Unruhen in Ägypten Das Netz vergisst die Toten nicht

Düsseldorf (RPO). In Ägypten stehen die Zeichen auf Dialog. Die Machthaber hoffen darauf, den Protest der Massen durch zähe Verhandlungen auszutrocknen. Doch das Internet hält den Zorn lebendig. Seitdem die Netzsperre aufgehoben ist, tauchen immer mehr Dokumente des Schreckens auf. Eine Liste der Toten verbreitet sich wie ein Lauffeuer.

 Die 23-jährige Künstlerin Sally Magdy Zahran zählte angeblich zu den Opfern der Proteste in Ägypten.

Die 23-jährige Künstlerin Sally Magdy Zahran zählte angeblich zu den Opfern der Proteste in Ägypten.

Foto: Twitter

<P>Düsseldorf (RPO). In Ägypten stehen die Zeichen auf Dialog. Die Machthaber hoffen darauf, den Protest der Massen durch zähe Verhandlungen auszutrocknen. Doch das Internet hält den Zorn lebendig. Seitdem die Netzsperre aufgehoben ist, tauchen immer mehr Dokumente des Schreckens auf. Eine Liste der Toten verbreitet sich wie ein Lauffeuer.

Seit bald zwei Wochen schon demonstrieren Tausende unablässig gegen das Regime von Präsident Husni Mubarak. Mehrheitlich sind es junge Leute, die schon bei den Beinamen "Facebook-Generation" erhalten hat. Etliche von ihnen waren Zeuge der Gewalt, als Polizei und Mubaraks offenbar angeheuerte Unterstützer gegen die Demonstranten vorgingen. Es gab tausende Verletzte und etwa hundert Tote. Offiziell geklärt ist die genaue Zahl immer noch nicht.

Seitdem die Regierung die Netzsperre gelockert hat, geraten immer mehr Dokumente der brutalen Gewalt an die Öffentlichkeit. Auf dem Videoportal youtube sind Bilder aus dem Blickwinkel der Straße zu sehen. Der Zuschauer ist mitten drin in der Auseinandersetzung zwischen Regime-Gegnern und Unterstützern. Zum Teil sind sie kommentiert, manchmal mit dramatischer Musik unterlegt. Und natürlich sind sie parteiisch.

Wie 1989 auf dem Platz des himmlischen Friedens

Vor allem aber machen sie das Netz zum öffentlichen Archiv eines historischen Ereignisses. Man könnte auch vom kollektiven Gedächtnis der ägyptischen Nation sprechen. Das Staatsfernsehen zeigt diese Bilder nicht. Im World Wide Web aber ist für alle sichtbar, wie Militärfahrzeuge mitten durch eine Menschenmenge pflügen. Ein anderer Film zeigt eine Szene, die an ein weltberühmtes Foto vom Tien-an-Men-Platz aus dem Jahr 1989 erinnert. Ein Mann stellt sich darauf alleine und schutzlos einem gepanzerten Militärfahrzeug entgegen.

Freilich sind es nicht nur Bilder, die die Wut der jungen Ägypter auf dem Tahrir-Platz weiter Nahrung geben. Seit der vergangenen Woche verbreitet sich eine spröde Google-Tabelle in den ägyptischen Netzwerken mit wachsender Geschwindigkeit. Erstellt hat sie die amerikanische Menschenrechtsaktivistin Joanne Michele. Ihr Ziel ist es, mit Hilfe von Augenzeugenberichten, alle Todesfälle der Proteste zu dokumentieren.

Die Schicksale werden greifbar

So nüchtern die Tabelle auch daherkommt, so viel Sprengkraft steckt in ihr. In verwaltungstechnisch sauber gezogenen Spalten sind die Toten nach Name, Alter, Beruf, Ort, Datum, Anmerkungen und einem Bild aufgelistet. Wer sich näher darauf einlässt, wird konfrontiert mir der brutalen Willkür der Gewalt und der zuvor blühenden Jugend der Opfer.

Zum Beispiel dem jähen Tod des 27-jährigen Yasser Shoieb, zufällig getroffen vom Gewehrfeuer. Er selbst sei niemals politischer Aktivist gewesen. Das dazu eingestellte Foto, das von Facebook stammt, zeigt einen glatt rasierten Mann im westlichen T-Shirt. Oder die 23-jährige Künstlerin Sally Magdy Zahran, die auf dem Twitter-Foto so fröhlich lacht. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo bekam sie mit einem Knüppel einen schweren Schlag auf den Hinterkopf. Sie ging nach Hause um zu schlafen und wachte nie wieder auf.

Die Demonstranten richten sich auf Dauer ein

Am vergangenen Donnerstag wurde das Google-Dokument ins Netz gestellt. Über das Wochenende verbreitete sie sich rasend schnell auch in Ägypten. Wer sie besucht, wird aufgefordert, zu helfen, Namen, Fakten, Bilder einzusenden. Inzwischen sind 65 Todesfälle aufgelistet. Auch der des 36-jährigen Ahmad Mohamed Mahmoud. Er wurde offenbar Opfer eines Scharfschützen, weil er von seinem Balkon aus mit seiner Kamera die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und ihren Gegnern filmte.

So ist es auch Tage nach Beginn der Proteste das Internet, das die Demonstranten zusammenhält. Das Regime kann die Gewalt im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten nicht mehr totschweigen. Im Gegenteil. Die Zahl der Dokumente im Netz wächst. Ähnlich wie das Google-Sheet erinnert beispielsweise auch die Website 1000memories.com an die Toten der Proteste. Es scheint, als hätten die Mitteilungen die Wirkungsmacht, den Zorn der jungen Ägypter aufrechtzuerhalten. Die Regime-Gegner wirken auch am Montag fest entschlossen, so lange zu bleiben, bis sie ihr Ziel erreicht haben. Den Rücktritt Mubaraks und konkrete Reformen, die ihnen mehr Rechte und mehr Chancen auf gleiche Teilhaben am Leben eröffnen.

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