Koalition beerdigt Internetsperren Das nächste Daten-Problem wartet schon

Düsseldorf (RPO). Das Bundeskabinett meldet Vollzug: Kinderpornografie im Internet soll künftig nicht mehr durch Sperren, sondern Löschen bekämpft werden. Netz-Aktivisten feiern das als Erfolg und Niederlage für die als "Zensursula" geschmähte Urheberin der Sperrpläne, Ursula von der Leyen. Doch in Sachen Datenschutz droht neuer Ärger um die Pläne für eine Visa-Warndatei und die Vorratsdatenspeicherung.

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Das Kabinett Merkel beschloss am Mittwoch das Aus für die lange Zeit so umstrittenen Netzsperren, die einst die große Koalition im Kampf gegen Kinderpornographie im Internet auf den Weg gebracht hatte. Die Ministerrunde verabschiedete ein Eckpunktepapier, das dem Löschen kinderpornografischer Seiten Vorrang vor dem Sperren gibt. Die Regierung billigte damit eine Einigung, die Union und FDP kürzlich im Koalitionsausschuss erzielt hatten.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger begrüßte den Kabinettsbeschluss einhellig. Die deutsche Entscheidung beeinflusse auch die Diskussion innerhalb der Europäischen Union, sagte die FDP-Politikerin am Mittwoch in Berlin. Ein informelles Meinungsbild im EU-Justizministerrat habe gezeigt, dass das Modell "Löschen statt Sperren" auf wachsende Zustimmung stoße.

Das Löschen funktioniert

Das Sperr-Verfahren sah vor, dass beim Versuch, eine Seite aufzurufen, statt dieser ein "Stopp"-Schild erscheint. Im Internet hatte das Proteststürme ausgelöst, eine Online-Petition gegen das Gesetz fand breite Unterstützung. Die Kritiker monierten, das Verfahren könne einer generellen Zensur im Internet inklusive überwachungsstaatlicher Methoden Vorschub leisten. Nach dem Wahlsieg 2009 legte die schwarz-gelbe Regierung das Gesetz auf Betreiben der FDP zunächst auf Eis. Die Liberalen hatten sich im Wahlkampf klar gegen die Netzsperren eingesetzt.

Inzwischen hat sich nach Einschätzung der Koalition herausgestellt, dass das alternative Verfahren zur Löschung von Seiten recht gut funktioniert. Deshalb soll dieses künftig regulär genutzt werden. Dem war wie 2009 vereinbart eine einjährige Testphase vorausgegangen. Bundesinnenminister Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) räumte zuletzt ein, dass das Löschen besser funktioniere als erwartet.

Ein kleiner Erfolg für die FDP

"Nach aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamtes sind nach zwei Wochen 93 Prozent der kinderpornographischen Inhalte gelöscht, nach vier Wochen sind es sogar 99 Prozent", hieß es zuletzt aus dem Munde von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Für ihre gebeutelte Partei mutet das endlich wieder einmal an wie ein Erfolg. Auch die Netz-Aktivisten feierten und würdigte das Aus als "Erfolg der Vernunft".

Doch zeitgleich mit dem Ende der Netzsperren bahnt sich neuer Ärger an. So brachte die Koalition am Mittwoch Pläne für eine Visadatei auf den Weg. In der Visadatei sollen alle Personen erfasst werden, die im Zusammenhang mit Straftaten verurteilt wurden, die für das Visaverfahren relevant sind. Dazu zählen etwa Menschenhandel, Schwarzarbeit oder Prostitution. Auch sollen Teile des Visum-Antrags mit einer Anti-Terror-Datei abgeglichen werden. Die schwarz-gelbe Koalition will damit die Sicherheit bei der Visa-Vergabe verbessern. Auf die Datei hatte vor allem die Union gedrängt.

Datenschützer misstrauen der Visadatei

Auch dieses Thema ist im Hinblick auf den Datenschutz ein sensibles, die Visadatei ist ebenfalls umstritten. Kritiker halten eine derartige Ansammlung sensibler Daten für riskant. So sollen offenbar auch Daten von Personen gespeichert werden, die in einen Visaantrag involviert sind, zum Beispiel Antragsteller oder Menschen die Dritte einladen. Sie alle geraten mitsamt ihren Daten in ein wenig transparentes System, das sie, wie Datenschützer monieren, unter Generalverdacht stellt. Inwieweit auch Polizei und Geheimdienste Zugriff auf die Daten haben, ist unklar.

Das allein ist nur ein Nebenkriegsschauplatz angesichts des Streits, der sich derzeit über eine mögliche Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung anbahnt, der Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten zu Strafverfolgungszwecken. Die Meinungen in der Koalition gehen in der Sache derzeit weit auseinander. "Ich sehe derzeit keinen Kompromiss", sagte die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt noch am Dienstag.

Was wird aus der Vorratsdatenspeicherung?

Die Union fordert, dass die Kommunikationsdaten aller Bürger auch ohne konkreten Verdacht für eine bestimmte Frist von den Telefon- und Internet-Anbietern gespeichert werden. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger pocht dagegen auf ihren Vorschlag, der ein Einfrieren von Telekommunikationsdaten nur im begründeten Verdachtsfall vorsieht. Dazu müsste etwa erst ein Richterbeschluss her. Unionspolitiker stemmen sich dagegen. Etliche Daten seien gelöscht und könnten nicht mehr genutzt werden.

Das Thema hat das Zeug zum neuen Koalitionskrach. Die FDP verharrt auch nach dem Führungswechsel im bedrohlichen Umfragetief und wird sich profilieren wollen. Erste Anzeichen dafür waren bereits in dieser Woche zu registrieren, als Generalsekretär Christian Lindner die Union zum Einlenken aufforderte. Die Speicherung der Kommunikationsdaten unbescholtener Bürger sei "völlig unverhältnismäßig", sagte Lindner dem "Hamburger Abendblatt". In manchen Medien war allerdings bereits zu lesen, die FDP habe sich Zugeständnisse bei der Vorratsdatenspeicherung gegen den kleinen Erfolg bei den Netzsperren abkaufen lassen.

Freilich spricht derzeit einiges dafür, dass beim Streit um einen angemessenen Datenschutz in Bälde auch das Thema Netzsperren aufs Tableau zurückkehrt. Der in der Sache stark profilierte "Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur" (AK Zensur) warnte zu Wochenbeginn vor einem Comeback durch die Hintertür. Internet-Sperren seien derzeit bei der Novellierung des Glücksspiel-Staatsvertrags der Bundesländer im Gespräch und auch auf Ebene der Europäischen Union werde über Zugangssperren diskutiert. Es sieht so aus, als hätte der AK Zensur auch weiterhin viel zu tun.

mit Agenturmaterial

(dapd/AFP/RTR)
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