Debatte um Kevin Kühnert Der alte Traum vom Sozialismus

Berlin · Die SPD legt sich in ihrem Programm auf den „demokratischen Sozialismus“ fest und will damit die Marktwirtschaft sozial gestalten. Die Linke versteht unter der Bezeichnung auch die „Veränderung der Eigentumsverhältnisse“.

Juso-Chef Kevin Kühnert kann sich in der von ihm losgetretenen Debatte über „demokratischen Sozialismus“ auf das noch gültige Grundsatzprogramm der SPD berufen. 2007 wurde es in Hamburg verabschiedet, da war Kurt Beck noch Parteichef. Damals wurde eine neue Formulierung zum demokratischen Sozialismus gefunden, der wiederum seit 1959 zum Markenkern der Sozialdemokraten gehört.

Im Hamburger Programm heißt es: „Das Ende des Staatssozialismus sowjetischer Prägung hat die Idee des demokratischen Sozialismus nicht widerlegt, sondern die Orientierung der Sozialdemokratie an Grundwerten eindrucksvoll bestätigt. Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist. Das Prinzip unseres Handelns ist die soziale Demokratie.“

Die Verknüpfung von „Sozialismus“ und „Demokratie“ geht bereits auf die Anfänge der Demokratie in Deutschland zurück, als Arbeiter von den Wahlen ausgeschlossen waren, da nach dem damaligen bürgerlichen Verständnis nur unabhängige (und damit wohlhabende) Männer demokratische Entscheidungen treffen durften. Als Konsequenz waren für Wilhelm Liebknecht, einem der SPD-Gründerväter, die beiden Ziele Sozialismus und Demokratie untrennbar. Beides hing vom allgemeinen Wahlrecht ab. Das mündete für ihn in die Selbstbezeichnung als „Sozialdemokraten“. Zu jener Zeit wurden „Sozialisten“ und „Sozialdemokraten“ synonym betrachtet. Nachdem die erste Reichstagswahl 1871 mit allgemeinem Wahlrecht den Einfluss sozialistischer Parteien vergrößert hatte, versuchte Reichskanzler Otto von Bismarck, den Trend mit Betätigungsverboten (den Sozialistengesetzen) zu stoppen, bewirkte jedoch einen umso intensiveren Zusammenhalt der Verfechter von Sozialismus und Demokratie.

Die seit 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone herrschende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands hätte durch eine einfache Zusammenfügung der Begriffe in SED und DDR (Deutsche Demokratische Republik) ebenfalls für demokratischen Sozialismus stehen können. Doch in Anlehnung an die Moskauer Kommunisten lehnte sie ihn ab, weil er ihr nicht weit genug ging. Demokratischer Sozialismus galt für sie als untauglich, die Interessen der Arbeiterklasse durchzusetzen. Als freilich die friedliche Revolution 1989 die SED zur Abdankung zwang, legte sie sich gleich einen Zweitnamen zu: „Partei des demokratischen Sozialismus“, der bald zum eigentlichen Parteinamen PDS wurde.

Nach der Fusion zur Partei „Die Linke“ blieb im Programm der demokratische Sozialismus als Schwerpunkt erhalten. Was das bedeutet, bleibt im derzeit geltenden Programm von 2011 ausreichend schwammig, um alles behaupten und dementieren zu können. Demokratischer Sozialismus heißt danach, für eine „Veränderung der Eigentumsverhältnisse“ zu kämpfen, bedeutet auch, strukturbestimmende Großbetriebe in gesellschaftliches Eigentum zu überführen. Wohin genau, müsse aber „im demokratischen Prozess entschieden“ werden. Denn die Linke hält staatliche, kommunale, gesellschaftliche, private und genossenschaftliche Formen von Eigentum im demokratischen Sozialismus für möglich.

Die SPD will den marktwirtschaftlichen Ansatz von Eigentum nicht überwinden. In ihrem Programm heißt es: „Für uns ist der Markt ein notwendiges und anderen wirtschaftlichen Koordinierungsformen überlegenes Mittel.“ Der sich selbst überlassene Markt sei jedoch sozial und ökologisch blind.

Für die SPD steht hinter demokratischem Sozialismus, privates Eigentum an Produktionsmitteln zu akzeptieren, es jedoch am Gemeinwohl zu orientieren.

Im Godesberger Programm der Sozialdemokraten vom November 1959 heißt es: „Der demokratische Sozialismus, der in Europa in christlicher Ethik, im Humanismus und in der klassischen Philosophie verwurzelt ist, will keine letzten Wahrheiten verkünden – nicht aus Verständnislosigkeit und nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber den Weltanschauungen oder religiösen Wahrheiten, sondern aus der Achtung vor den Glaubensentscheidungen des Menschen, über deren Inhalt weder eine politische Partei noch der Staat zu bestimmen haben.“ Zehn Jahre nach Gründung des autoritären DDR-Regimes und knapp 15 Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Diktatur formulierten die Sozialdemokraten also den demokratischen Sozialismus als „dauerhafte Aufgabe“, der sich von jenem totalitären Sozialismus entscheidend abgrenze.

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