Interview mit Torsten Albig (SPD) "Debatte über Schuldenbremse neu führen"

Berlin (RP). Im Gespräch mit unserer Redaktion setzt sich der schleswig-holsteinische SPD-Spitzenkandidat und Steinbrück-Vertraute Torsten Albig dafür ein, die Schuldenbremse zu korrigieren. Das müsse ein deutlich langfristigeres und nachhaltigeres Projekt werden. Mit Blick auf den nächsten Kanzlerkandidaten rühmt Albig die Qualitäten von Ex-Finanzminister Peer Steinbrück.

 SPD-Mann Torsten Albig spricht im Interview mit unserer Redaktion unter anderem über die Schuldenbremse.

SPD-Mann Torsten Albig spricht im Interview mit unserer Redaktion unter anderem über die Schuldenbremse.

Foto: ddp-Archiv

Die SPD kommt aus dem 20-Prozent-Loch nicht heraus. Was macht sie falsch?

Albig: Wir sind mit unseren wichtigen Reformprojekten als SPD in eine Glaubwürdigkeitsfalle geraten. Glaubwürdigkeit ist unsere Stärke und gleichzeitig unsere Achillesferse. Wir haben keine schlechte Politik gemacht. Wir haben es nur nicht verstanden, das Gefühl der Menschen anzusprechen, die mehr von uns erwarten als nur erfolgreiche Machtpolitik. Mit dem Wiederaufbau müssen wir nun auf den Marktplätzen beginnen, dort wo das echte Leben der Menschen stattfindet.

Das war der Ansatz, als Gabriel und Nahles 2009 antraten. Geschafft haben sie es bis heute nicht.

Albig: Es ist ja auch verdammt schwer. Wir haben nur noch halb so viele Mitglieder wie noch in den 90er Jahren. Hinzu kommt: Bei uns treffen sie viele tolle, freundliche, engagierte, aber in der Regel eben oft eher ältere Genossen. Es reicht aber nicht, die Besserung aufzuschreiben, es muss schlicht Menschen in allen Altersgruppen geben, die vor Ort die guten Ideen auch umsetzen. Das wird eine ganze Zeit brauchen, bis die wieder gewonnen sind.

Wie soll das funktionieren?

Albig: Wir müssen aufhören, bevorzugt mit uns selbst zu reden. Wir müssen in die Vereine, auf die Straße, in die Nachbarschaften und klar machen, dass es uns noch gibt. Wir müssen als SPD wieder mit breiter Brust rausgehen. Wir müssen den Menschen wieder deutlich machen, warum es für sie wichtig ist, sich für die SPD zu interessieren.

Gabriel will die Partei reformieren, die Gremien verkleinern und wichtige Entscheidungen per Urwahl entscheiden.

Albig: Das ist der richtige Weg. Vor allem müssen wir uns den Menschen wieder zuwenden. Wir haben hier in Schleswig-Holstein bei der offenen Auswahl des Spitzenkandidaten großes Interesse gefunden und sehr viele Menschen angesprochen, nicht nur Sozis. Die Partei muss raus aus den Ritualen, raus aus den Machtdebatten und wieder streitfreudiger werden. Es geht nicht darum, dass ein Unternehmensberater eine neue Organisation aufmalt, sondern dass das Herz der Partei seine Kraft und seine Freude wiederfindet.

"Toll, jetzt hauen wir Püppi aus den Pumps", lautete Peer Steinbrücks Devise, als Sie gegen Kiels Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz antraten. Soll jetzt Steinbrück Mutti aus dem Amt hauen?

Albig: Ich bin sicher, dass Rot-Grün es 2013 schaffen kann. Wenn die SPD ihren Weg konsequent weiter geht und sich nicht verrückt machen lässt, wird sie 2013 ein ordentliches Ergebnis in den Dreißigern hinlegen. Zusammen mit den Grünen kommen wir dann deutlich über 50 Prozent. Ob mit Steinbrück oder einem anderen Kandidaten, sollte am Ende des Weges und nicht am Anfang entschieden werden.

Werden SPD-Delegierte einen Mann zum Kanzlerkandidaten wählen, der sie mal als Heulsusen bezeichnete?

Albig: Warum denn nicht? Mit Heulsusen war ja mitnichten eine Parteikritik gemeint, sondern das Gegenteil: der Wunsch nach einer starken und selbstbewusst auftretenden Partei. Gewählt wird nur, wer sich selber mag und nicht, wer nur rumjammert. Das war ein flammendes Plädoyer für seine Partei, der er zutiefst verbunden ist und nicht gegen sie.

Müsste das Ausland Angst haben vor einem Kanzler Steinbrück, der im Konflikt auch schon mal nach der Kavallerie ruft?

Albig: Wenn es so weit käme, müsste er sicher noch etwas sensibler werden, ob man jeden Vergleich und jedes Bild, das einem einfällt, auch sofort aussprechen muss (lacht). Andererseits ist diese Spontaneität und Klarheit auch seine Stärke und das, was die Leute an ihm mögen. Vor einem guten und klugen sozialdemokratischen Kanzler, wie immer er heißen mag, muss niemand Angst haben. Angst haben muss man nur vor schlechter Politik. Wie die der heutigen Regierung.

Was würde ein Kanzler Steinbrück anders machen?

Albig: Wie jeder sozialdemokratische Kanzler einen breiteren gesellschaftlichen Diskurs über die Notwendigkeit von Veränderung führen als Konservative und Liberale. Klügere Leute um sich scharen und deren Rat ernstnehmen. Wieder eine Politik der langen Linien gestalten und nicht eine der Kurzatmigkeit, die nur den Umfragewerten folgt.

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie als möglicher neuer Ministerpräsident?

Albig: Schleswig-Holstein muss wieder erfolgreich werden. Ich habe meine Zweifel, ob die Schuldenbremse mit ihren derzeitigen Vorgaben dafür die einzige Wegweisung sein kann. Meine Sorge ist, dass sie an Akzeptanz verliert, wenn wir kurzatmig und willkürlich Ausgaben senken und dann die nachhaltige Lösung unserer wirklichen Probleme aus dem Blick verlieren.

Wie meinen Sie das?

Albig: Die jetzige Landesregierung glaubt, dass sie wegen der sinkenden Schülerzahlen vor allem Lehrerstellen streichen müsse. Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht hinnehmen dürfen, dass beispielsweise zehn Prozent unserer Schüler ohne jeden Abschluss ihre Schullaufbahn beenden. Das sind allein in Kiel jedes Jahr 200 junge Leben. Hart gesprochen müsste der Staat für jeden Jugendlichen ohne Ausbildung jährlich 10.000 Euro Rückstellung künftiger Transferkosten bilden. Das kostet allein in Kiel in den nächsten 50 Jahren 100 Millionen Euro — nur für einen Jahrgang. Und doch soll das Streichen von Lehrer-Stellen ein kluger Weg der Konsolidierung sein? Weniger Lehrer statt die Schüler-Lehrer-Relation zu verbessern und damit vielleicht die Zahl der Schüler ohne Abschluss halbieren und dramatische soziale Folgekosten vermeiden helfen?

Sie stellen also die Schuldenbremse in Frage?

Albig: Nein, im Gegenteil. Wir müssen sie nur richtig verstehen. Jede Gesellschaft muss langfristig mit dem auskommen, was sie an Einnahmen hat, sonst erstickt sie an den Schuldzinsen. Die Schuldenbremse als Ziel ist absolut richtig, und wir haben damit eher zu lange gewartet. Aber wir müssen uns an den Realitäten orientieren. Eine Gesellschaft, die über 30 Jahre den falschen Weg gegangen ist, braucht lang angelegte, sparsame und konsequente Politik, um die Folgen dieses Irrweges erfolgreich rückgängig zu machen. Es wäre aber absurd, wenn wir z.B. Lehrerstellen streichen, um die Neuverschuldung 2020 für einen Moment auf Null zu bringen, uns aber um die damit verbundenen haushalterischen Folgekosten für die Gesellschaft nicht kümmern. Das ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Die Schuldenbremse muss ein deutlich langfristigeres und wirklich nachhaltiges Projekt werden. Wir werden die Debatte neu führen müssen.

Wenn in Mecklenburg-Vorpommern im Herbst die CDU aus der Regierung fliegt, dann könnten Sie nächsten Mai mit einem Wahlsieg in Kiel der Opposition die Mehrheit im Bundesrat bringen. Drehen Sie dann Merkel das Licht aus?

Albig: Verantwortlich mit dieser Mehrheit umzugehen, heißt — wie 1998 -, nicht einfach nur alles zu blockieren, sondern klar zu machen, wie gute Politik für Deutschland aussehen muss. Diese gute Politik konnte die CDU-Regierung bei der Bundestagswahl 1998 nicht mehr vorweisen und ist dann abgewählt worden. So wird es 2013 wieder sein.

Sie sehen also einen Wahlsieg in Kiel als Vorboten für ein Ende der Kanzlerschaft Merkels?

Albig: Konservative können weder intellektuell noch politisch belegen, dass sie die richtigen Konzepte für unser Land haben. Das wird dieses Mal nur eher deutlich werden als am Ende der Ära Kohl.

Gregor Mayntz führte das Interview mit dem SPD-Spitzenkandidaten für die schleswig-holsteinische Landtagswahl im Mai nächsten Jahres und Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig.

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