Corona-Pandemie NRW ringt um neuen Lockdown

Düsseldorf/Berlin · Wegen anhaltend hoher Infektionszahlen dringen die Bundesregierung und mehrere Ministerpräsidenten auf schärfere Corona-Regeln. Die Landesregierung will noch abwarten.

 Eine Maske liegt in der Düsseldorfer Innenstadt auf dem Boden (Symbolfoto).

Eine Maske liegt in der Düsseldorfer Innenstadt auf dem Boden (Symbolfoto).

Foto: dpa-tmn/Federico Gambarini

Trotz Verschärfungen der Corona-Regeln in anderen Bundesländern will die NRW-Landesregierung zunächst abwarten. „Wir sollten uns die Entwicklung in den nächsten Tagen genau anschauen, auch auf den Intensivstationen, und erst dann entsprechende Entscheidungen treffen“, sagte NRW-Vizeministerpräsident Joachim Stamp (FDP) am Dienstag. In NRW bewegten sich die Infektionszahlen seitwärts, die Situation sei fragil. Es gefährde aber das Vertrauen der Bürger, getroffene Maßnahmen nach wenigen Tagen schon wieder über den Haufen zu werfen, sagte Stamp auf die Frage nach einem möglichen Vorziehen der Beratungen der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU). „Ich glaube nicht, dass das Höher, Schneller, Weiter, was Herr Söder in die Welt ruft, wirklich hilfreich ist“, so Stamp.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte am Sonntag schärfere Kontaktbeschränkungen und Ausgehverbote angekündigt. In einer Regierungserklärung am Dienstag begrüßte er den von der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina geforderten harten Lockdown mit Geschäftsschließungen ab Weihnachten. Wenn sich die Ministerpräsidentenkonferenz auf diesen Weg einige, werde Bayern ihn mittragen, sagte der CSU-Chef.

Angesichts anhaltend hoher Infektionszahlen spricht sich die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina für eine drastische Verschärfung der Corona-Beschränkungen bereits ab kommender Woche aus. Die Feiertage und der Jahreswechsel sollten für einen „harten Lockdown“ genutzt werden, um die deutlich zu hohen Neuinfektionen schnell zu verringern, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme. In einem ersten Schritt soll den Wissenschaftlern zufolge die Schulpflicht ab kommendem Montag bis zu den Weihnachtsferien aufgehoben werden. Ab 24. Dezember bis mindestens 10. Januar solle dann „in ganz Deutschland das öffentliche Leben weitgehend ruhen“.

Mehrere Landesregierungen kündigten inzwischen an, ihre Corona-Maßnahmen anzupassen. In Rheinland-Pfalz sollen die geltenden Auflagen allenfalls über Weihnachten gelockert werden, aber nicht mehr über Silvester. Sachsen steuert gar auf einen harten Lockdown ab Montag zu. Schulen, Kitas und Geschäfte sollen dort schließen, sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Nur lebensnotwendige Läden sollen analog dem Vorgehen im Frühjahr offen bleiben. Die Maßnahmen sind bis zum 10. Januar vorgesehen. Ob es in dieser Woche zu einer weiteren Ministerpräsidentenkonferenz kommen wird, blieb am Dienstag offen. Neben NRW soll auch die Landesregierung von Niedersachsen sich eher zurückhaltend gezeigt haben. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist hingegen offen für Schließungen im Einzelhandel.

Der Handelsverband NRW stellte für den Fall des harten Lockdowns eine klare Forderung: „Wer solche Entscheidungen will, muss auch klar sagen, wer das bezahlt, sprich: für die Umsatzausfälle der Händler aufkommt“, sagte Peter Achten, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes NRW, unserer Redaktion. Der Handel sei bisher kein Hotspot gewesen, mit einem harten Lockdown würde man ihm wie der Gastronomie „ein Solidaropfer“ abverlangen. Hilfsgelder müssten in einem solchen Fall schnell fließen: „Keiner sitzt auf einem Polster. Die Liquiditätslage ist teilweise zum Bersten gespannt“, so Achten. Und es sei enorm wichtig, eine solche Maßnahme so früh wie möglich anzukündigen.

Schon durch die aktuellen Einschränkungen fürchtet der Handel in NRW im Weihnachtsgeschäft (November und Dezember) mit einem Umsatzrückgang in Milliardenhöhe. Pro Tag Lockdown würde der Nicht-Lebensmittelhandel in Nordrhein-Westfalen rund 250 Millionen Euro Umsatz verlieren.Die Stimmung in großen Teilen der Unternehmen sei schlecht, sagte Achten. In der Woche vor dem zweiten Advent hätten in einer Umfrage 47 Prozent der Händler mit einer „negativen bis stark negativen Entwicklung“ gerechnet. Achtens Appell: „Bitte kaufen Sie zu frequenzarmen Zeiten, in denen weniger Kunden in den Innenstädten unterwegs sind. Und prüfen Sie, ob womöglich Ihr lokaler Händler vor Ort ein passendes Online-Angebot für Sie hat.“

Der Mönchengladbacher Handelsexperte Gerrit Heinemann sieht woanders noch gravierendere Probleme: „Der Einzelhandel erwirtschaftet in diesem Jahr immer noch ein reales Umsatzplus von 1,2 Prozent, natürlich auch dank Online- und Lebensmittelhandel. Aber Branchen wie der Gastronomie, den Reiseanbietern und Autozulieferern geht es noch viel schlechter." Selbst der stationäre Modehandel, der durch die Krise stark getroffen sei, könne durch stärkeren Online-Auftritt und Belieferung von Kunden zusätzliches Geschäft generieren.

Der Westdeutsche Handwerkskammertag zeigte Verständnis für einen möglichen harten Lockdown. Präsident Hans Hund erklärte auf Anfrage: „Die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie sind für viele schmerzhaft, aber auch unvermeidlich, wenn wir das Virus jetzt erfolgreich bekämpfen wollen. Mit Blick auf die Infektionsentwicklung können nun weitere Maßnahmen notwendig sein, damit auch die Wirtschaft im kommenden Jahr wieder voll durchstarten kann.“ Die meisten Handwerksbetriebe wollten und könnten auch unter Pandemiebedingungen gute Arbeit leisten.Jene Betriebe, die wie die Kosmetikbetriebe vom Lockdown betroffen seien, „brauchen aber weiterhin Hilfe und Unterstützung“, so Hund.

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