Großkundgebung in Berlin Das Aufbäumen der AfD darf nicht unterschätzt werden

Meinung | Berlin · Tausende Menschen will die AfD an diesem Samstag mobilisieren, um gegen die Energiepolitik und Russlandsaktionen zu demonstrieren. Selbst wenn nur wenige kommen, gibt es Anlass zur Sorge – und zwar nicht unbedingt in der Hauptstadt selbst.

Die AfD ruft zu einer Großkundgebung auf.

Die AfD ruft zu einer Großkundgebung auf.

Foto: dpa/Stefan Sauer

„Unser Land zuerst!“ ist ein Slogan, der genauso auch im Wahljahr 2017 hätte auf Plakaten und Social-Media-Postings stehen können. So aber lautet der Titel der aktuellen Kampagne, mit der die AfD die andauernde Gemengelage nun verstärkt für sich zu nutzen versucht. War das beherrschende Thema damals die Flüchtlingskrise mit all ihren finanziellen, politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen, sind es nun der Krieg in der Ukraine, die Sanktionen gegen Russland und die daraus resultierende Inflation sowie die Energiekrise. Wieder ein Jedermann-Thema also, wieder abstrakt und dennoch konkret.

Eine geeignete Kombination, um Ängste zu schüren und niedere Instinkte anzusprechen. Enorm gestiegene Lebensmittel- und Benzinpreise, immens hohe Gas- und Stromrechnungen – die Sorgen sind derart existenziell, die Thematik derart emotional aufgeladen, dass komplexe Ursachen und Zusammenhänge in den Hintergrund geraten. Schließlich geht es um frierende Mieter im Winter, leere Kühlschränke von Familien und bangende Arbeitnehmer, die sich das notwendige Auto kaum noch leisten können. Um diese Schreckensszenarien zu verhindern, braucht es schlagkräftige, vor allem schnelle Lösungen. Das hat natürlich auch die AfD verstanden. Deshalb kommt ihre Kampagne auch durchaus zur rechten Zeit. Mit (aus AfD-Sicht) rechten Worten.

„Wir öffnen Nordstream 2!“, „Wir streichen alle Steuern und Abgaben auf Kraftstoffe!“, oder „Wir senken die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel auf 0 Prozent!“ sind zwar unhaltbare, völlig unrealistische Versprechungen. Das dürfte selbst AfD-Anhängern wie Parteipolitikern klar sein. Trotzdem trifft dieser Populismus offensichtlich einen Nerv. Und selbst wenn in Berlin nicht Tausende, sondern vielleicht eher einige hundert Menschen mit der Parteispitze um Alice Weidel und Tino Chrupalla auf die Straße gehen – die Montagsdemonstrationen im ostdeutschen Grossstädten nehmen gerade erst wieder Fahrt auf. Die Unterstzützung in sozialen Netzwerke und die Vernetzung in Telegrammgruppen sollten auch nicht unterschätzt werden.

Zwei weitere Punkte sollten zumindest Anlass zum Nachdenken geben: Wenn an diesem Sonntag in Niedersachsen gewählt wird, dürfte die AfD mit großer Wahrscheinlichkeit erneut in den Landtag von Hannover einziehen. In den jüngsten Umfragen lag ihre Zustimmung stabil bei neun bis elf Prozent – und das, obwohl der Landesverband seit Jahren zerstritten ist, die AfD im Landtag wegen einiger Austritte längst ihren Fraktionsstatus verloren hat und sie zur Wahl mit einem Spitzenkandidaten antritt, der ein völliger Politikneuling ist. Es geht offenbar also um die Themen, weniger um Parteipersonal. Etwas anders sieht es in Cottbus aus, der zweite Ort, der am Sonntag eine Rolle spielt: Dort könnte zum ersten Mal in der Bundesdeutschen Geschichte ein AfD-Politiker Oberbürgermeister werden. Einige Experten halten die Stichwahl zwischen AfD-Bewerber Lars Schieske und SPD-Kandidat Tobias Schick für völlig offen. Bei der Wahl am 11. September hatte Schick 31,8 Prozent der Stimmen geholt, AfD-Kandidat Schieske erhielt 26,4 Prozent.

Am Wochenende sind es also die Niedersachsen-Wahl und die Cottbusser Oberbürgermeister-Wahl – weniger eine Partei-Demonstration in Berlin –, die Aufschluss über den Status Quo der AfD in Deutschland geben. Und auch über die nähere Zukunft der Partei. Umfragen wie zuletzt der Deutschlandtrend im Auftrag von infratest dimap zeigen, dass viele Menschen Sorgen haben, die gestiegenen Energiepreise nicht zahlen zu können. Mit Abstand die meisten (83 Prozent) sind AfD-Anhänger. Ein leichtes Spiel also für die Partei.

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