Serie - Die Geschichte der Deutschen (Teil 5) Der Dreißigjährige Krieg

(RP). Drei Jahrzehnte lang, von 1618 bis 1648, verwüsten Schlachten halb Europa. Das Alte Reich gerät in den Strudel des Religionskrieges und der kontinentalen Konflikte. Mit dem Westfälischen Frieden wird schließlich die deutsche Kleinstaaterei begründet - und auch eine enorme kulturelle Vielfalt eingeleitet.

Sieben Jahre dauert es allein, diesen Krieg zu einem Ende zu bringen. Sieben Jahre seit den ersten vorsichtigen Verhandlungen, bis 1648 aus Münster und Osnabrück endlich die Friedensreiter aufbrechen. Sieben Jahre Taktieren, Täuschen, Töten. Eine schier endlose Zeit. Das Land ist nach dreißig Jahren Krieg verwüstet. Ganze Landstriche sind entvölkert. Was war das für ein Krieg, der mit der Wucht eines biblischen Strafgerichts über Deutschland gefegt war - und der auch so wahrgenommen wurde?

Genauer besehen, ist es gar nicht nur ein Krieg. Es sind vier, fünf, sechs Kriege, in denen sich deutsche und europäische Konflikte ballen, verknäulen, schließlich potenzieren. Alles begann mit einem Streit, wie das Heilige Römische Reich sie seit der Reformation dutzendfach kannte. Böhmens König, der radikal-katholische Habsburger Ferdinand, stritt mit seinen Protestanten über die Religionsfreiheit. Die warfen daraufhin im Mai 1618 zwei katholische Räte aus dem Fenster der Prager Burg - das war ein Protest-Ritual und noch keine Katastrophe.

Das Morden und Plündern entvölkert ganze Landstriche

Erst als im Jahr darauf die böhmischen Stände Ferdinand absetzen und an seiner statt den Protestanten Friedrich von der Pfalz zum König wählen, wird daraus Krieg. Ferdinand, inzwischen Kaiser, lässt Bayerns Herzog Maximilian auf Prag marschieren und verspricht ihm dafür die Kurwürde, also das Stimmrecht bei der Kaiserwahl. Maximilian vertreibt Friedrich, hält Strafgericht in Böhmen und erobert bis 1623 mit Hilfe der habsburgischen Spanier die Pfalz gleich dazu.

Schon jetzt ist dies nicht nur ein Kampf um den rechten Glauben. Es stehen ganz weltliche Interessen zur Debatte - Macht, zunächst innerhalb des Reichs, schnell in ganz Europa. Spanien geht es außer der Unterstützung für die Vettern in Wien auch um strategische Verbesserungen. So wird Norditalien zum Kriegsschauplatz. Im Norden wiederum sieht der dänische König Christian seine und die protestantischen Interessen in Gefahr, wird aber 1626 von den katholischen Truppen geschlagen. Fortan muss sich Dänemark aus den Reichsangelegenheiten heraushalten.

Nach dem Sieg über Christian steht die Macht des Kaisers im Zenit. Ferdinand zieht im Triumph bis an die Ostsee, einzig Stralsund widersteht ihm. 1629 verfügt der Kaiser, die Säkularisierung geistlichen Besitzes nach der Reformation sei unrechtmäßig - ein Versuch, die Zentralgewalt immens zu stärken und das Rad der Geschichte um fast ein Jahrhundert zurückzudrehen. Hätte er Erfolg, die Folgen wären unabsehbar.

Auf diesem Scheitelpunkt der kaiserlichen Erfolge aber zeigt sich auch, was die Geschichte des Alten Reichs so unendlich kompliziert macht: Ferdinand hat das diffizile Machtgefüge in Schieflage gebracht. Das aber ist für die eifersüchtig auf ihre Stellung bedachten Reichsfürsten - evangelische wie katholische - ein rotes Tuch. Sie pochen auf ihre "Libertät" und fallen damit dem Kaiser in den Arm. Frieden ist so nicht möglich, weder im Innern noch nach außen.

Denn nach Dänemarks Scheitern greift nun die protestantische Vormacht in Europa ein: Schweden. König Gustav Adolf landet im Sommer 1630 auf Usedom. Als "Löwe aus Mitternacht" wird er von den Protestanten im Reich ersehnt, als eine Art evangelischer Messias. 1631 vernichtet er bei Breitenfeld in Sachsen eine kaiserliche Armee und rettet so den norddeutschen Protestantismus. Ein Jahr später fällt der König bei Lützen. Sein Reichskanzler Axel Oxenstierna hält das protestantische Bündnis zunächst zusammen - bis 1635. Da schließen die protestantischen Reichsfürsten, müde vom Kämpfen, einer nach dem anderen Frieden mit Kaiser Ferdinand. Das ist in vielem nur ein Aufschub von Problemen, aber immerhin ist das Kriegsende zum Greifen nah.

Der schwedische König gilt vielen Protestanten als eine Art Messias

Aber es bleibt dabei: Der Krieg kann nicht zu Ende gehen, bevor nicht eine europäische Lösung gefunden ist. Denn Frankreichs Interessen, allen voran die Schwächung der verhassten Habsburger in Österreich und Spanien, sind noch längst nicht befriedigt. Dem ebenso genialen wie skrupellosen Kardinal Richelieu, der als Erster Minister die Geschäfte führt, ist dafür sogar ein Bündnis mit den protestantischen Schweden recht.

Und so entspinnt sich ab 1635 der letzte, fürchterlichste Akt - ein nicht enden wollender Abnutzungskrieg zwischen Frankreich, Schweden, Spanien, Kaiser und verschiedenen Reichsfürsten, der erst zu Ende ist, als auch die letzte Armee im Reich, die bayerische, vernichtet ist.

Das Bild vom endlosen Plündern, Schänden und Morden, mit dem sich der Dreißigjährige Krieg im Gedächtnis der Deutschen festgesetzt hat, hat eigentlich erst hier seinen Ursprung. Der Krieg ernährt den Krieg - das ist jetzt das tödliche Motto. "Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!", klagt der Dichter Andreas Gryphius 1636 in den "Tränen des Vaterlands" - "und wo wir hin nur schau'n, / Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret." Besonders die Schweden werden zum Inbegriff aller Kriegsschrecken. Den Heerhaufen folgen die Seuchen. Am Ende ist ein Fünftel, vielleicht sogar ein Viertel der Bevölkerung tot.

In Münster und Osnabrück triumphieren Frankreich und Schweden, beide gewinnen kräftig Gebiete hinzu. Und die Verbündeten sind nun Garantiemächte des Friedens mit Stimme im Regensburger Reichstag. Immerhin: Um den Glauben wird in Deutschland fortan nicht mehr Krieg geführt. Und eine desaströse Eskalation wie den Dreißigjährigen Krieg trachtet man, in Zukunft auch zu vermeiden. Fortan führt man "Kabinettskriege", verschiebt Landesherrschaften und tauscht Gebiete wie auf dem Basar, aber doch meist ohne so verheerende Folgen wie nach 1618. Und Deutschland?

Vor einem Jahrhundert haben national gesinnte Historiker den Frieden als deutsches Unglück beweint. Deutschland war in der Tat zum Schluss eher Objekt als Subjekt der Kriegspolitik gewesen. Das Reich schrumpft 1648 - die Niederlande und die Eidgenossen scheiden aus. Und tatsächlich entwickelt sich danach mehr als 200 Jahre lang kein deutscher Nationalstaat. Stattdessen zersplittert das Reich in Hunderte von Landesherrschaften. Aber: Damit entsteht auch eine Vielzahl prächtiger Zentren, souveräner Mini-Höfe, konkurrierender Residenzen - ein immenser kultureller Reichtum. Dieses Gesicht wird Deutschland prägen. Es wird auch das Gesicht seiner Dichter und Denker sein.

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