Nach dem Tod von Loki Das einsame Leben des Helmut Schmidt

Hamburg (RP). Erstmals hat sich der Altkanzler ausführlich in verschiedenen Interviews über den Verlust seiner Frau Loki geäußert. Drei Wochen nach der Trauerfeier werden tiefe Spuren von Verletzung erkennbar. So liege es ihm auf der Seele, dass er zuletzt nicht bei Loki gewesen sei. Trotzdem will Helmut Schmidt weiter arbeiten – und das möglichst lange.

November 2010: Helmut Schmidt trauert um seine Loki
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Hamburg (RP). Erstmals hat sich der Altkanzler ausführlich in verschiedenen Interviews über den Verlust seiner Frau Loki geäußert. Drei Wochen nach der Trauerfeier werden tiefe Spuren von Verletzung erkennbar. So liege es ihm auf der Seele, dass er zuletzt nicht bei Loki gewesen sei. Trotzdem will Helmut Schmidt weiter arbeiten — und das möglichst lange.

Ein Kämpfer, der nach vielen gewonnenen Schlachten in seinem Leben zum ersten Mal wieder verloren hat, einer, der niemals aufgibt und sich doch fügen musste, an so einen Mann erinnert in diesen grauen Novembertagen Helmut Schmidt. Der Tod seiner Frau Loki am 21. Oktober 2010 hat den 91-Jährigen nicht gebrochen, das Unausweichliche den Unbeugsamen nicht aus der Bahn geworfen. Und doch werden jetzt, drei Wochen nach der Trauerfeier für die Gefährtin über beinahe sieben Jahrzehnte, tiefe Spuren von Verlust und Verletzung erkennbar.

Erstmals hat sich der Altkanzler ausführlich in verschiedenen Interviews über den Schicksalsschlag geäußert. "Ich war unendlich traurig. Und da konnte mich nichts trösten", sagt er in der "Bild"-Zeitung.

Kurz nachdem er die Asche seiner Frau in aller Stille in dem Grab seiner Familie beigesetzt hatte, klang Helmut Schmidt noch anders, schien der Schutzschild aus Selbstdisziplin und staatsmännischer Haltung noch intakter. Zwei Tage nach der Beerdigung saß er wieder an seinem Schreibtisch bei der "Zeit" und äußerte sich im "Zeit-Magazin" so: "Das Normale ist ja, dass man in diesem Alter längst auf den Friedhof gehört. Wir sind beide viel älter als der Durchschnitt geworden. Loki hatte keine Angst vorm Tode. Und ich auch nicht."

Das hörte sich beinahe abgeklärt an, zumindest wie eine trotzige Absage an den Ausnahmezustand, der nun unweigerlich eingetreten war. Das Leben, sagte Schmidt vor drei Wochen, aber gehe weiter. "Der liebe Gott hat mich als Arbeitstier geboren."

Und nun unter anderem ein Gespräch mit dem "Hamburger Abendblatt", das vereinbart worden war, lange, bevor sich die Dinge änderten. Eigentlich sollte es um Heidi Kabel gehen. Helmut Schmidt hat die große Volksschauspielerin gut gekannt: 1949 hatte er sein Büro in demselben Gebäude, in dem auch die Niederdeutsche Bühne untergebracht war, das spätere Ohnsorg-Theater. Doch das ist jetzt Nebensache. Langes Schweigen folgt der Frage, ob es ihm inzwischen ein bisschen besser gehe. Da hat Helmut Schmidt nach einer neuen Reyno Menthol gegriffen, sie angezündet und erst nach einer langen Pause knapp hervorgebracht: "Mutt ja."

Einsamkeit ist dem Menschen Helmut Schmidt nicht fremd, einem Menschen, dem kaum etwas fremd sein dürfte mit 91 bewegten Lebensjahren, die ihm nicht anzusehen sind. Gewiss, die Mechanik hat gelitten, aber vom Aussehen ist er ganz der Alte und im Kopfe hellwach. Schmidt mag in seinem langen Leben Momente tiefer Einsamkeit verspürt haben, etwa als er im Zweiten Weltkrieg als Batteriechef an der Westfront eingesetzt war. Als er in britische Kriegsgefangenschaft geriet. Als sein ältester Sohn noch im Kindesalter starb. Als er als Hamburger Innensenator ohne rechtliche Grundlage die Bundeswehr zur Bekämpfung der schweren Sturmflut einsetzte.

Helmut Schmidt mag tiefste Einsamkeit verspürt haben, als er sich als 5. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland unnachgiebig gegenüber den brutalen Erpressungsversuchen der RAF-Terroristen zeigte, auch, als Geiseln feige ermordet wurden. Und ein Einsamer war Schmidt nicht zuletzt auch politisch in seiner Partei, die mitten im Kalten Krieg seinen Nato-Nachrüstungskurs gegen die Bedrohung durch sowjetische Mittelstreckenraketen nicht mittrug.

Aber die Einsamkeit als Witwer, die ist neu für einen Mann wie Helmut Schmidt.

Zum Andenken an die Verstorbene trägt er jetzt ihren Ehering am kleinen Finger der linken Hand. "Ich habe ihn meiner Frau abgenommen. Mein eigener Ring passte mir schon lange nicht mehr. Den hatte ich vor Jahren abgelegt, mit viel Mühe und grüner Seife. Jetzt habe ich im Alter aber so viel Gewicht verloren, dass mein Ring wieder passt. Und Lokis Ring passt genau auf meinen kleinen Finger."

Rund 68 Jahre lang waren Helmut und Loki Schmidt verheiratet. Bis zuletzt spielten sie Schach. Sie rauchten, sie lachten, sie versuchten, locker mit den vielfältigen Bürden des Alters umzugehen. Einige Wochen vor Lokis Tod habe er geahnt, dass es zu Ende gehe, verrät Schmidt jetzt. Nach einem Krankenhausaufenthalt wegen einer Fußverletzung Ende September hatten die Ärzte Loki Schmidt nach Hause entlassen. In der Todesnacht sei aber nur seine Tochter bei seiner Frau gewesen. Schmidt selbst war in Berlin. "Ich dachte nicht, dass es in dieser Nacht passieren würde." Es liege ihm auf der Seele, dass er zuletzt nicht bei ihr gewesen sei.

"Ich muss mich an die neue Situation gewöhnen", bekennt er. "Aber es fällt schwer." Freunde von früher helfen nicht. "Die meisten sind ja tot", sagt Schmidt. Nur Lesen lindert den Schmerz. Wenigstens etwas. Die "Financial Times", die "International Herald Tribune", fünf deutsche Tageszeitungen liegen auf Schmidts Schreibtisch. "Lese ich alle täglich", verrät er im "Hamburger Abendblatt". "Man muss ja wissen, was auf der Erde los ist."

Natürlich hat er auch all die Nachrufe anlässlich des Todes seiner Frau gelesen. Sie seien durch die Bank persönlich, gut und treffend gewesen. Und dann die vielen Kondolenzschreiben. Die Anteilnahme von Millionen Deutschen habe ihn zwar sehr bewegt, ihm aber doch nicht helfen können. "Alles lieb gemeint, aber . . ." Früher sei es sein Prinzip gewesen, alle Schreiben, die das beliebte Paar erreichten, persönlich zu beantworten. Aber dies gehe jetzt nicht mehr. Allerdings: Seine Frau hätte sich sicher "riesig gefreut" über das Mitgefühl so vieler.

Das ist Helmut Schmidt.

Und auch das: Wie es im Alltag weitergehe? Wie steht es mit dem Essen? Kann er kochen? Ein erstes Lächeln: "Besser nicht." Die Haushälterin bereite etwas vor, das hole er abends aus dem Kühlschrank. Auch um das Frühstück kümmere sie sich. Aber das vermag die Leere nicht zu vertreiben.

Wie sieht die Zukunft aus? Hennig Voscherau, Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister und ein enger Freund der Familie Schmidt, hatte bei der Trauerfeier für Loki Schmidt die Sorge ausgedrückt, der Altkanzler könne sich in "Einsamkeit" zurückziehen. Aber wie es aussieht, wird das nicht geschehen.

So bitter der Verlust auch sein mag — Helmut Schmidt will weiter arbeiten. An seinen üblichen Terminen werde sich nichts ändern, bekräftigte er jetzt. 40 Stunden in der Woche zieht es ihn wohl auch künftig an den Schreibtisch, davon drei bis vier Tage im Büro. Als preußisch empfindet der Altkanzler diese Haltung nicht. Sondern als hanseatisch. Normal eben. Ein Unbeugsamer, der getroffen, aber nicht aus der Bahn geworfen ist. "Ob es gut geht", sagt Helmut Schmidt, "werden wir sehen. Ein paar Jahre habe ich wahrscheinlich noch."

(RP)
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