Politisches Buch Und immer wieder grüßt Weimar

Düsseldorf · Das neue Buch des RP-Autoren Gregor Mayntz geht der Frage nach, wie gefestigt unsere Demokratie 100 Jahre nach dem Start in Weimar ist. Ein besorgtes Plädoyer für einen beherzteren Einsatz der Demokraten für die zweite deutsche Republik.

 Beim Staatsakt in der Potsdamer Garnisonskirche am 21. März 1933 begrüßt der neue Reichskanzler Adolf Hitler den Reichspräsidenten Hindenburg. Das Bild steht symbolisch für das Ende der Weimarer Republik.

Beim Staatsakt in der Potsdamer Garnisonskirche am 21. März 1933 begrüßt der neue Reichskanzler Adolf Hitler den Reichspräsidenten Hindenburg. Das Bild steht symbolisch für das Ende der Weimarer Republik.

Foto: dpa

Wehret den Anfängen ist so ein Satz, der irgendwie zum moralischen Kompass eines jeden deutschen Demokraten gehört. Und zwar keineswegs, weil er sogleich an das Original „Principiis obsta“ des römischen Dichters Ovid denkt, der unglücklich Verliebten in der Zeit um Christi Geburt riet, deswegen auf keinen Fall ein Kind von Traurigkeit zu werden. Nein, dieser Appell mahnt die Bürger in Deutschland, es nicht noch einmal soweit kommen zu lassen wie damals, als der Weg in die Katastrophe begann: Weimar.

Die stabilitätsverwöhnte Bundesrepublik erlebt derzeit politische Umbrüche wie lange nicht mehr. Das weckt alte Ängste. Und deshalb bleibt Weimar eine deutsche Warnung. Weil die junge Republik nach einem hoffnungsvollen Anfang sich hoffnungslos in ihrem unausgereiften demokratischen Getriebe verhedderte. Und so zur leichten Beute der Nationalsozialisten wurde, die binnen kurzer Zeit alles, was eine humane Gesellschaft ausmacht, zugrunde richteten. Diese Katastrophe wird Deutschland noch auf lange Zeit begleiten.

Wiederholt sich Weimar? Eine solche Gefahr legt der Titel eines gerade erschienenen Buches nahe: „Weimar reloaded – Warum es die Deutschen nicht schaffen, den Anfängen zu wehren, und was ihnen nun zu tun bleibt.“ So lautet jedenfalls die provokante These des Autor Gregor Mayntz. Sie zielt auch, aber nicht nur auf die provokante Relativierung von Nazi-Verbrechen, die aktuell lustvoll von Teilen der AfD betrieben wird.

Die Systematik, mit der das geschieht, ist tatsächlich der unheilvolle Anfang von etwas Neuem in der deutschen Nachkriegsgeschichte, und die Abwehr dieses ewig gestrigen Gedankenguts geht vielen nicht entschieden weit genug.

Politische Instabilität trifft hierzulande noch immer einen Nerv, auch mehr als 100 Jahre, nachdem die Weimarer Zeit der großen Wirren begann. Anfang des Jahres 2020 sind es die chaotischen Versuche in Thüringen, eine Regierung auf die Beine zu stellen, die Schockwellen durch die Republik schicken. Wieder taktiert dabei eine Partei, die Neonazis in ihren Reihen duldet. „Weimar reloaded“ ist da gerade erschienen.

Nun weist die Geschichte viele Entwicklungen auf, die einander ähneln. Dementsprechend findet Gregor Mayntz zahlreiche Beispiele, wo das Heute auf ein Gestern zu treffen scheint: Desinteresse an Demokratie, Politikverdrossenheit, mangelnder Widerstand gegen Populisten und Demagogen. Ob dies alles jedoch zum selben Ergebnis führen muss, sei dahingestellt. Hochinteressant bleibt die Dichte der Details, die der Autor zusammengetragen und in ein zusammenhängendes, lebendiges Deutschlandbild über 100 Jahre gefasst hat: Weimar, Nazi-Diktatur, junge Bundesrepublik, europäische und deutsche Einigung, die Gegenwart.

Mag mancher Blickwinkel auch neu und überraschend sein – die Lehren, die Gregor Mayntz nach 600 Seiten seinen Ausführungen folgen lässt, sind die guten alten Rezepte: Demokratie kommt und bleibt nicht von allein, Populisten und Verschwörungstheoretikern muss standhaft und stetig widersprochen werden, nur ein starke Wirtschaft sichert die Demokratie, wenn die etablierte Demokratie die Jugend nicht gewinnt, verliert sie selbst.

Ja, es stimmt. Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit. Denn ist die erst einmal verloren, ist es äußerst schwierig, eine Gewaltherrschaft zu stürzen. Das lehrt der Nationalsozialismus, aber auch die anderen Diktaturen und autoritären Systeme. Die Demokratie muss immer wieder neu gewonnen werden. Sich das stets aufs Neue vor Augen zu führen, bleibt existenziell für die Demokratie.

Gregor Mayntz: Weimar reloaded? 2019, Books on Demand, 644 S., 22 Euro

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