Merkel hält Aussetzen für möglich Das Wackeln der Wehrpflicht
Berlin (RPO). Wie modern sind die Strukturen der Bundeswehr heute noch? Diese Frage beschäftigt derzeit die Politik in Berlin. Während heute im Bundestag die Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes auf sechs Monate beschlossen werden soll, gehen die Diskussionen schon viel weiter. Denn das Aussetzen der Wehrpflicht scheint nicht mehr völlig unmöglich zu sein. Selbst die Kanzlerin zeigt sich dafür offen.
Was hatte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg für Kritik einstecken müssen, als er in der aktuellen Spardebatte vorschlug, die Wehrpflicht auszusetzen. So hatte etwa CSU-Chef Horst Seehofer seinen Parteikollegen zurückgepfiffen. "Wir sind eine Partei der Bundeswehr", erklärte der CSU-Chef in einem Interview. "Wir sagen Ja zur Wehrpflicht, und wir werden mit unserem Minister darüber sprechen."
Neben Seehofer hatten sich noch mehrere Unionspolitiker über den Verteidigungsminister moniert. Und auch die Kanzlerin soll laut "Financial Times Deutschland" zunächst ein Aussetzen der Wehrpflicht abgelehnt haben. Doch nun schließt sie das nicht mehr vollständig aus.
"Strukturwandel nötig"
In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erklärte sie, sie halte einen Strukturwandel der Bundeswehr für nötig, der auch zu einem Aussetzen der Wehrpflicht führen könnte. Allerdings dürfe dieser Strukturwandel nicht ausschließlich haushaltspolitisch begründet werden.
Auch der CSU-Landesgruppenchef verteidigte vor einigen Tagen Guttenberg. Es sei fraglich, ob Deutschland es sich leisten könne, junge Männer einfach mal so sechs Monate an der Waffe auszubilden, so Hans-Peter Friedrich in einem Interview.
Dass die schwarz-gelbe Koalition über einen Strukturwandel in der Bundeswehr nachdenkt, kommt nicht unerwartet. Im Koalitionsvertrag haben die Koalitionäre eine neue "Organisationsstruktur der Bundeswehr inklusive der Straffung der Führungs- und Verwaltungsstrukturen" vereinbart. Doch vor der Möglichkeit, die Wehrpflicht - eine Herzensangelegenheit von CDU und CSU - tatsächlich auszusetzen, haben sich Unionspolitiker schon immer gesträubt.
Denn die derzeitige Debatte gab es schon in früheren Zeiten immer wieder. Doch angetastet wurde die Wehrpflicht nie. Selbst der Verteidigungsminister war lange dagegen. Noch Ende Mai hatte er sich für den Erhalt der Wehrpflicht stark gemacht. "Die Verkürzung der Wehrpflicht ist kein Einstieg in den Ausstieg", erklärte er damals in einem Interview. Und auch im Koalitionsvertrag steht geschrieben, dass am "Grundsatz an der allgemeinen Wehrpflicht festgehalten" werde.
Guttenberg verteidigt sich
Am Freitag im Bundestag klang das ganz anders. Dort verteidigte Guttenberg seinen Vorstoß. Grundsätzlich sei er ein Befürworter der Wehrpflicht, betonte er. Aber die Einsätze der Bundeswehr müssten militärisch vertretbar bleiben, auch wenn die Truppe verkleinert werde. Und wenn viele Soldaten in der Ausbildung der Wehrpflichtigen gebunden seien, könne sich das negativ auf die Einsatzfähigkeit der Truppe auswirken. Und auch die Opposition von SPD, Grünen und Linken stimmte in den Tenor mit ein.
Es sind Fragen, wie sich die Bundeswehr in Zeiten knapper Kassen aufstellen muss, zumal immer mehr Einsätze im Ausland hinzukommen. Und genau da liegt auch das Problem der Wehrpflicht. Denn die jungen Männer in der Grundausbildung werden nicht für Auslandseinsätze verpflichtet. Darauf zielte Guttenberg mit seiner Argumentation auch ab.
Was allerdings in der ganzen Diskussion noch gar nicht zur Sprache kam, ist der Zivildienst. Denn dieser ist an die Wehrpflicht gebunden. Sinkt also - wie jetzt - die Einsatzzeit bei der Bundeswehr, wird auch der Zivildienst verkürzt. Das hatte zu heftigen Reaktionen bei Sozialverbänden und Opposition geführt.
Sie forderten ein neues Konzept, wie beim Zivildienst in so kurzer Zeit noch Qualität gesichert werden kann. Denn sechs Monate seien zum Einarbeiten und sinnvoller Nutzung der Arbeitskraft Zivi zu wenig. Der nun gefundene Kompromiss: Zivildienstleistende können ihren Dienst freiwillig verlängern.
Was aber mit dem Ersatzdienst geschehen soll, wenn die Wehrpflicht ganz ausgesetzt wird, darüber ist in Berlin noch kein Wort gefallen. Familienministerin Kristina Schröder sicherte lediglich zu, die Qualität des Zivildienstes zu sichern - und bezog sich dabei eher auf die jetzige Verkürzung.