Corona-Pandemie Machen es die Schweden besser?

Berlin · Viele Menschen hierzulande sind sich unsicher, wie wir ein Leben mit dem Coronavirus gestalten können – und ob wir im Frühjahr alles richtig gemacht haben. Manche schauen nach Skandinavien. Ein Gedankenspiel.

 Eine Bushaltestelle dieser Tage in der schwedischen Stadt Uppsala: Keine Maskenpflicht, obwohl die Infektionszahlen derzeit massiv ansteigen.

Eine Bushaltestelle dieser Tage in der schwedischen Stadt Uppsala: Keine Maskenpflicht, obwohl die Infektionszahlen derzeit massiv ansteigen.

Foto: AP/Claudio Bresciani

Manche Leute sagen ja mit dem Brustton der Überzeugung, dass der schwedische Weg in der Corona-Krise der klügere gewesen sei. Den Menschen dort gehe es besser, sie seien entspannter, es gebe weniger Kontrollen und weniger Aggressivität untereinander. Behördliche Empfehlungen seien fürs soziale Klima wirkungsvoller als Anordnungen.

Andererseits, räumen manche ein, habe es in Schweden im Frühjahr phasenweise eine Übersterblichkeit gegeben. Unter offenbar befremdlichen Bedingungen: Damit die schwedischen Krankenhäuser vor Überlastung geschützt wurden, so recherchierte der „Spiegel“, wurde nicht wenigen an Sars-CoV-2 erkrankten Bewohnern von Seniorenheimen trotz freier Krankenhauskapazitäten eine aussichtsreiche intensivmedizinische Therapie vorenthalten und lediglich eine palliative Behandlung gewährt. Auch in Krankenhäusern sollen trotz ausreichend freier Intensivbehandlungsplätze Menschen mit Vorerkrankungen und ab einem bestimmten Alter zuweilen nur noch palliativ behandelt worden sein, obwohl keine entsprechende Patientenverfügung vorlag. Diese Vorgehensweise sei behördlicherseits vorgegeben worden, schrieb das Nachrichtenmagazin unter Berufung auf schwedische Intensivmediziner.

Jedenfalls ist der insgeheime Wunsch auf Herdenimmunität in Schweden wohl ein Trugschluss. Eine durchgemachte Infektion bietet, wie die Forschung mittlerweile weiß, keinen sicheren Schutz vor einer Neuinfektionen nach einer gewissen Zeit.

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Spielen wir den Gedanken mal ein wenig zugespitzt durch: Was wäre gewesen, wenn Deutschland den schwedischen Weg gegangen wäre? Schweden hat bislang bei etwas über zehn Millionen Einwohnern knapp 6000 Tote gehabt. Für Deutschland hätte das bei 83 Millionen Einwohnern 50.000 Tote, vermutlich aber mehr bedeutet. Selbst das vorbildliche deutsche Intensivsystem wäre implodiert, es wären nicht nur zahllose Corona-Kranke gestorben, sondern auch viele Menschen mit anderen Krankheiten (etwa mit Herzinfarkten oder nach schweren Unfällen oder Operationen), denen kein Intensivbett mehr zur Verfügung gestanden hätte. Und da die Infektionen auch das Klinikpersonal dezimiert hätten, dann hätte es mancherorts zwar Betten gegeben, doch nicht genügend Menschen, die die Patienten hätten betreuen können.

 Auf der anderen Seite wären viele Menschen zwar nicht gestorben, sondern deutlich erkrankt, weil eben der Anteil von Infizierten mit hoher Viruslast in der Bevölkerung höher gewesen wäre. Auch dann hätte die Wirtschaft unter dem Druck von Krankmeldungen stark gelitten.  

Was wäre politisch passiert? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wäre massiv unter Druck geraten, er sei in seinen Maßnahmen nicht rigoros genug gewesen; man hätte ihm und der Kanzlerin einen Beschwichtigungs- und Kuschelkurs gegenüber einem hochaggressiven Virus vorgeworfen. Viele hätten gerufen, das Robert-Koch-Institut und dessen Staatsinfektiologe Lothar Wieler hätten schmählich versagt; sie hätten nicht laut genug gewarnt. Markus Söder hätte wie immer einen bayerischen Sonderweg eingeleitet.

Die härteste aller Gangarten hätten möglicherweise – kategorisch alternativ – die Rechtspopulisten gefordert, mit Maskenzwang und hohen Bußgeldern bei Nichtbeachtung, mit Grenzschließungen und bewährter Rhetorik: „Wie hier zugunsten einer florierenden Wirtschaft zahllose unschuldige Menschen geopfert wurden, ist abscheulich. Es erinnert an dunkelste deutsche Zeiten, wie derzeit das Grundgesetz und das Recht auf Unversehrtheit mit Füßen getreten werden.“

Dann, ja dann wäre die Angst in Deutschland zu greifen gewesen, sie hätte tatsächlich an Panik gegrenzt. Und Klopapier hätte es deswegen nicht mehr in ausreichender Zahl gegeben, weil vielleicht nur noch wenige gesund gewesen wären, es zu produzieren.

 Dann doch lieber so, wie wir es bislang gemacht haben – mit allen Fehlern, Ungereimtheiten, Irrtümern, aus denen wir für die Zukunft allerdings lernen sollten. Vor allem brauchen wir Regeln, die jedermann begreift, nicht die aktuelle Flickschusterei. Ansonsten gibt es keinen Grund, Schweden als Beispiel für Deutschland zu ersehnen.

 Übrigens hat soeben die schwedische Stadt Uppsala wegen dramatisch gestiegener Infektionszahlen sehr strikte Maßnahmen präsentiert, alle natürlich freiwillig. Mancher sehnt dort mittlerweile deutsche Strenge herbei. Wolfram Goertz

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