Merkel im Gorleben-Untersuchungsausschuss "Damals war ich noch nicht so perfekt"

Düsseldorf · In mehrstündiger Befragung versucht die Opposition am Donnerstag im Gorleben-Untersuchungsausschuss nachzuweisen, dass die damalige Umweltministerin Angela Merkel in den 90er Jahren die Grundlagen für die Erforschung des Salzstockes als Atommüll-Endlager manipuliert hat. Doch die heutige Kanzlerin weist das entschieden zurück.

Angela Merkel vor Gorleben-Ausschuss
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Es ist die 77. Minute im Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist belehrt worden, dass sie mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden kann, wenn sie jetzt die Unwahrheit sagt, da holt die SPD-Opposition die große Keule heraus: "Sie haben die Unwahrheit gesagt", ruft die Abgeordnete Ute Vogt der Kanzlerin entgegen. Doch die Kanzlerin muss nicht in den Knast.

Denn die Dinge sind, gerade auf dem Feld der juristisch und politisch erbittert umkämpften Atomkraft, kompliziert. Es geht bei diesem Untersuchungsausschuss um die Frage, ob die junge Umweltministerin Merkel in der Regierung Kohl zwischen 1994 und 1998 die Begründungen für die Wiederaufnahme der Erkundungen im Salzstock Gorleben manipuliert hat und als Erfüllungsgehilfin der Atomkonzerne ein Billiglösung durchdrücken wollte.

Es geht nicht nur um damals

Das liegt lange zurück, und der Ausschuss tat sich in jahrelanger Ermittlungsarbeit reichlich schwer, die Angelegenheit nebst Vorgeschichte in den 70er Jahren präzise nachzuvollziehen. Die Kanzlerin soll als letzte Zeugin letzte Klarheit bringen. Aber es geht nicht nur um damals.

Es ist zugleich ein aktuelles Duell. Der jetzige SPD-Chef Sigmar Gabriel hat mit eben diesen Lügen- und Manipulationsvorwürfen 2009 Wahlkampf gegen Merkel gemacht. Obwohl er selbst nicht Mitglied im Ausschuss ist, sitzt er mental mit am Tisch, geht es auch um ihn. Um seine Glaubwürdigkeit gegen die der CDU-Chefin.

Gut gelaunte Merkel

Fröhlich und sichtlich gut gelaunt hat Merkel am Morgen auf die Sekunde pünktlich den Sitzungssaal betreten, hat die Runde gedreht und jedes Ausschussmitglied persönlich mit Handschlag und Lächeln begrüßt, dann einige Minuten Blitzlichtgewitter ganz ruhig ertragen und aus einem blauen Pappordner eine gute halbe Stunde lang vorgelesen, wie sie die Zusammenhänge sieht: Dass sie alles auf der Grundlage des 1979er Entsorgungskonzeptes ausarbeitet und damit die Politik einer SPD-geführten Regierung fortgesetzt habe und dass es Mitte der 90er Jahre nach Expertenansicht zwar "nicht optimal", aber durchaus "sinnvoll" gewesen sei, die Gorleben-Erkundung fortzusetzen.

Merkel schildert auch den politischen Hintergrund. Der wiederholte Versuch eines Energiekonsenses zwischen Regierung und Opposition, Bund, Ländern und Wirtschaft war gescheitert. Die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen tat alles, um das Erkundungsprojekt Gorleben juristisch zu stoppen, und so stellte sich für Merkel die Frage, ob auch ohne Erkundungsrechte für den kompletten Salzstock die Untersuchung im nordöstlichen Teil, den der Bund besaß, weiter gehen sollte.

"Richtig, verantwortlich und notwendig"

Merkel zieht für sich auch 16 Jahre später dasselbe Fazit: Weil sich damals die absehbare Menge der einzulagernden Atomabfälle halbiert habe, habe sie sich für die Erkundung des halben Salzstockes entschieden, und dies sei "richtig, verantwortlich und notwendig" gewesen. Falsch, unverantwortlich und unnötig war das hingegen für die damaligen Gorleben-Endlager-Gegner, die heute Merkel deswegen im Untersuchungsausschuss stellen wollen.

Schlüsseldokument ist für sie eine von Merkel damals vorgestellte Vergleichsstudie, die 40 mögliche andere Endlager-Standorte untersuchte, den einen oder anderen für durchaus überprüfbar einstufte, aber nichts zu Gorleben sagte. Und tatsächlich beginnt die Opposition an dieser Stelle zu punkten.

"Gorleben bleibt erste Wahl"

Die frühe Merkel berief sich nämlich genau auf diese Studie, als sie verkündete: "Gorleben bleibt erste Wahl". Genüsslich lesen SPD, Grüne und Linke aus Merkels damaligen Presseerklärungen vor, lassen ein Radio-Interview der damaligen Umweltministerin abspielen und dokumentieren damit wieder und wieder, wie Merkel versicherte, das Gutachten komme "zu der Meinung", das Gorleben "aus geologischer Sicht weiter erkundet werden sollte". Obwohl davon nichts in der Studie steht.

Merkel unternimmt ein halbes Dutzend Anläufe, zu erläutern, wie sie das damals gemeint habe. Dass es darum gegangen sei, die aufgewühlte Stimmung in den 40 anderen Regionen einzufangen, wo alle damals gefürchtet hätten, nun begönnen die Probebohrungen vor ihrer Haustüre, und dass sie deshalb die "politische Folgerung" aus dem Gutachten gezogen habe, dass Gorleben erste Wahl bleibe und die anderen Standorte, die nur theoretisch und nicht praktisch verglichen worden seien, erst in Frage kämen, wenn sich Gorleben als definitiv ungeeignet herausgestellt habe. Das sei aber damals nicht der Fall gewesen und bis heute immer noch nicht.

Merkel gesteht Fehler ein

"Warum haben Sie das dann damals nicht so gesagt?", fragt Vogt. "Weil ich damals nicht so perfekt war wie heute", antwortet die Kanzlerin. Damit hat sie indirekt einen Fehler eingestanden, ohne in der Sache nachgegeben zu haben. Stunde um Stunde drehen sich die Befragungen um immer dieselben Vorgänge. Am frühen Nachmittag ballt Merkel plötzlich die Faust.

Die niedersächsische Landesregierung habe damals die Studie zum Anlass für die Behauptung genommen, Gorleben sei als Endlagerstandort gestorben. Dem habe sie mit aller Macht entgegenwirken müssen, "um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen". Kurz schaut sie durch die Bänke der Abgeordneten und fügt seufzend hinzu: "Das ist bis heute offenbar nicht gelungen."

(may-)
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