die Mehrheit wieder sicher. Man wird das Treffen von Dresden den ersten Höcke-Parteitag nennen können.

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