Freispruch ist rechtskräftig Das Dilemma der Justiz im Fall von Christian Wulff

Hannover · Das Warten hat ein Ende: Ex-Bundespräsident Wulff kann nun endgültig wieder durchstarten. Die Staatsanwaltschaft zog ihre Revision gegen seinen Freispruch zurück. Waren die Juristen übereifrige Jäger?

Christian Wulff rechnet ab
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Foto: afp, jd/vel

Am Freitag, dem 13., kam für Christian Wulff die erlösende Nachricht: Die Staatsanwaltschaft Hannover zieht ihre Revision gegen seinen Freispruch zurück. Sie wird nicht weiter gegen den Ex-Bundespräsidenten vorgehen. Als hätte er es bereits geahnt, hatte sich das Ex-Staatsoberhaupt am Dienstag zuvor bei seiner Buchvorstellung in Berlin sehr offensiv präsentiert - Kritiker empfanden seinen Auftritt auch als selbstherrlich. Mit Vorwürfen gegen die Anklagebehörde sparte der verbitterte Ex-Präsident nicht. Es bleibe rechtspolitisch hoch problematisch, dass "eine einzelne Staatsanwaltschaft mit leeren Händen" ein Staatsoberhaupt zum Rücktritt drängen könne, erklärte Wulff vor laufender Kamera.

Jäger oder Juristen?

Doch war das wirklich so? Strafrechtsexperten sehen es anders, auch wenn das Gericht zu dem Schluss kam, dass es für die erhobenen Korruptionsvorwürfe keine ausreichenden Beweise gab. Immerhin: Den hinreichenden Tatverdacht, der die Staatsanwälte zum Ermitteln trieb, sah auch das Landgericht Hannover. Sonst hätte es die Anklage gar nicht zugelassen. Damit kam erstmals ein deutscher Bundespräsident auf die Anklagebank.

Waren die Staatsanwälte Getriebene im Mediensturm? Übereifrige Hetzjäger oder unbeugsame Juristen? "Die Rücknahme der Revision war rechtlich zwingend und alternativlos", sagen Wulffs Anwälte. Dagegen hatte noch am 8. Januar der Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig für den Fall des Freispruchs angekündigt: "Wir sehen den Prozess noch nicht am Ende, der hat für uns noch gar nicht richtig angefangen."

Christian Wulff Urteil: Pressestimmen zum Prozess
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Aus der Rückschau hält Hannovers Staatsanwalt Oliver Eisenhauer die Ermittlungen weiter für richtig. "Dass nun am Ende ein Freispruch steht, auch das ist für die Staatsanwaltschaft nachvollziehbar", sagt er. "Es handelte sich um ein rechtlich schwieriges und aufwendiges Verfahren, zudem war hier eine Vielzahl von Personen beteiligt, die eine Prüfung vorgenommen haben - und das erfordert nun einen gewissen Zeitaufwand, der erst am Mittwoch abgeschlossen war." Übertriebenen Jagdeifer der Staatsanwälte kann auch Prof. Uwe Hellmann von der Uni Potsdam nicht feststellen. Der Experte für Korruptionsstrafrecht sieht aber den öffentlichen Druck bei der rechtlichen Beurteilung des Falles kritisch. "Das Problem besteht in der extremen Beobachtung durch die Öffentlichkeit. Es hat in den vergangenen 20 Jahren eine erhebliche Zunahme des öffentlichen Interesses an spektakulären Rechtsfällen in Deutschland gegeben."

Hellmann macht eine veränderte Medienlandschaft dafür verantwortlich, die auch das Verhältnis zur Justiz ändert. "Ich halte das für eine nicht unerhebliche Gefahr." Die Art, wie sich Medien und Justiz gegenseitig die Bälle in der Affäre zugeworfen hätten, so auch Wulffs Klage bei der Buchvorstellung, bedrohe die Gewaltenteilung und letztlich die Demokratie. Auch wenn diese Ansicht nicht von allen geteilt wird: Ein Problem ist sicher, dass zwar viele Staatsanwälte auf ihre Aufgaben im Umgang mit den Medien vorbereitet werden, diese aber neben ihrer normalen Tätigkeit ausüben müssen.

Bei der Staatsanwaltschaft Hannover, die nach dem Wulff-Prozess nun mit Medienanfragen zu den Kinderporno-Ermittlungen gegen den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy bestürmt wird, wurde bereits reagiert. "Aufgrund des gesteigerten öffentlichen Interesses soll die Tätigkeit des Pressesprechers gestärkt werden", sagt Staatsanwalt Eisenhauer. Statt wie bisher vier Staatsanwälte im Nebenjob mit der Pressesprecher-Tätigkeit zu beauftragen, soll es künftig nur noch einen für diese Aufgabe geben, der sich dann aber voll darauf konzentrieren kann.

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Den gesteigerten öffentlichen Druck sieht auch Eisenhauer, der seine Behörde gegen Vorwürfe der Indiskretion im Wulff-Prozess verteidigt: "Es sind ganz offensichtlich Informationen durchgestochen worden, doch es gab eine Vielzahl von Akteuren, nicht nur Staatsanwälte."

(dpa)
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