Spektakuläre Fälle Der Brief als Waffe

Düsseldorf (RP). Die Geschichte der Briefbombe beginnt vor gut 100 Jahren. Die Bedrohung durch die tückischen und tödlichen Sprengfallen bleibt unverändert hoch. Wir erinnern an besonders spektakuläre Fälle.

Bombenalarm im Kanzleramt
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Bombenalarm im Kanzleramt

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Ausgerechnet in der vorbildlich ruhigen schwedischen Demokratie ereignete sich am Freitag, 19. August 1904, das erste Briefbombenattentat der Welt: Karl Fredrik Lundin, Direktor der schwedischen Zentrifuggesellschaft, öffnete in seinem Büro in Stockholm ein 19 Zentimeter breites und 30 Zentimeter langes Holzkästchen. Der Zündmechanismus, betätigt durch das Anheben des Deckels, löste eine Explosion aus, die Lundin das Gesicht verbrannte und ihn beinahe erblinden ließ. Noch mehrere weitere solcher Anschläge gegen schwedische Persönlichkeiten gingen auf das Konto des Attentäters, der erst sechs Jahre später gefasst werden konnte: Martin Eckenberg, ein schwedischer Erfinder, der sich als Genie verkannt fühlte und immer raffiniertere Sprengsätze konstruierte.

Briefbombe an Adenauer

Schon vor über 100 Jahren war die Panik beachtlich, die er im Postwesen, bei Behörden und in der Bevölkerung verbreitete. Und auch am Prinzip seiner Sprengfallen hat sich offenbar wenig geändert. Eckenberg benutzte Schwarzpulver.

In München führte am frühen Abend des 27. März 1952 die Explosion einer an Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) adressierte Briefbombe zur bis dato größten Fahndung in der Geschichte der jungen Bundesrepublik: Ein Unbekannter hatte zwei Buben ein Paket übergeben, das sie in einem Schwabinger Postamt aufgeben sollten: "An dem Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, Bundeshaus, Bonn", war in fehlerhaftem Deutsch auf dem Adressaufkleber zu lesen.

Doch die beiden Jungen brachten die Fracht stattdessen zur nächsten Polizeiwache: Der Auftraggeber war ihnen umso mysteriöser erschienen, als ihm Teile eines Fingers fehlten. Als Sprengmeister Karl Reichert wenig später das verdächtige Paket im Polizeipräsidium öffnete, riss ihm eine gewaltige Explosion beide Unterarme ab. Reichert hatte keine Chance. Er starb noch am selben Tag.

Erst 50 Jahre später kam heraus: Drahtzieher des Anschlags soll kein Geringerer als Menachim Begin, Chef der Cheruth-Partei und von 1977 bis 1983 Ministerpräsident Israels gewesen sein. Schon damals, mitten in den Wiedergutmachungsverhandlungen zwischen der Bundesrepublik und Israel, hatte Begin Adenauer als Mörder beschimpft. 1994 veröffentlichte dann ein gewisser Elieser Sudit, sein Buch "Im Auftrag des Gewissens". Darin outete sich Sudit nicht nur als der Bombenbauer, sondern beschrieb auch die Vorgeschichte des Anschlags — zwei Jahre, nachdem sein verehrter "Kommandant" Begin gestorben war. Doch es sollte noch einmal zehn Jahre dauern, bis Geheimdienste auf sein in hebräisch verfasstes Buch aufmerksam werden sollten.

Ungeklärter Hein-Anschlag

Bis heute nicht geklärt ist, wer hinter dem Briefbomben-Attentat steckt, dem der Berliner Senatsangestellte Hanno Klein am 12. Juni 1991 zum Opfer fällt. An diesem Tag, einem Mittwoch, kehrt Klein erst spät mit seiner Freundin nach Hause zurück. Der 48-jährige Investorenbetreuer der Senatsbauverwaltung nimmt den dicken Din-A-5-Umschlag, der an der Tür seiner Altbauwohnung im Stadtteil Wilmersdorf klemmt, und geht damit ins Arbeitszimmer. Klein schöpft keinen Verdacht, die Sendung stammt angeblich von der Büchergilde Gutenberg.

Als er eine VHS-Videokassette aus dem luftgepolsterten Umschlag zieht, detoniert der darin versteckte Sprengsatz. Klein stirbt durch umherfliegende Metallsplitter. Das Opfer war in der heißen Phase vor und nach der Wiedervereinigung zuständig für alle größeren Bauprojekte in Ost-Berlin. Der Verdacht, dass linksautonome Gruppen Kleins ambitionierte Ausbaupläne durchkreuzen wollten, erhärtet sich nicht. Fast vier Jahre nach dem Mord stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.

Wiener Bürgermeister verliert Finger

Mit Helmut Zilk wird nur wenig später abermals ein Stadtplaner und -entwickler zur Hassfigur für einen Briefbombenbauer: Am 5. Dezember 1993 zerfetzt ein Sprengsatz die linke Hand des Bürgermeisters von Wien. Zilk ist eines der Opfer der fremdenfeindlichen Anschläge von Franz Fuchs, der insgesamt vier Menschen tötet und 15 weitere zum Teil schwer verletzt. Eine seiner tödlichen Sendungen gilt später der in Wien aufgewachsenen Fernsehmoderatorin Arabella Kiesbauer, Tochter einer Deutschen und eines Ghanaers, die sich am 10. Juni 1995 nicht im Münchner Studio von Pro7 aufhält, als die an sie adressierte Bombe explodiert. Eine Assistentin wird zum Glück nur leicht verletzt.

Zilk hingegen hatte bei dem Attentat 1993 zwei Finger verloren. Fortan macht der charismatische SPÖ-Politiker die Behinderung zu seinem Markenzeichen: Bis zu seinem Tod im Jahre 2008 verhüllte er die verkrüppelte Hand stets mit demselben Seidenstoff, aus dem auch seine Krawatte gefertigt war.

1997 wurde Franz Fuchs zufällig bei einer Verkehrskontrolle angehalten. In dem Glauben, er sei enttarnt, zündete er die Rohrbombe, die er bei sich hatte. Dabei verlor er beide Unterarme. Drei Jahre später erhängte sich der zu lebenslanger Haft verurteilte Fuchs in seiner Zelle — mit Hilfe seiner Plastikprothesen und dem Kabel seines Rasierapparates.

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