Welt-Ärztepräsident Montgomery „Wie eine schwere Grippe-Epidemie“

Berlin · Der Berliner Krisenstab prüft, ob Großveranstaltungen wie die Internationale Tourismusbörse abgesagt werden müssen. Welt-Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery vergleicht die Ausbreitung des Coronavirus mit einer schweren Grippewelle.

 Welt-Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery.

Welt-Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery.

Foto: dpa

Im Kampf gegen das Corona-Virus nehmen die Behörden nun die Einreisen verstärkt in den Blick. Wer mit Bus, Bahn, Schiff oder Flugzeug in Deutschland ankommt, soll nach der Ankündigung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) so genannte „Aussteigerkarten“ ausfüllen, damit besser nachvollzogen werden kann, woher später als Infizierte festgestellte Personen gekommen und mit wem zusammen sie gereist sind. Auch Reisende aus gefährdeten Regionen sollen so identifiziert werden. Ankommende Migranten sollen künftig nicht nur auf Typhus und ähnliche Erkrankungen, sondern auch auf Corona-Virus untersucht werden.

Ein gemeinsamer Krisenstab von Innen- und Gesundheitsministerium will sich heute mit Großveranstaltungen befassen und einen Kriterienkatalog für gefährdete oder weniger bedenkliche Massenzusammenkünfte entwickeln. Insbesondere die nächste Woche in Berlin beginnende Internationale Tourismusbörse (ITB) ist im Visier. Hier müssten wirtschaftliche Interessen mit Gesundheitsschutz abgewogen werden. Im Zweifel habe der Gesundheitsschutz Vorrang, erklärte Seehofer. Zahlreiche chinesische Firmen haben ihre Präsenz in Berlin bereits abgesagt oder beschicken ihre Stände mit Personal aus Europa. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte, dass die Behörden anhand der regionalen Lage zu entscheiden hätte. So sei ein Fußballspiel in Heinsberg derzeit sicherlich anders zu bewerten als eines in Lübeck.

Spahn sicherte zu, dass besser ein Virus-Test zu viel als einer zu wenig vorgenommen und die Kosten auch übernommen würden. Waren anfangs nur wenige Kliniken in der Lage, die Abstriche auszuwerten, sei inzwischen bereits eine flächendeckende Auswertung durch die meisten Labore möglich. Wichtig sei, dass Menschen mit typischen Anzeichen für eine Infizierung sich nicht erst in Arztpraxen setzten, sondern sofort jeglichen Kontakt mit anderen Menschen einstellen, den Arzt anrufen, der dann eine Untersuchung per Hausbesuch in die Wege leite.

Spahn erläuterte die Feststellung von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) vom Vortag, wonach die Behörden in NRW die Lage im Griff hätten, als auf den Zeitpunkt bezogen. Es habe danach eine weitere dynamische Entwicklung gegeben. „Es ist mutig und optimistisch von der Landesregierung, dass sie zu diesem frühen Zeitpunkt sagt, sie habe alles im Griff“, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty. Es mache nicht den Eindruck, als wäre das Handeln gut koordiniert: „Hat die Justiz im Kreis Heinsberg mit der Landesregierung abgestimmt, dass sie die Pforten schließt? Warum nur dort?“ Zudem müsse NRW-Gesundheitsminister Laumann seinen Krankenhausplan dringend überdenken, der die Schließung vieler Hospitale vorsieht: „Wir könnten in die Situation kommen, dass die Kapazitäten zu knapp werden.“

Spahn sprach von rund 50 speziellen Intensivbetten der höchsten Risikogruppe in Deutschland. Das seien mehr als in den USA und im Rest Europas. Insgesamt gebe es in deutschen Kliniken 28.000 Intensivbetten. Bei Bedarf könnten jedoch auch weitere Bereiche von Krankenhäusern provisorisch in Intensivstationen verwandelt werden.

Das Gesundheitsministerium will in Gesprächen mit Pharmafirmen, Apothekern und sonstigen Anbieten erreichen, dass die derzeit noch in Deutschland vorhandenen Spezial-Schutzmasken nicht auch noch ins Ausland geliefert werden, sondern hier bereitgehalten werden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft bestätigte unserer Redaktion, dass die Kliniken Lieferprobleme bei den Schutzmasken für ihr Personal melden.

Der stellvertretende FDP-Fraktionschef im Bundestag, Michael Theurer, forderte die Kanzlerin auf, das Krisenmanagement gegen das Corona-Virus an sich zu ziehen. „Frau Merkel muss die Bekämpfung der Corona-Virus-Epidemie zur Chefsache machen“, sagte Theurer unserer Redaktion. Bei den Hochwassern oder der Finanzmarktkrise habe das Kanzleramt die Zügel in der Hand gehabt. „Jetzt wirkt Frau Merkel seltsam untätig.“ Die Gesundheit von Millionen Menschen in Deutschland brauche eine kluge, koordinierte Politik von Bund und Ländern. Das gehe weit über reine Gesundheitspolitik hinaus, betonte Theurer.

Welt-Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery verglich die Ausbreitung des Corona-Virus mit einer schweren Grippewelle: „Die Verbreitung des Corona-Virus wird in Deutschland ablaufen wie eine schwere Grippe-Epidemie ähnlich wie wir sie vor zwei Jahren hatten“, sagte Montgomery unserer Redaktion. „Wir werden nicht verhindern können, dass das Virus um die ganze Welt läuft“, betonte er. Wichtig sei, dass nun Zeit gewonnen werde, indem die Verbreitung des Virus verlangsamt werde. Dazu müsse jeder Einzelne beitragen, indem er sich an empfohlene Hygiene-Maßnahmen hält. „Dann gibt es genug Spielraum, die Pandemiepläne in Kraft zu setzen und den Impfstoff zu entwickeln, der im kommenden Jahr zur Verfügung stehen wird.“ Montgomery lobte Gesundheitsminister Spahn ausdrücklich für dessen Krisenmanagement. „Er reagiert verhältnismäßig. Es gibt keinen Grund zur Panik und schon mal gar nicht zu Hamsterkäufen wie in Italien.“

Auch von den Grünen kam Lob für den Bundesgesundheitsminister. "Spahn lässt es nicht an Transparenz mangeln. Seine Maßnahmen sind richtig, er benennt auch die Schwachpunkte, zum Beispiel, dass der Pandemiefall nicht oft genug geübt wurde“, sagte Kordula Schulze-Asche, pflegepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Stärker in den Blick genommen werden müsse die Ausstattung der Gesundheitsämter der Kommunen. „Sie sind für den Infektionsschutz vor Ort zuständig, und kleinere Gesundheitsämter sind dieser Aufgabe nicht gewachsen", unterstich Schulze-Asche.

Von Zuständigkeitsproblemen wollten die Menschen nichts wissen, erklärte Seehofer. Es stimme zwar, dass die meisten Aufgaben von den Ländern zu übernehmen seien. Wer jedoch den dringenden Empfehlungen des Krisenstabes auf Bundesebene nicht folge, der müsse dafür auch die Verantwortung übernehmen.

Die führenden Wirtschaftsverbände warnten vor erheblichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die deutsche Wirtschaft. Die Unternehmen müssten sich auf Produktionsausfälle bei chinesischen und deutschen Firmen in China, massive Reiseeinschränkungen, Handelseinbrüche und Nachfrageausfälle im Tourismus und Einzelhandel einstellen, erklärte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Die Industrie werde einem „Stresstest“ ausgesetzt, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Er forderte die Bundesregierung auf, neben dem Gesundheitsschutz auch das wirtschaftliche Krisenmanagement in den Blick zu nehmen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erklärte daraufhin, die Regierung werde notfalls mit zusätzlichen Fördermitteln reagieren. Ohnehin geplante steuerliche Erleichterungen etwa für Personengesellschaften könnten vorgezogen werden. Altmaier lehnte ein Konjunkturprogramm wegen des Corona-Virus jedoch ab. "Es geht nicht um Konjunkturprogramme im klassischen Sinne, die nur Strohfeuer auslösen", sagte er.

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