Koalitionen in Ostdeutschland Das Dilemma der CDU im Osten

Berlin · Der Osten tickt anders. Dort können sich CDU-Politiker Gespräche mit der Linken vorstellen. Über eine Debatte, die Fahrt aufnimmt.

 Im Bundesrat arbeiten sie zusammen: die Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU, links) und sein Kollege Bodo Ramelow (Linke).

Im Bundesrat arbeiten sie zusammen: die Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU, links) und sein Kollege Bodo Ramelow (Linke).

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Daniel Günther ist es gewöhnt, dass ihm der Wind ins Gesicht bläst. In Kiel geboren, in Eckernförde zur Schule gegangen. Zwei Städte am Meer, da weht immer eine steife Brise. Vor einem Jahr gab der Ministerpräsident unserer Redaktion ein Doppel-Interview mit dem zum konservativen Flügel zählenden CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn und bemerkte scheinbar arglos: „Natürlich zählen wir beide zur Führungsreserve der CDU.“ Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel musste dann erst einmal genau hingucken, welches Kaliber die Schleswig-Holsteiner da gerade zum Regierungschef gewählt hatten.

Einen Hoffnungsträger, der erst wenige Monate vor der Landtagswahl zum Vorsitzenden einer einigermaßen chaotischen Landes-CDU bestimmt worden war und dann gleich der SPD die Macht abgenommen hatte. Seither regiert er mit Freude ein Jamaika-Bündnis und lässt die schwarz-rote Koalition im Bund gerne wissen, dass er diese Konstellation auch für das beste Modell im Bund hält.

Wenn es dann Zoff gibt, weil er einen Knaller gezündet hat, gibt sich der äußerlich eher brav wirkende Günther mit Vorliebe ahnungslos. Er wusste ja gar nicht, dass man als Ministerpräsident nicht von Führungsreserve sprechen sollte, sagte er einst augenzwinkernd und ließ zugleich überhaupt keinen Zweifel an seinem hundertprozentigen Respekt für Merkel. Seitdem zählt er zum erweiterten Führungskreis auf Bundesebene. Im Kanzleramt sagen sie, seine Karriere sei noch lange nicht zu Ende.

Am Wochenende wurde in der Union sein öffentlich geäußertes Verständnis für den brandenburgischen CDU-Landesvorsitzenden Ingo Senftleben zerpflückt, der Gespräche mit Linken und AfD nach der Wahl 2019 angekündigt hatte. Aber Günther sagt freundlich einfach noch einmal dasselbe: Er persönlich würde in Schleswig-Holstein nicht mit der Linken koalieren, aber er verstehe CDU-Politiker, die aufgeschlossen seien für Gespräche über eine inhaltliche Zusammenarbeit in Sachfragen, um Länder nicht unregierbar zu machen.

Denn im Osten ist die Lage ganz anders als im Westen. Linke und AfD belegen in Umfragen oft den zweiten oder dritten Platz. Die Linke war schon an allen ostdeutschen Landesregierungen beteiligt, nur nicht in Sachsen. Derzeit regiert sie in Berlin mit SPD und Grünen, in Brandenburg mit der SPD, und in Thüringen stellt sie mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten eines rot-rot-grünen Bündnisses. Ramelow hatte sich maßlos über Senftleben geärgert, weil dieser die Linke in einem Atemzug mit der AfD genannt hatte. Doch inzwischen schließt Senftleben ja eine Koalition mit der AfD unter ihrem jetzigen Landesvorsitzenden in Brandenburg aus. Außerdem wird Senftleben ohnehin keine Nähe zu rechten Politikern nachgesagt.

Die Linke dürfte jetzt noch einmal genau hingucken. Denn auch für sie würde sich erstmals seit dem Mauerfall vor fast 30 Jahren eine zusätzliche Machtoption auftun, die sie dringend gebrauchen kann. Gerade weil die AfD im Osten so stark geworden ist. Und vielleicht werden vor allem die beiden Vorsitzenden der Linken, Katja Kipping und Bernd Riexinger, Gefallen an den Gedankenspielen finden – um Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht in die Parade zu fahren, die mit ihrer neuen linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“ einen ganz eigenen Weg geht, worin viele in der Partei die Gefahr einer Spaltung der Linken sehen.

Gregor Gysi, die Ikone der Linken, sagt zwar: „Es gibt zu wenig übereinstimmende Interessen zwischen Union und Linken auf Landesebene, um ernsthaft über Koalitionen nachzudenken.“ Aber der Vorstoß erinnere ihn an die Annäherung von SPD und Linken. „Erst ein Beschluss der SPD, der ein Zusammengehen von ihr und PDS beziehungsweise Linken ausschloss, dann die ersten Stimmen aus der SPD dagegen, dann Koalitionen in Ländern des Ostens, und nun bestreitet niemand mehr die Möglichkeit zu einer solchen Koalition auf Bundesebene.“ Denn die Frage stehe ja im Raum: „Was machten Union und Linke, wenn nur eine solche Koalition eine Regierungsbeteiligung der AfD in einem Bundesland verhinderte?“ Den Widerspruch von CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer gegen die Linke verstehe er. „Es ist viel bequemer für die Union, die SPD an ihrer Seite zu haben und Stück für Stück kaputtzumachen.“

Senftleben sagt: „Entscheidend ist, ob Parteien bereit sind, andere Meinungen zu akzeptieren und auch etwas mitzutragen, was ihnen vielleicht nicht gefällt, um das Land insgesamt voranzubringen.“ Bei all der Aufregung gibt es aber auch Rückenwind. Der CDU-Chef in Mecklenburg-Vorpommern, Vincent Kokert, sagt, auch er sei dafür, „dass man zumindest miteinander redet und einander nicht verteufelt“.

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